the son 2Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 26. Januar 2023, Teil 16

Redaktion

Berlin (Weltexpresso) - Wie visuell sind Ihre Drehbücher? Legen Sie bereits zu diesem Zeitpunkt fest, wie der Film aussehen wird?
Meinem Schreiben wohnt eine starke visuelle Qualität inne. Zumindest finde ich das. Wenn ich Stücke schreibe, fühle ich mich, als wäre ich bereits im Publikum und würde dem Geschehen auf der Bühne zusehen, es ist wie eine virtuelle Aufführung für mich. Ich sehe meine Arbeiten immer aus dem Blickwinkel des Publikums, wie ein Traum, denn ich finde, das ist das Ziel dessen, was wir tun.

Wir wollen, dass unsere Stücke gesehen werden. Das ist etwas, was mir sehr wichtig ist. Man spürt das im Theater, es ist wie ein Summen, das Teilen von Emotionen, wenn der Funke
überspringt. Wenn der Funke nicht überspringt, kann man sich nicht selbst belügen. Diese Verbindung zum Publikum ist mir heilig. Wenn ich einen Film drehe, ist es ebenso. Man dreht einen Film nicht für sich selbst. Ein Film ist etwas, das geteilt werden will. Aus diesem Grund sind die Drehbücher bereits sehr visuell gedacht, weil sie die Grundlage für das sind, was man später auf der Leinwand sehen kann.


Warum drehen Sie Ihre Filme nicht auf Französisch? Und wie wohl fühlen Sie sich, wenn sie auf Englisch drehen?

Sagen wir mal so: Ich fühle mich wohl genug, dass es für alle Beteiligten eine spannende und interessante Erfahrung ist. Was ich besonders daran liebe, ist der Umstand, dass ich mich eben nicht immer wohl dabei fühle, ich kann mich nicht ausruhen und die Dinge einfach laufen lassen, ich muss immer alert sein. Das eröffnet mir neue Blickweisen als Künstler, wenn ich nicht in der Lage bin, in meiner Muttersprache zu agieren. Ich kann nicht endlos „rumlabern“. Das heißt für mich, dass ich absolut präzise sein muss, was ich zu sagen habe. Es bedarf einer gezielten Anstrengung, ich muss erst einmal mir selbst absolut bewusstwerden, um was es mir geht. Ich denke, dass ich unmissverständlich bin, wenn ich mit den Schauspielern arbeite, zumindest spiegeln sie mir das. Der Grund ist, dass ich ein Fremder bin in der englischen Sprache. Mir gefällt das, es ist Ansporn. Und ein bisschen ist es ein Abenteuer, es ist wie Reisen, wie Träumen. Und es ist die Arbeit mit den größten Schauspielern im Filmgeschäft, etwas, was ich mir immer schon ersehnt habe.


Ändert sich die Geschichte dadurch, dass sie von Frankreich, wie im Stück, für den Film nach New York City verlegt wurde?

Die größte Veränderung ist der Sprung vom Theater zum Kino. Alles, was man zeigt, sollte real sein, wichtig, entscheidend. Das Publikum muss einem glauben. Meine Arbeit besteht in großem Maße darin, die Realität einzufangen. Diese Geschichte, THE SON, spielt in New York. Das war mir wichtig. Als wir mit der Adaption begannen, war das mein erster Impuls. Die Geschichte konnte im Kino nicht in Frankreich spielen, auch nicht in England oder irgendwo in Amerika. Ich wusste, dass es New York sein musste. Ich könnte mir keine Großstadt verstellen, die ähnlich universal ist, sie vereint Menschen aus der ganzen Welt. Und THE SON erzählt eine universale Geschichte, sie spielt sich überall auf der Welt ab, Tag für Tag, könnte
jedem widerfahren. Es geht um uns alle und wie wir uns um die Menschen kümmern, die wir lieben.


Gibt es eine Figur in Ihrem Film, mit der Sie sich am meisten identifizieren?

Ich bin alle Figuren in dieser Geschichte. Aber lassen Sie mich sagen, dass die Schuld und Machtlosigkeit des Vaters etwas ist, dass ich unmittelbar nachvollziehen kann.


Es gibt eine Szene, die mir sehr besonders nahe ging, weil ich in diesem Moment wusste, dass alles verloren ist: Die Familie tanzt zu Tom Jones, in diesem Augenblick scheint alles gut, könnte sich alles zum Positiven wenden. Doch dann wendet sich Nicholas ab, ist nicht mehr mit dabei, sondern schaut von außen zu. Gibt dieser Moment den ganzen Film in konzentrierter Form wieder?


Der Vater will nichts mehr, als seinem Sohn eine Hilfe zu sein. Er ist ein Mann, der es gewohnt ist, jede noch so schwierige Situation zu richten, eine Lösung für jedes Problem zu finden. Das ist auch sein Selbstverständnis als Vater. Es ist wie eine Rolle, die er spielt, nur dass ihm die richtigen Schlüssel fehlen, um die Türen zu öffnen. Aber das will er nicht sehen, weil er weiß, dass seine Liebe genuin ist. Er ist aufrichtig, er versucht alles. Er weiß, dass es ihm immer gelungen ist, alles hinzubiegen. Deshalb ist er zuversichtlich, dass sich alles richten lässt. 
 
Der Tanz ist Ausdruck dieser Zuversicht, dieser Überzeugung: Alles wird gut, wir haben’s geschafft, wir sind über dem Berg. Wenn man sich nur anstrengt, dann biegt man’s hin. Als sich Nicholas abwendet, zeigt er uns: Nein, nichts ist gut, es ist Selbstbetrug. Das Übel hat einen anderen Ursprung, es lässt sich nicht an der Wurzel ausreißen. Das ist ein Wendepunkt, in der Erzählung, aber auch für die Stoßrichtung des Films. Das Leiden von Nicholas lässt sich nicht erklären, es steckt in ihm drin. Das ist Definition einer Erkrankung der Seele. Es ist ein Geheimnis. Man sucht nach Gründen, in der Kindheit, in Dingen, die einem widerfahren sind im Leben. Man sucht nach einem Sündenbock, jemand muss doch schuldsein. Es ist nicht fair, natürlich nicht. Den Anderen geht alles so leicht von der Hand. Selbst fällt einem jeder Schritt schwer, lastet ein tonnenschweres Gewicht auf den Schultern, zieht einen runter. In
Wahrheit ist es so, dass es ein sehr komplexes Zusammenspiel biologischer, chemischer und psychologischer Schichten ist, die diesen Gemütszustand auslösen. Man kann es nicht wirklich verstehen. Es war aber auch nicht mein Ziel, es zu erklären, sondern den Moment einzufangen, an dem ein Mann die falschen Entscheidungen trifft, weil er der Wahrheit nicht ins Gesicht sehen kann.


Peter ist eine tragische Figur. Aber nicht nur wegen der Entwicklungen am Ende des Films, sondern weil er unterwegs erkennen muss, dass er sein ganzes Leben Anstrengungen unternommen haben mag, seinem schrecklichen Vater zu entkommen und alles anders zu machen als der Patriarch, aber nun in eine Situation geraten ist, in der er sich eingestehen muss, vielleicht doch nicht so anders zu sein wie sein alter Herr.

Diese Reise kennen wir doch alle. Wir alle waren Kinder, Söhne und Töchter, sind großgeworden. Für viele war das eine schmerzvolle Zeit, ein harter Prozess. Und wir tragen dieses Päckchen unser Leben lang, wir sind nun einmal unserer Eltern Kinder. Der Film trägt den Titel THE SON. Wir denken, dass er sich auf Nicholas bezieht, den Sohn von Peter und Kate. Peter ist die Hauptfigur, der Vater, gespielt von Hugh Jackman. Bis wir begreifen, dass er ebenfalls der Sohn ist. Ein Sohn, der eine schwere Kindheit hatte und immer darum gekämpft hat, ein besserer Vater zu sein als der Mann, in dessen Schatten er großgeworden ist. Weil diese Vergangenheit so schwer auf ihm lastet, fällt es ihm womöglich so schwer, mit der
Gegenwart klarzukommen. Diese Geschichte wollte ich erzählen. Wie schwer es sein kann, den Kreis zu durchbrechen, den Schmerz abzuschütteln, den wir von
Generation zu Generation weitergeben.


Sie schreiben tolle weibliche Figuren – die Tochter in THE FATHER, Kate und Beth in THE SON. Fällt Ihnen das leicht?

Ich mache da keinen Unterschied. Ich erzähle Geschichten über Menschen. Menschen sind mir wichtig. Ihnen will ich gerecht werden. Ich will Menschen, das Leben einfangen. Es ist einfach wichtig, die richtigen Schauspieler zu finden und für die Stoffe zu begeistern. Ich schätze mich sehr glücklich, dass ich bei THE SON Laura Dern und Vanessa Kirby an meiner Seite wusste. Sie sind es, die ihre Figuren zum Leben erweckt haben – und der Grund, warum Sie zu mir sagen, ich würde tolle Frauenfiguren schreiben. Laura Dern! Nehmen Sie die Szene im Restaurant. Wir wissen nicht viel über sie und ihre Beziehung zu Peter, was zwischen ihnen vorgefallen ist. Wir wissen nur, dass sie sich getrennt haben, er ein neues Leben,
eine neue Frau und ein gerade geborenes Baby hat, noch einen Sohn! Aber sehen Sie sich ihr Gesicht an! In ihren Zügen und ihrer Mimik kann man alles ablesen, was man wissen muss. Das können nur die besten Schauspieler! Sie macht fast nichts und doch lässt sie ganz tief in ihre Figur blicken. Ich bin sehr stolz, auf alle meine Schauspieler.

Foto:
©Verleih

Info:
Besetzung
Peter Hugh Jackman
Beth Vanessa Kirby
Kate Laura Dern
Nicholas Zen McGrath
Anthony Anthony Hopkins

& Stab
Regie        Florian Zeller
Drehbuch Florian Zeller, Christopher Hampton
Nach dem Stück „Le Fils“ von Florian Zeller

Abdruck aus dem Presseheft