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Kategorie: Film & Fernsehen

alle redenNeu auf DVD und Blu-ray seit Freitag, 17. März 

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Dieser Film gehört zu den Coronaverlierern, weswegen WELTEXPRESSO die Möglchkeit, sich mit DVD und Blu-ray den Film verfügbar zu machen, besonders gerne wahrnimmt und weitergibt. Der Film ist erst einmal völlig unspektakulär und gleichzeitig so was von aktuell, wenn es um eine spezifische weibliche ostdeutsche Biographie geht, denn man kann ja heute nicht mehr von DDR-Biographie sprechen, obwohl alles, was diese Familie angeht, einfach ihre Wurzeln darin hatten und auch aus dem Gestern ihr eigenes Wachsen beziehen, wie das bei Pflanzen halt so ist, auf den Untergrund kommt es an. Auf das Bewässern auch.

Gegenüber Clara hat man, d.h. ich, ständig unterschiedliche Gefühle. Meiert sie andere ab, findet man sie hochmütig, aber lernt man ihre Doktormutter Margot (Judith Hofmann) kennen, tut sie einem wieder leid, denn die ist knallhart in ihrem wissenschaftlichen Anspruch genauso wie in der von anderen geforderten Anerkennung ihrer Position. Darüber kann man sich lange Gedanken machen, aber wer den Wissenschaftsbetrieb von innen kennt, der weiß genau, daß man so wird, wenn man durchkommen will, weil Frauen es in der Wissenschaft extrem schwer hatten und hier wird wohl auf so ein Modell gezielt. Eigentlich, das wäre eine kleine Kritik, ist aber der Typ Margot doch ein paar Jahrzehnte  zuvor  angesiedelt - und zwar in Westberlin! - angesiedelt. Das ist die Ausgangslage, zu der gehört, daß sie in Berlin bei einer Einladung zum Essen der Tischrunde von ihrem Dasein als Diplomatentochter erzählt, was anschließend die Doktormutter gleich zu einer potentiellen Erpressung nutzt. 

Eigentlich geht es um Clara (Anne Schäfer), Enddreißigerin mit geschiedenem Mann und der 15jährigen Tochter Emma  (Emma Frieda Brüggler) , die bei ihm und seiner neuen Familie  im Wohlstand mit eigenem Haus lebt. Die Philosophin hat einen Lehrauftrag an der Uni und promoviert gerade, den anspruchsvollen Dissertationstitel wollte ich aufschreiben, weil man sofort Respekt bekommt. Das allerdings steht im Widerspruch zum Beginn, wo man verblüfft eine Frau aus einem Hotelzimmer kommen sieht, wo der Liebhaber noch im Bett liegt und man schnell merkt, daß er ihr Student Max (Marcel Kohler) ist, sie aber unbedingt nur im Hotel mit ihm beisammen sein will und jedesmal einiges mitgehen läßt, wie das in besseren Hotels halt so ist, mit Seife, Fläschchen, Hausschuhen etc., die sie einsteckt.

Es geht an diesem Wochenende, das heftig wird, um den Geburtstag ihrer  Mutter Inge (Anne-Kathrin Gummich) und die Fahrt zusammen mit ihrer Tochter nach Hause, ein ostdeutschen Dorf in Mecklenburg-Vorpommern, in der Provinz also, in der Uckermark. Sie versteht sich doch gut mit ihrer Mutter, aber sie kann die ganze Atmosphäre nicht ertragen. Die Fragen, die Gespräch, die eben ums Wetter gehen, keine 'Kommunikation' sind, was sie von ihrer hilflosen Mutter einfordert. HALT. Das ist eigentlich der Kernpunkt des Films, die Entfremdung von denen, die sich auf den Weg machen, zu ihren Daheimgebliebenen. Aber hier hätte Annika Pinske, die Drehbuchautorin und Regisseurin mehr liefern können. Denn sie weiß gar nicht, wie gut ihre sprachliche Wendung mit dem Wetter ist. Basil Bernstein war der Wissenschaftler, der in der Linguistik die Unterscheidung und die Begriffe vom elaborierten  und dem restriktiven Code einführte, womit endlich einer alltäglichen Erfahrung die Nomenklatur gegeben wurde, demnach die, soziologisch gesprochen, Unterschicht restriktiv spricht und die Mittel- und Oberschicht elaboriert. 

Seine Beispiele für das Restriktive begannen mit dem Wetter. Er läßt zwei Frauen aufeinandertreffen, von denen die eine sagt: "Schönes Wetter heute" und die andere erwidert: "Ja, schönes Wetter heute und darum habe ich gleich die Wäsche in Gang gesetzt. ", was wiederum erwidert wird mit: "Ja, eine gute Idee, ich müßte auch mal...."
Was Bernstein hier aufzeigt, ist, daß mit dem Reden der beiden nicht Sachklärung, was Clara unter Kommunikation versteht, geschieht, sondern daß das Miteinandersprechen die Funktion der emotionalen Übereinstimmung erhält. Leider wird das im Film, der halt kein sprachwissenschaftlicher ist, nicht weiter vertieft. Für den Kummer, den Clara empfindet, weil sie ihre Familie, ihr Herkommen als nicht mehr in Übereinstimmung mit ihrem Berliner Leben sieht, hätte es Aufklärung gegeben. In ihrer Wirklichkeit ist es ihre Oma, die ihr beisteht und ihr ein bißchen Geld mitgibt, wie man das als Oma mit Kindern macht. 

Was die Gespräche mit ihrem alten Freund Marcel (Max Riemelt) angeht, kann man hier noch einmal erkennen, wie sehr sich Leute auseinanderleben, wenn ihre Umwelt unterschiedlich weitergeht, daß es aber immer Gemeinsamkeiten geben könnte. Wenn Clara nach Hause fährt, ist sie nicht klüger, aber erwachsener geworden. 

Info:
Alle reden übers Wetter

DVD
BRD, 2022
FSK ab 12 freigegeben
Bestellnummer: 11117341
Erscheinungstermin: 17.3.2023

Genre: Drama, Komödie
Spieldauer: 89 Min.
Regie: Annika Pinske
Darsteller: Anne Schäfer, Anne-Kathrin Gummich, Marcel Kohler, Judith Hofmann, Emma Frieda Brüggler, Max Riemelt, Sandra Hüller
Sprache: Deutsch
Tonformat: Dolby Digital 5.1
Bild: Widescreen
Untertitel: Englisch
Specials: Regiekommentar und Interview der Regisseurin Annika Pinske