TV-Tipp für Samstag 20. Mai 2023 bei Servus TV
Margarete Ohly-Wüst
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – In Tickle Head, einem kleinen heruntergekommenen Hafenstädtchen auf einer Insel in Neufundland lebten die Einwohner lange Zeit von der Fischerei. Heute existiert dieses Leben nur noch in den Kindheitserinnerungen von Murray French (Brendan Gleeson).
Denn der Fischereihafen ist stillgelegt und die meisten der 120 Bewohner, die noch nicht in die nächste größere Stadt gezogen sind, sind arbeitslos und eine Abwechslung ist nur der Scheck vom Sozialamt, der von der hübschen Postbeamtin verteilt und vom Bankangestellten umgetauscht wird. Murray hat nicht nur die kriminelle Energie, die Sozialhilfe eines verstorbenen Freundes zu kassieren, sondern er sucht, nachdem der letzte Bürgermeister als Flughafenpolizist aufs Festland gegangen ist, nach einer neuen Einkommensquelle für das Städtchen.
Die Rettung scheint zum Greifen nah, als ein Ölkonzern auf der Insel eine "Aufbereitungsanlage für petrochemische Nebenprodukte" errichten will. Bedingung ist allerdings ein Arzt vor Ort. Die Bewohner haben einen Monat Zeit, einen Arzt zu suchen.
Der Ex-Bürgermeister nimmt eines Tages den Schönheitschirurgen Dr. Paul Lewis (Taylor Kitsch) am Flughafen fest, der neben seinem neusten Kricket-Pokal auch etwas Kokain im Gepäck hat.
Er bietet dem Arzt statt einer Anzeige an, vier Wochen in Tickle Head zu praktizieren, in der Hoffnung, dass die Bewohner ihn von der Insel überzeugen können und er bereit ist, einen Vertrag für 5 Jahre zu unterschreiben. Daneben müssen auch noch Sonderwünsche der Ölfirma befriedigt werden, z.B. die Einwohnerzahl zu verdoppeln.
Damit Dr. Lewis im Dorf bleiben will, beschließen die Insulaner, angeführt vom Ortsvorsteher Murray French, den Ort einer gründlichen Reinigung zu unterziehen und die Insel nach den Vorlieben des Doktors zu präparieren. Durch Abhören seiner Telefongespräche (u.a. mit seiner Verlobten) erfahren sie die geheimen Wünsche des Doktors.
Typische kanadische Hockeyfans werden plötzlich zu Kricketspielern, man serviert ihm seine Leibspeise im örtlichen Pub, und das mangelnde Angler-Talent des Städters (und die fehlenden Fische) werden mit tiefgefrorenen Pracht-Exemplaren kompensiert.
Murray stellt sich sogar als Vaterfigur zur Verfügung und man schwindelt ihm vor, dass die schöne Postbotin Kathleen (Liane Balaban) in ihn verliebt sei, obwohl sie als einzige Bewohnerin nicht bereit ist, mitzuspielen. Aber nach einiger Zeit beginnt die Fassade erste Risse zu bekommen und man überlegt, ob man den Doktor wirklich 5 Jahre täuschen kann…
Der kanadische Regisseur Don McKellar erschafft in seiner Komödie ″Die große Versuchung – Lügen bis der Arzt kommt″ eine Welt voller kauziger Figuren, die listenreich gegen den Niedergang ihrer geliebten Heimat kämpfen. Dabei vermeidet es der Regisseur, das Geschehen in puren Klamauk abgleiten zu lassen.
Die Story klingt bekannt? Kein Wunder, denn Drehbuchautor Ken Scott hat seinen franko-kanadischen Film "La grand séduction" von 2003 in Englisch recycelt und von einer Insel in Quebec nach Neufundland verlegt. Scott ist Wiederholungstäter; hat er doch auch für den in Quebec entstandenen Film "Starbuck" (2011) das Drehbuch geschrieben und Regie geführt. Auch dieser Film wurde größtenteils wörtlich nochmals von Scott in den USA mit Vince Vaughn in der Hauptrolle gedreht. Er kam als "Der Lieferheld - Unverhofft kommt oft" (2013) in die deutschen Kinos.
Trotz dieser Kritik ist "Die große Versuchung" ein liebenswert gestalteter Film und ein Sozialmärchen, in dem z.B. nicht darüber diskutiert wird, dass der Vertreter der Ölfirma geschmiert werden will oder welche Nebenwirkungen eine "Aufbereitungsanlage für petrochemische Nebenprodukte" auf das Ökosystem der Insel hat (im franko-kanadischen Film war es am Ende etwas kleiner - es wurden Gefrierdosen hergestellt).
Der Film lebt vor allem von den darstellerischen Fähigkeiten, dem lakonischem Witz und dem gelungenem Timing des irischen Schauspielers Brendan Gleeson, der die Komödie als Murray French mit seiner Knorrigkeit, kriminellen Intelligenz und seiner Warmherzigkeit beinahe allein trägt.
Der in Britisch-Columbia geborene Taylor Kitsch wirkt dagegen erwartungsgemäß etwas blasser, spielt aber erstaunlich facettenreich den jungen Mediziner Paul Lewis. Er macht einen guten Job als naiver Arzt – deutlich besser als David Boutin im Originalfilm.
Die übrigen Schauspieler fügen sich sehr gut in das Ensemble ein, haben aber außer Gordon Pinsent als Murray's Freund Simon, keine herausragenden Rollen. Auch wenn die Insel im Film karg und kühl wirkt - dies ist ein liebenswert komischer Sommerfilm, der keine hohen Ansprüche stellt und den man sich hervorragend zum ersten Mal oder noch einmal im Fernsehen anschauen kann.
Foto 1: Brendan Gleeson als Murray French und Taylor Kitsch als Dr. Paul Lewis © Servus TV
Foto 2: Brendan Gleeson als Murray French © Max Films Productions Inc. / Morag Loves Company
Foto 3: Taylor Kitsch als Dr. Paul Lewis © Max Films Productions Inc. / Morag Loves Company
Info:
Die große Versuchung - Lügen bis der Arzt kommt (Kanada, 2013)
Originaltitel: The Grand Seduction
Genre: Komödie
Filmlänge: ca. 113 Min.
Regie: Don McKellar
Drehbuch: Michael Dowse, Ken Scott
Darsteller: Brendan Gleeson, Taylor Kitsch, Liane Balaban, Gordon Pinsent, Anna Hopkins u.a.
FSK: ab 0 Jahren
″Die große Versuchung - Lügen bis der Arzt kommt″ wird am Sa. 20.05.2023 um 20:15 Uhr bei Servus TV Deutschland gezeigt und am So. 21.05.2023 um 00:10 Uhr wiederholt.