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Kategorie: Film & Fernsehen

Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 12. November 2015, Teil 5

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wenn man sich erst einmal in die Filme des Axel Ranisch verguckt hat, weiß man dann selber gar nicht mehr genau, ob die eigene Sicht auf diesen so skurrilen wie lebenslustigen, so poetischen wie wirklichkeitsnahen Filmregisseur und seine Werke für andere eine Orientierung sein können. Wir meinen trotzdem entschlossen: ja.

 

Schon die ersten Einstellungen versetzen einen in eine andere Welt, in der wir erst einmal im eigenen Kopf herumtorkeln, was unsere Wahrnehmung schärft. Um was geht es hier eigentlich? Da ist dieser dicke ungepflegte unschöne Tobias (Heiko Pinkowski), der infolge seines Alkoholgenusses nun wirklich ins Schlafzimmer torkelt, wo ihn seine Frau Anika (Christina Große) – das kriegen wir schnell mit, daß es um die eigene Ehefrau geht – zögerlich erwartet, ob seiner Annäherungsversuche aber sehnsüchtig die Arme ausstreckt. Und als wir uns die Fortsetzung ausmalen, erscheint in Großaufnahme dieses merkwürdige Gesicht, dieser Geselle, der ab jetzt seinem Freund Tobias wie ein Schatten folgt und Flasche (Peter Trabner) heißt. Aus gutem Grund.

 

Es dauerte einige Zeit, bis wir die Zusammenhänge verstanden und auch, weshalb diese Flasche immer mit dabei liegt, im Ehebett, wo wir tatsächlich eine erotische Dreiecksbeziehung vermuteten, bei der wir die dritte Person, diese oder dieser Flasche, je nachdem dem Tobias oder der Anika zuordnen, obwohl die beiden Männer im Ehebett die Frau in die Mitte nehmen. Viel häufiger sehen wir die beiden Männer aber unterwegs und feiern. Die Bierflasche ist wie Flasche immer dabei, wenn Tobias sein Leben wie eine nicht endenwollende Party auslebt, was ja auch heißt, daß er gar nicht richtig lebt, sondern dauernd im Status eines nicht erwachsen Gewordenen verbleibt. Trotz der Kinder, trotz der beruflichen Situation mit seinem Kompagnon Thomas im Büro. Der kann die ewigen Erfolgsmeldungen von Geschäften mit reichen Russinnen schon nichts mehr hören, denn es bleibt beim Gerede. Diese Rolle als reiche Russin bringt Iris Berben, die wie andere Prominente kleine Rollen übernommen hat, zum Funkeln. Aber Tobias verliert sich in Schwärze.

 

Denn es geht schon lange nicht mehr gut. Er fährt betrunken Auto, verletzt die Kinder, verliert den Führerschein und verliert damit auch seine Selbstachtung, aber gewinnt zumindest den Eindruck, daß ihm Freund Flasche, der ihn dauernd antörnt und die Flasche hinhält, nicht guttut. Wieder einmal versucht er, sich vom Lebensfreund zu trennen, wozu auch eine weitere Figur, die da so zwischendrin als Bänkelsänger auftaucht (Robert Gwisdek), mit der Gitarre seinen Kommentar abgibt, denn wenigstens dieser erkennt den wahren Freund von Tobias als den falschen. Die anderen sehen nicht mal richtig hin. Aber Troubadour klärt Tobias über sich selber auf und bringt ihn zum Handeln. Die Flasche muß weg, das Meer ist ein guter Ort fürs Umbringen. Das passiert, aber dann...

 

Das Märchenhafte hält sich mit dem harten Realismus der Alkoholiker im Film die Waage. Und eigentlich wundern wir uns, wie lange viele Personen im Film diesen versoffenen Tobias aushalten, einschließlich der Ehefrau. Wie es weitergeht, wollen wir nicht verraten, nur, daß die Bilder, die wie im Rausch die Figuren immer wieder weichzeichnen, so als ob wir im Rausch dem richtigen Leben zuschauen, uns ständig von Neuem irritieren und in den Film hineinziehen. Ständig wechselt die Kamera zwischen ganz nah und entfernter, wir sehen Mienenspiele, die wir nicht deuten können und schöne Landschaften gegen ganz schön schiache Menschen.

 

Axel Ranisch hat zu seinem Film einen Regiekommentar abgedruckt, der so beginnt: „So ist der Peter. Ich war noch immer vollkommen betrunken und umnebelt vom für mich vollkommen unerwarteten, furiosen Uraufführungs-Erfolg unseres Filmes DICKE MÄDCHEN bei den Hofer Filmtagen. Da stand Peter Trabner im Oktober 2011 mitten in der Fußgängerpassage im fränkischen Hof vor mir und stelle mir seine neue Idee vor. Die Geschichte eines Alkoholikers. Ein langes 90minütiges Bergab. Ein gänzlich depressiver Film über den Niedergang eines Familienvaters. Puh!“ Und dann führt Ranisch weiter aus, daß ihm solche pessimistischen Filme nicht liegen, weil er die Schicksalsschläge des Lebens von der positiven Seite zu sehen versucht. „So sind auch meine Filme. Gerne böse. Aber mit einem Augenzwinkern.“

 

Das ist eine durchaus gute Selbstbeschreibung, wobei ein echter Humorist eben doch auch ein verkappter Melancholiker ist.