Drucken
Kategorie: Film & Fernsehen

Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 17. Dezember 2015, Teil 1

 

Kirsten Liese

 

Berlin (Weltexpresso) - Das Kino kennt so manche traurige Geschichte, in der Lesben Verzweiflungstaten begehen. Die meisten darunter stammen freilich aus einer längst vergangenen Zeit, als Homosexualität stark tabuisiert war, denkt man vor allem an William Wylers schwermütiges Melodram „Infam“.

 

Shirley MacLaine begeht darin als unglücklich verliebte Lehrerin, von ihrer Angebeteten alias Audrey Hepburn zurückgewiesen, Selbstmord.

 

Vielleicht hatte Todd Haynes diesen Film im Hinterkopf, als er seine Adaption von Patricia Highsmith’ weniger bekanntem Roman besetzte. Jedenfalls sieht Rooney Mara, in Cannes als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet, mit ihren Rehaugen, der gertenschlanken Figur und zartem Wesen der Hepburn verblüffend ähnlich. Nur verkörpert sie eine ungleich souveränere Figur. Sozusagen zum Ausgleich.

 

Dabei erzählt „Carol“ durchaus auch von den enormen Schwierigkeiten der gleichgeschlechtlichen Liebe in den USA der 1950er Jahre, aber weitaus ermutigender. Das fängt schon damit an, dass beide Heldinnen selbstbewusst zu ihrem Begehren stehen.

 

Cate Blanchett ist Carol, die reifere, mondäne Verführerin, ein Vamp à la Marlene Dietrich. Sie verguckt sich nicht zum ersten Mal in eine Frau, aber als sie Therese bei ihren Weihnachtseinkäufen kennen lernt, macht es sofort klick. Die Auserwählte verkauft Spielzeugwaren und träumt von einer Karriere als Fotografin. Sie ist unerfahren, alleinstehend und künstlerisch begabt.

 

Carol versteht es, ihre Neugier zu wecken. Absichtlich lässt sie ihre Handschuhe auf dem Ladentisch zurück. Therese schickt sie zurück. Zum Dank folgt eine Einladung zum Essen. Und so kommen sich das City-Girl und die Dame der Gesellschaft näher.

Aber die Probleme sind programmiert: Bald kommt der eifersüchtige Ehemann Harge (Kyle Chandler) hinter die Leidenschaft seiner Frau und droht ihr, das Sorgerecht für die kleine Tochter abzusprechen, sollte sie an ihren „krankhaften Neigungen“ festhalten.

 

Als er einen Detektiv auf Carol ansetzt, der Beweismaterial für ihre „lose Moral“ gesammelt hat, verlässt sie die Geliebte Hals über Kopf. Aber noch ist nicht alles verloren, trifft die Alpha-Frau doch schließlich eine mutige Entscheidung, frei von den Mutteridealen der Zeit. Unterdessen mausert sich die junge Partnerin langsam aber sicher vom schüchternen Entchen zum stolzen Schwan. Porträts, die sie auf einer gemeinsamen Reise von Carol gemacht hat, werden ihr Einstieg in den Beruf einer Fotojournalistin. Vielleicht finden die Frauen ja doch noch einen Weg zueinander?

 

Trotz fehlender klassischer Krimielemente kommt das nervenaufreibende Drama bis zur letzten Minute packend daher. Es besticht bei alledem auch mit visueller Eleganz und nostalgischen Set-Designs. Oft sind die Heldinnen hinter spiegelnden Scheiben oder in betörenden Großaufnahmen zu sehen. Die Chemie zwischen den Protagonistinnen stimmt, jede noch so winzige Geste bis hin zum Wimpernschlag beherrschen sie mit Präzision. Nicht zuletzt dank der emotionalen Tiefe ist es einer der schönsten Liebesfilme seit „Blau ist eine warme Farbe“ und „Brokeback Mountain“.