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Kategorie: Film & Fernsehen

Die Wettbewerbsfilme der 66. Berlinale vom 11. bis 21. Februar 2016, Film 3

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) – Der zweite Tag der Berlinale ist Hubschraubertag. Das muß für Regisseure ein besonderes Vergnügen sein, aber in diesem Film sind sie nicht nur häufig im Einsatz bei der Verfolgung unserer Protagonisten, sondern werden noch übertroffen durch gewaltige himmlische Bauwerke, die sich kurzfristig auf der Erde niederlassen.

 

Im Ernst. Ganz viele Journalisten bedankten sich in der anschließenden Pressekonferenz aufrichtig für diesen „schönen Film“ bei Regisseur Jeff Nichols. Da möchte man halt nicht gerne aufstehen und sagen, er solle einen mit solchem Quark doch in Ruhe lassen. Mit breit getretenem und schon leicht gegorenen Quark. Dabei fängt alles toll und hoffnungsfroh an. Da ist dieser kleine Junge Alton (Jaeden Lieberher), den sein Vater (Michael Shannon) beschützen, ja retten will, denn er hat sehende Augen, mit denen er Welten einstürzen lassen kann, weshalb er meistens eine Schutzbrille trägt, um die Welt auszuhalten gewissermaßen.

 

Gleichzeitig hat er in seinem Blick eine Verbindung zur übersinnlichen Welt, einem Zwischenreich, wo andere seiner Art leben, wie ihm nach und nach bewußt wird, weshalb er in dieses Reich aufbrechen will.

 

Er lebte mit Vater und Mutter in einer dieser evangelikalen Gemeinden, oder eher schon eine Stufe weiter, eine dieser üblen Sekten. Dort war seine Fähigkeit, mittels seiner Augen in andere Sphären vorzudringen, aufgefallen, weil ein Blick in seine Augen heilte. Seine anderen Eigenschaften, Verschlüsselungen im Nu zu enträtseln und Wissen auf übernatürliche Weise zu erwerben, machen ihn zum begehrten Objekt aller: von dieser Sekte über die örtliche Polizei bis zur CIA, auch zur NASA.

 

Der Film beginnt mit der Flucht, die Altons Vater unternimmt, wobei er von seinem alten Schuldfreund Lucas (Joel Edgerton) unterstützt wird. Verfolgt werden sie von allen, die sich von den Eigenschaften des Jungen Vorteil versprechen. Diese Flucht ist lange Zeit wirklich interessant, weil wir Zuschauer nach und nach die Besonderheiten dieses Jungen und das Fluchtmotiv erst enträtseln.

 

Aber kaum hat man das getan, wird es öde, denn wenn dies alles nur dazu dient, daß der so anders geartete Junge auf Nimmerwiedersehen in sein eigenes Zwischenreich, wo seinesgleichen auf ihn warten, auffährt, wozu eine riesige spinnenförmige Skulptur auf amerikanischen Boden aufsetzt und mit ihm an Bord gen Himmel verschwindet, so verschenkt der Film, der so tut, als sei er Sciencefiction, seine eigentliche Mission.

 

Wir dachten nämlich lange, die Andersartigkeit des Jungen sei eine von jungen Menschen, die sich fremd auf der Welt fühlen, solche, die der Welt abhanden gekommen sind, solche, die feinfühlig mit den Derbheiten vieler nicht leben können. Wir dachten wirklich, es würde in diesem Film eine Lösung geboten für einen sensiblen Jungen, der anders ist als andere, anders wahrnimmt, andere Interessen hat, mehr fühlt und sieht als seinesgleichen sonst und einfach prädestiniert ist, ein Beispiel zu geben, wie Andersartigkeit in der Welt von Heute Platz findet. Auch in Amerika. Stattdessen muß dieser Andersartige unsere Welt verlassen, damit er glücklich wird. Ziemlich trostlos auf diesem Planeten, kann man dazu nur sagen. Auch wenn sich der Vater, der bei uns viel zu kurz kam, denn er ist die eigentliche Hauptperson im Film, zusammen mit der Mutter dafür einsetzt, daß ihr Junge außerhalb unserer Erde ein besseres Leben hat, können wir uns damit nicht anfreunden. Denn solche Andersartigen, Andersfühligen werden doch in der normierten und gleichgestrickten Welt von heute gebraucht.