Drucken
Kategorie: Film & Fernsehen

Drei Sichtweisen von drei Regisseuren auf die NSU-Verbrechen ab 30. März

 

Hanswerner Kruse

 

Fulda (Weltexpresso) - Der Schlüchterner Blumenhändler Enver Simsek (38) wurde im Jahr 2000 ermordet. Niemand ahnte damals, dass dieses Verbrechen der Beginn einer rechtsradikalen Mordserie werden sollte. Unter dem Titel „Mitten in Deutschland“ zeigt die ARD zum Thema ab Mittwoch, den 30. März eine dreiteilige Spielfilmreihe.

 

Lange wurde ausschließlich gegen die Familie Simsek ermittelt, die Fahnder unterstellten ihr einen Ehrenmord, dann Konkurrenzkämpfe im Blumenhandel und zuletzt Rauschgiftgeschäfte. Die Hinterbliebenen wurden zu „halben Tätern“ und dementsprechend ruppig behandelt. Je mehr türkische Mitbürger ermordet wurden, desto abstruser wurden die Verdächtigungen gegen alle Angehörigen, die dann als Drogendealer oder „Türkenmafia“ behandelt wurden. Niemals wurde im rechtsradikalen Milieu ermittelt. In den Medien war schließlich nur noch menschenverachtend von „Döner Morden“ die Rede.

 

Als sich der rassistische Hintergrund dieser Taten herausstellte, bat Bundeskanzlerin Angela Merkel dafür die Opfer in einer Feierstunde um Verzeihung und versprach: „Wir tun alles, um die Morde aufzuklären.“

 

Bis heute sind die Ermittlungen nicht abgeschlossen, die Taten nicht hinreichend geklärt - in einem Land, das bei Kapitalverbrechen eine Aufklärungsquote von 95% hat. Bereits im vierten Jahr läuft der Prozess gegen die mutmaßliche Mörderin Beate Zschäpe. „Das wirft Fragen auf - nach der grundsätzlichen Verfasstheit unserer Ermittlungsbehörden“, meint dazu ARD-Programmdirektor Volker Herres, „ aber auch ganz generell nach der Verfasstheit unseres Staates.“

 

Die ARD will mit den jeweils in sich abgeschlossenen, sehr kritischen Spielfilmen von drei verschiedenen Regisseuren, zur Aufklärung der Schandtaten des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) beitragen: „Die drei Filme aus unterschiedlichen Perspektiven (Täter, Opfer und Ermittler) wollen eine gesamtdeutsche Befindlichkeit zeigen, ein Bild unserer derzeitigen Gesellschaft weben“, erklärt Herres und betont: „Als öffentlich-rechtlicher Sender sind wir verpflichtet, den Finger immer wieder in die Wunden unserer Gesellschaft zu legen, auch, damit die Rechtsstaatlichkeit in unserem Land erhalten bleibt.“

 

2013 verfasste Semiya Simsek, die Tochter des ersten Opfers, ihr Buch „Schmerzliche Heimat“. Sie wurde in Deutschland geboren, wuchs in Flieden und Schlüchtern auf und empfand sich nie als Ausländerin. In ihrem Text beschreibt sie, wie sie als Vierzehnjährige frühmorgens von ihrem Cousin im Internat abgeholt und nach Nürnberg ins Krankenhaus gebracht wurde. Noch bevor sie zum sterbenden Vater durfte, wurde sie von den Ermittlern verhört. Mit Lügen - der Vater habe eine deutsche Geliebte und mit ihr Kinder gehabt - und den Verleumdungen eines drogensüchtigen unglaubwürdigen Zeugen, wurde die Familie unter Druck gesetzt.

 

Der zweite Teil und Mittelpunkt der ARD-Trilogie ist Semiyas großartige Buch-Verfilmung „Die Opfer - vergesst mich nicht“, in dem alle, für sie bedeutsamen Erlebnisse erzählt werden. Mit wenigen Sequenzen, Rückblenden und weiteren cineastischen Mitteln werden die Beziehungen der Tochter zu ihrem Vater, der Eltern untereinander und zum Heimatland der Simseks deutlich. Obwohl die Geschichte und ihr vorläufiges Ende bekannt sind, ist der Film berührend und zugleich sehr spannend - Züli Aladag ist eben ein erfahrener Tatort-Regisseur („Im gelobten Land“ 2016). Das Leid der Angehörigen und die Fehler der Fahnder werden dargestellt, aber nicht larmoyant angeprangert. Die Schauspielerin Almila Bagriacik verkörpert Semiya so authentisch, dass der Verfasser dieser Zeilen Semiya im Gespräch beinahe gefragt hätte, wie Tom Schilling (der Filmkommissar) denn so als Schauspieler war...

 

Mitten in Deutschland“ - die ARD-Trilogie:

Die Täter – Heute ist nicht alle Tage“ / 30. März 2016 20:15 Uhr


Die Opfer – Vergesst mich nicht“ / 4. April 2016 20:15 Uhr


Die Ermittler – Nur für den Dienstgebrauch“ / 6. April 2016 20:15 Uhr


Dokumentarfilm
“Der NSU-Komplex – Die Rekonstruktion einer beispiellosen Jagd“ / 6. April 2016 21:45 Uhr


 

Buchhinweis:
Semiya Simsek: Schmerzliche Heimat, Berlin 2013 (Rowohlt), gebunden, 272 Seiten, 18,95 Euro

Foto: © ARD, Almila Bagriacik verkörpert Semiya Simsek