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Kategorie: Film & Fernsehen

Filmbesprechung „Der Staat gegen Fritz Bauer“, veröffentlicht* anläßlich der Aufführung auf dem LICHTER FILMFEST, Teil 1/2

 

Ernst Olbrich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Auf einer Veranstaltung des Fritz-Bauer-Institutes entbrannte eine heftige Auseinandersetzung um die Deutungshoheit über die Person des ehemaligen Frankfurter Generalstaatsanwaltes und Auschwitz-Anklägers.

 

Eingeladen hatte das Fritz-Bauer-Institut am 11. Januar 2016 zum „Gespräch“, bei dem die Frage „ob die Verbindung“ der „beiden Themen [...]Strafverfahren gegen NS-Verbrecher [und] Strafverfolgung von Homosexuellen nach dem § 175 in den 1950er und 1960er Jahren [...] historisch zutreffend ist“ (so der Einladungstext). Die Folie dafür sollte der Ende 2015 in die Kinos gekommene Film „Der Staat gegen Fritz Bauer“ abgeben.

 

Nach einer halbstündigen Vorführung von vier Ausschnitten aus dem Film und einem Kurzvortrag des Kulturwissenschaftlers Andreas Pretzel von der Humboldt-Universität Berlin brach sich die in Teilen des Publikums schon länger wahrnehmbare Unruhe in heftigen Volten der Kritik am Film und der daran anknüpfenden Geschichtsinterpretation des Institutes Bahn. Die Reaktionen der Institutsvertreter*innen auf die laut werdenden kritischen Stimmen allerdings erinnerten wenig an die Ankündigung, dass hier ein Gespräch mit offenem Ausgang stattfinden sollte. Die Kritiker wurden bezichtigt, die Veranstaltung „dominieren“ zu wollen und vom Podium kam der Vorwurf, es handele sich bei den Stellungnahmen um „Meinungsterror im Stil der 68er“.

 

Sachliche Gründe dafür, im Film die Figur Fritz Bauers zu wesentlichen Anteilen als einen mit seiner sexuellen Orientierung ringenden Homosexuellen zu zeichnen, konnten die Institutsvertreter dagegen nicht vorbringen. Anstelle dessen dagegen den demagogischen Vorwurf an die Kritiker*innen, sie hielten an von der Geschichte längst überholter Homophobie fest. „Ich kann einen Menschen nur verstehen, wenn ich weiß, wie er liebt“, war eine der apodiktischen Feststellungen vom Podium, womit wenigstens dem Film eine gewisse Gerechtigkeit widerfuhr, da es in ihm an allen möglichen Stellen gewaltig menschelt.

 

Die Frage aber muss diskutierbar bleiben, ob die Figur Fritz Bauers, filmisch heruntergebracht aufs Menschlich-Allzumenschliche, überhaupt der tatsächlichen Bedeutung dieses bedeutenden Rechtspraktikers und -theoretikers und politischen Menschen entsprechen kann. Eine kritische Auseinandersetzung darüber kann niemandem verwehrt werden, zumal – wie von den Institutsvertretern nicht widerlegbar – die einzige Quelle für die angebliche Homosexualität Bauers ein unter den zwanghaften Bedingungen des durch Gestapo und Auslieferung bedrohten Exils zustandegekommenes Protokoll der dänischen Fremdenpolizei ist.

 

Von Geschichtsklitterung, übler Nachrede und Zwangsouting war daher seitens der Kritiker*innen die Rede, während den Veranstaltern zu den an ihre Adresse gerichteten Vorwürfen nur die müde Reaktion einfiel, die Gegenseite mundtot machen zu wollen, indem man ihr die beschränkte Rolle von braven Fragestellern zuzuweisen versuchte.

 

Betrachtungsweisen der Person Bauers, wie der Film sie manipulativ konstruiert, sind in der Tat geeignet dazu, die wirkliche Bedeutung des Frankfurter „Generals“ für die politische und Rechtsgeschichte der Bundesrepublik eher zu verdecken, als sie angemessen ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken. Im Aufsehen erregenden Remer-Prozess 1952 vor dem Braunschweiger Landgericht hatte Fritz Bauer nicht einfach bloß die moralische und juristische Rehabilitation der Verschwörer des 20. Juli herbeigeführt, er hatte vielmehr darüber hinaus die juristischen Wegmarken für Recht und Unrecht in entscheidender Weise verrückt, indem die Bedeutung des Widerstandsrechts als eines urdemokratischen Mittels der Bürger*innen im Kampf gegen einen Unrechtstaat herausgearbeitet wurde. Damit aber war ein entscheidendes Fundament für die gesamte Geschichte des späteren Aufbegehrens der sogenannten 68er-Bewegung gelegt wie überhaupt für alle Formen von Bürgerinitiativen und basisdemokratischen Kontrastierungen zu staatlichem Handeln, das als Unrecht erlebt wird.

 

Fritz Bauers Wirken hat darüber hinaus darin bestanden, nicht nachzulassen in seinem kontinuierlichen Kampf gegen den Fortbestand des juristischen Denkens der Nazis, sei es in Form der Weigerung, die an den Verbrechen der Tyrannei Beteiligten ihrer Bestrafung zuzuführen, sei es in Gestalt einer absolut gesetzten positiven Rechtslehre, die keine überstaatlichen Rechtsprinzipien anerkennen wollte, um so die Gesamtheit der Täter damit zu exkulpieren, dass sie einem Verbotsirrtum unterlegen haben sollten, indem sie systemimmanent rechtstreu gehandelt hätten. Mit diesen Bestrebungen verband sich bei Bauer aber auch seine schon aus Weimarer Zeiten stammende Gegnerschaft gegen die Rechtsvorstellungen des rächenden Staates, die ihn zu einem der entschiedensten und wirkungsvollsten Verfechter einer liberalen Strafrechtsreform machte. Der Film dagegen begeht den Skandal, aus Fritz Bauer einen aus zwanghafter Rechtstreue triebgehemmten Schwulen zu machen, der andererseits mit den Versuchungen seiner angeblichen „Veranlagung“ liebäugelt, wenn er Socken im Partnerlook des von ihm angehimmelten fiktiven Nachwuchsstaatsanwaltes trägt.

 

Als manipulativ ist der Film deswegen zu bezeichnen, weil er in ein durchweg authentisch wirkendes Ambiente als bedeutungssteuernde Hauptfigur einen gänzlich fiktiven Mitarbeiter Bauers hineinsetzt, der als Rolle einzig und allein dem Zweck dient, die Person des Frankfurter „Generals“ mit dem Thema Homosexualität in Verbindung zu bringen. Diese besagte Figur ist es nämlich, die im Laufe der Filmhandlung ihr Coming Out erlebt, dramaturgisch in Szene gesetzt durch schlüpfrige Episoden im schwulen Rotlichtmilieu, die wohl den heutigen Publikumsgeschmack bedienen sollen, der – geprägt von der Internetpornographie - ohne solche Sex-&-Crime-Einlagen nicht mit ausreichend Sensatiönchen bedient wird, um NS-„Aufarbeitungs“geschichte interessant genug zu finden.

 

Das also hinsichtlich seiner Authentizität eigentlich Umstrittene und nicht zu Belegende wird also dadurch pseudo-authentifiziert, dass man es in die Gestaltung einer Figur hineinlegt, die eindeutig erfunden ist, aber im Zusammenwirken mit den historisch belegbaren Anteilen der Filmhandlung die Behauptung der Homosexualität Bauers schein-beglaubigt. So etwas kann man mit Fug und Recht als Publikumsbetrug bezeichnen!

 

Dass ein so dünnes Geschichtchen die Unterstützung des Institutes findet, ist ein bedauerliches Anzeichen dafür, dass es sich in seiner derzeitigen Konstellation nicht mehr im Besitz der Deutungshoheit über seinen Namenspatron befindet. Seit dem Erscheinen der als Habilitationsschrift angenommenen Biographie über Fritz Bauer von Irmtrud Wojak, die allen an Person und Wirken des „Generals“ Interessierten nicht warm genug empfohlen werden kann, ist auch klar, wo diese derzeit zu finden ist. Näheres zur Kontroverse findet sich übrigens im Weltexpresso (In die Suchmaske „Fritz Bauer“ eingeben!)

 

Foto:aus dem Film "Fritz Bauer - Tod auf Raten" (D, 2010) von Ilona J. Ziok - www.fritz-bauer-film.de

 

Info: *Erstveröffentlichung in der Frankfurter Lehrerzeitung (FLZ) der GEW, Nr. 01/2016 (http://www.gew-frankfurt.de)