Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 12. Mai 2016, Teil 6

Kirsten Liese

Berlin (Weltexpresso) - Es gibt viele gute Gründe, kein Fleisch zu essen, sondern sich rein pflanzlich zu ernähren:  Es müssen weniger Tiere sterben und zuvor in Tötungsfabriken ein unwürdiges, elendes, verzweifeltes Dasein fristen, es wird weniger Viehfutter benötigt, somit müssen weniger Regenwälder gerodet werden, es entstehen weniger Treibhausgase, der Klimawandel wird weniger vorangetrieben und vor allem tun Menschen, die sich vegan ernähren, etwas Gutes für sich selbst und ihre Gesundheit.


Längst konnte von der Forschung nachgewiesen werden, dass Karnismus, also der Verzehr von ermordeten Tieren, ebenso wie das Rauchen erheblich das Risiko erhöht, an Krebs,  Herzkrankheiten sowie an Diabetes und Fettleibigkeit zu erkranken.

Nina Messingers gut recherchierter, faktenreicher, lehrreicher Dokumentarfilm HOPE FOR ALL, den wir jetzt schon einmal zum wichtigsten Film dieses Jahres ausrufen, geht auf alle diese Gründe präzise ein. Essentielle Forschungsergebnisse von Ernährungswissenschaftlern, Medizinern, Ökologen, Klimaforschern und ehemaligen Landwirten, mit denen die Österreicherin ihren Film unterfüttert, ohne sich zu verzetteln, geben ihm seine Seriosität.

Viele der genannten Fakten, Interviewpartner und ähnlich grausame Bilder von gequälten, gemarterten Tieren aus der Massentierhaltung waren schon in anderen sehenswerten, lehrreichen Dokumentationen wie zum Beispiel „Gabel statt Skalpell“, „We feed the world“ oder „Unser täglich Brot“ zu sehen.

Vor diesem Hintergrund erscheint die Frage mehr als berechtigt, warum unverändert so viele Menschen trotz solcher Eindrücke und Erkenntnisse an der brutalen Gesellschaftsform des Karnismus festhalten und ob denn nun HOPE FOR ALL“ endlich einmal ein Umdenken auf breiterer Ebene bewirken kann.

Die Voraussetzungen dazu bringt der dramaturgisch klug gegliederte,  verständliche Film jedenfalls mit.

Im ersten Teil klären anerkannte Kapazitäten für Ernährungswissenschaft und Medizin darüber auf, inwiefern tierische Proteine dem menschlichen Körper und damit unserer Gesundheit so stark schaden. Dazu treten  Zeugen vor die Kamera, die davon berichten, wie sie schwere Krankheiten überwinden konnten, nachdem sie ihre Ernährung auf Empfehlung von Ärzten komplett umgestellt hatten. Auch wenn man es fast nicht glauben will: eine Patientin konnte sogar ihren Lungenkrebs besiegen, zehn Jahre später nahm sie an einem Marathonlauf teil.

Manch einer wird sich sicher damit schwer tun, das zu glauben, jedoch gibt der Film nicht die geringsten Anhaltspunkte dafür, dass wir es hier mit Scharlatanerie zu tun haben. Im Gegenteil: Der amerikanische Forscher Dr. Caldwell B. Esselstyn konnte an Ratten nachweisen, dass deren Körper schnell Krebszellen ausbildeten, sobald er ihnen tierische Proteine in hoher Dosis spritzte, und setzte er sie wieder ab, retardierte umgehend auch der Tumor.
Eine solche sensationelle Entdeckung allein sollte einem Wissenschaftler eigentlich den Nobelpreis eintragen, sollte man meinen. Schuld daran, dass Esselstyns sensationelle Studien dagegen noch viel zu wenig Beachtung fanden, sind Politik und Lobbyisten.  Denn letztlich geht es den Mächtigen in Industrie und Wirtschaft, die auch die Politik fest im Griff haben, nicht um das Wohl des Menschen. Sie wollen vielmehr an ihm verdienen.

Im zweiten Teil klärt der Film über die erheblichen Auswirkungen des Fleischkonsums auf Umwelt und Klima auf: Zum einen entstehen direkt durch die Viehhaltung Emissionen, vor allem Methan und Lachgas durch Rinderhaltung, zum anderen trägt der Fleischkonsum aufgrund des hohen Bedarfs an Soja als Futtermittel zur Rodung von Urwäldern und der Zerstörung von Ökosystemen und natürlichen Ressourcen im großen Stil bei, was ebenfalls zum vermehrten Ausstoß von Treibhausgasen führt. Dadurch schreitet die globale Erderwärmung schneller voran.

Der dritte Teil schließlich widmet sich der geschundenen Kreatur, unseren Mitgeschöpfen, die so intelligente Lebewesen sind und so gnadenlos von der karnistischen Gesellschaft ausgebeutet werden. Eigentlich sind diese Bilder, die leidende, elende Schweine, Kühe und Hühner in Tötungsfabriken zeigen, unerträglich, jedem halbwegs sensiblen Zuschauer werden die Tränen in die Augen schießen, und es bleibt zu hoffen, dass dem einen oder anderen zumindest auch die Widersprüche aufstoßen, die sich in einer Form des – nennen wir ihn Speziesmus- ausdrücken, wenn wir einerseits unsere Katzen und Hunde lieben und kosen und andererseits so erbarmungslos Schweine, Kühe, Schafe und Hühner foltern und essen.

Vor all den schlimmen Szenen, in denen leidende Tiere auf Transportern und in den Schlachthöfen vor und bei ihren Hinrichtungen zu sehen und in ihrer Todesangst laut schreiend auch zu hören sind, lässt sich nicht einfach weggucken. Sie sind wichtig, damit sich die Karnisten endlich einmal ihrer Verantwortung als Mitschuldige stellen und auch, weil sie den ausgebeuteten Tieren eine Stimme geben. Eigentlich wäre zu wünschen, dass jeder Fleischesser dazu verdonnert würde, diese Szenen vor jeder Mahlzeit anzuschauen, um sich seiner Verantwortung an dem kranken, schier wahnsinnigen System zu stellen und bewusst zu werden.

Aber zurück zu der Frage, warum viele, die eigentlich um das Leid und auch die gesundheitlichen Risiken wissen, dennoch so schwer vom Fleisch lassen können und für den flüchtigen Augenblick des Genusses den Tod eines Mitgeschöpfes in Kauf nehmen.

Eine Erklärung liegt sicherlich darin, dass sich vorzugsweise die Karnisten, die sich diese Filme als Betroffene gerade anschauen sollten, davor drücken. Auch die  Begründung, die die britische Verhaltensforscherin Jane Godall (im Bild) im Film ins Feld führt, spielt sicherlich eine Rolle: Dass Viele meinen, es lohne sich nicht, ihre Ernährung umzustellen, wenn es alle anderen nicht tun. Dieses Argument lässt sich freilich schnell entkräften, weil sich zum einen nie etwas verändern würde, wenn jeder so dachte, und sich eine Bewegung nur bilden kann, wenn sich möglichst viele beteiligen, und weil Ethik ohnehin immer bei einem selbst anfängt.

Allerdings habe ich das Gefühl, dass es darüber hinaus noch weitere triftige Gründe gibt, die Nina Messinger nicht aufgreift. Vermutlich wäre HOPE FOR ALL dann auch ein zu langer Film geworden, umso mehr aber erscheint mir eine Fortsetzung dringlich, in der die von mir hier aufgeführten Aspekte thematisiert werden: Meinen Beobachtungen nach scheitert der gute Wille, die Ernährung umzustellen, oftmals an den Schwierigkeiten, schmackhafte vegane Mahlzeiten anzurichten.

Viele Menschen wollen sich eben nicht nur wie in Kaninchen mit Rohkost ernähren, wiewohl diese unbestritten am gesündesten ist. Für viele bedeutet ein leckeres Essen eine der wenigen Freuden in ihrem vielleicht sonst sehr anstrengenden, schwierigen Leben. Obwohl sich die Palette an veganen Produkten in den vergangenen Jahren rasant erweitert hat, finden sich nicht ausreichend wirklich schmackhafte darunter. Zumindest bekomme ich genau dieser Einwand immer wieder von Karnisten zu hören: „Ich würde ja gerne auf ein Würstchen verzichten, aber dieser vegane Kram schmeckt einfach nicht.“ Selbst Veganerin, muss ich zugeben, dass die Zahl der mir mundenden Brotaufstriche auch nicht gerade üppig ausfällt.

Mit veganen Kochbüchern ist es auch nicht getan, zumal viele Rezepte sehr viele Zutaten erfordern, die nur in Spezialgeschäften oder Biomärkten erhältlich sind, was all jenen beschwerlich wird, die solche Läden nicht in ihrer Umgebung haben und lange Wege dafür in Kauf nehmen müssen, zu denen ihnen oftmals die Zeit fehlt. Wollen wir die Bereitschaft zum Umsteigen auf die pflanzliche Ernährung im großen Stil fördern, um endlich von dem ganzen irrsinnigen System wegzukommen, sollte meines Erachtens unser größtes Anliegen sein, auf Innovation und Kreativität zu setzen und es als große Herausforderung zu erachten, noch viel mehr vielfältige vegane Produkte zu entwickeln, die ebenso lecker schmecken wie  knusprige Enten oder gebratene Weihnachtsgänse.

Bei alledem sollten vegane Produkte auch zu moderateren Preisen angeboten und staatlich subventioniert werden. Derzeit sind sie noch einfach viel zu teuer und damit für Geringverdiener schwer erschwinglich. Verbraucher, die präventiv etwas für ihre Gesundheit tun-, damit den Krankenkassen Kosten ersparen und sich ethisch verhalten wollen, sollten in diesem Bestreben unterstützt und nicht ausgebremst werden.


Fotos: Filmplakat und Jane Godall