Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 23. Juni 2016, Teil 3

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Wer Belgien mag, wer Brüder hat und wem Musik etwas bedeutet, der ist hier richtig, denn der neue, 126 Minuten lange Film von Felix van Groeningen hat einen eigenen Ton, den hört, wer ihn begreift.


Die Filmgeschichte, das was komischerweise immer INHALT genannt wird, kann man in Kurzfassung von den Brüdern her erzählen. Da gibt es Jo (Stef Aerts) und da gibt es Frank (Tom Vermeir). Daß sie Brüder sind, darauf käme ein Dritter nicht und auch sie können es irgendwie nicht glauben, denn die beiden sind gar zu unterschiedlich, ja gegensätzlich. Aber eine Kneipe, eben das CAFÉ BELGICA ändert das. Sie gehört dem Jüngeren, Jo, so Mitte zwanzig, dessen Merkmal auch ist, daß er nur ein Auge hat, aber ein Faible für Musik. Seine Kneipe ist in die Jahre gekommen und einfach unschick.

Frank ist der rasante Ältere. Immer hat er ein Projekt, in dem er sich gerade verwirklichen will. Er ist ein rastloser Typ, in dessen Augen die Welt rosarot erscheint und der genug Energien besitzt, mehrere Dinge gleichzeitig laufen zu lassen – und dazu noch mit voller Pulle. Nachdem er nach längerer Zeit seinen Bruder wiedergesehen hat, will er diesem  am Wochenende in der Kneipe aushelfen. Dabei hätte er mit dem Gebrauchtwagenhandel genug zu tun, vom Hausbau ganz abgesehen. Nicht nur seine Frau, die erneut schwanger ist, findet, daß er sich vom Eigentlichen, das ist derzeit der Nestbau, ablenkt.

Jo aber freut sich, denn die Alleinverantwortung rund um die Uhr nervt. Für Frank dagegen tun sich genau die Welten auf, die er liebt. Aus dem verschlafenen Café soll ein richtiges Tanz-Dings werden, wo die Musikgrößen der Zeit gerne gastieren. Frank will und kann sich einer Gruppe von Menschen als ihr Impressario für deren persönliches Glück verkaufen. Und er weiß, was die Leute wollen. Die Live-Bands kommen total an, die Gäste vermehren sich explosionsartig, aus der schmuddeligen Kneipe ist ein angesagtes Szene-Etablissement geworden, das zudem mit hohen Kosten ausgebaut wurde. CAFÉ BELGICA ist Kult! Zudem einer, wo Drogen und Gewaltexzesse dazugehören.

Schon erstaunlich, wenn man den finanziellen Aufstieg der Brüder mitmacht und sich wundert, wie ein Publikum von einer Dauerparty, die hier stattfindet, angezogen wird. Die beiden Brüder reagieren unterschiedlich auf den Erfolg. Für Frank ist es die ersehnte Flucht aus einem überschaubaren Leben. Er hat keinen inneren Halt und verliert sich in den Möglichkeiten, die der Betrieb bietet. All die schönen und auch weniger schönen Frauen, die hier unter Musiklärm und Alkohol leichte Beute werden. Und Frank muß sich noch nicht einmal anstrengen. Die gebratenen Tauben, also auf ihn abfahrenden jungen Dinger, fliegen ihm in den Mund. Nein, das verträgt sich nicht mit einem werdenden Vater, der für die Familie ein Haus bauen sollte und wollte.

Interessanter ist fast, was bei Jo abläuft. Auch er schnupft Kokain – als Frank dies tut, wird er von seiner Frau mit dem gemeinsamen Sohn auf dem Arm dabei erwischt und 'entlassen' – aber in allem ist er mehrere Nummern kleiner als sein Bruder Frank, nur in der Liebe geht es ähnlich schief. Zwar hatte er die Freundin, aber die treibt das erwartete Kind ab. Gegen diese Trauer helfen keine Partydauerveranstaltungen.

Geschickt wird vom Drehbuch ein Ausweg gefunden und gleich ein gesellschaftliches Problem mitverarbeitet. Die Sicherheitsleute. Weiß man längst, daß auch heute einige Kriminelle sich unter den Securitys tummeln, so geht’s hier gleich organisiert zur Sache. Wenn sich nämlich einer nicht dieser Branche bedienen will, sind ganz schnell Schlägertrupps zur Stelle, die dann die zuerst nicht gewollte Sicherheitsfirma auf den Plan rufen.

Das alles aber findet im Dämmern eines heraufkommenden Tages statt. Nichts wird wirklich grell beleuchtet, sondern vieles durch die Blume gesagt. Das nimmt dem Film etwas Moralinsäuerliches und auch dramatische Zuspitzung, es gibt ihm dafür etwas Melancholisches, wie schwierig es ist, die eigenen Wünsche, die sich mit denen von vielen paaren, auch zu verwirklichen.

Doch, das muß man noch dazusagen, daß nämlich der Regisseur das Thema gut aus eigener Anschauung kennt. Von Groeningens Vater führte in Gent so einen beliebten Schuppen, das CHARLATAN, das noch heute existiert und in der Tat als Vorbild für dieses CAFÉ BELGICA dient.