Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 23. Juni 2016, Teil 6

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das Entscheidende ist der Untertitel, der lautet: „Porträt der Fotografin Abisag Tüllmann“, wobei man gleich schon das Wesentliche weiß, auch dann, wenn einem die 1935 in Hagen Geborene und 1996 in Frankfurt Gestorbene gar nichts sagt.


Für viele Frankfurter dagegen ist das anders. Abisag Tüllmann war eine, eine Zeitlang in der Stadtgeschichte omnipräsente Figur, was kein Widerspruch zu ihrer stillen, zurückhaltenden Art war, deren Merkmal eben war, daß sie die Kamera drauf hielt, ganz und gar nicht zurückhaltend und doch nicht scharf oder verletzend, sondern dokumentierend und interpretierend.

Von daher ist der Film von Claudia von Alemann, der lebenslangen Freundin der Fotografin, der schon im letzten Jahr entstand, auch schon in einer besonderen Aufführung in Frankfurt im letzten Jahr gezeigt wurden, sozusagen vor ihren Freunden oder denen, die sie kannten. Jetzt aber läuft der Film bundesweit an und wird am Sonntag im Cinema, mitten in der Stadt an der Hauptwache, mit neuem schicken Entree dazu, ebenfalls im Beisein der Regisseurin, die auch für das Drehbuch und die Produktion verantwortlich ist, gezeigt, was heißt, daß sich eine Diskussion anschließt.

Will man diesen Dokumentarfilm charakterisieren, so müßte man sagen, daß er ein Erinnerungsgewebe an die Fotografin ist, wo diejenigen, die sich erinnern, fast eine genau so große und wichtige Rolle spielen wie die Hauptfigur Abisag Tüllmann. Daß Sie als Ursula Eva Tüllmann geboren wurde, ist eigentlich unerheblich und tatsächlich sollte der sich selbst gewählte Vorname Abisag etwas andeuten, die jüdische Herkunft nämlich, der nach die Mutter in der Terminologie der Nazis Halbjüdin war. Sicher wichtig für das Vertrauen der Tochter in die Eltern war die Tatsache, daß der Vater der gefährdeten Ehefrau wegen 1937 sein Unternehmen verkaufte, was falsch ausgedrückt ist, denn er war gezwungen sein Unternehmen zu verkaufen, wollte er seine Frau behalten.

Der Vater starb aber noch vor Kriegsende, Mutter und Tochter kamen in Wuppertal unten, wo die junge Tüllmann auch Schule und Ausbildung absolvierte. Nein, nicht die Fotografie als erstes, sondern ein Tischlerpraktikum und vier Semester Innenarchitektur. Das manuelle Tun und das  Gestalten war also ihr Ding, was sie nach Abbruch der Studien fortsetzte durch technisches Zeichnen und in der Werbefotografiebranche. Dann änderte ihr Kommen nach Frankfurt 1957 alles. Von der Pike auf lernte sie als Volontären ein Jahr lang bei einem bekannten Frankfurter Werbefotografen und schon war sie angesagt bei den drei Frankfurter Zeitungen, die alle drei ihre Bilder veröffentlichten: Die Frankfurter Neue Presse (FNP), die Frankfurter Rundschau (FR) und die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ). Kein Wunder, daß sich der Name Abisag Tüllmann hierzulande rasch herumsprach.

Der Film will aber etwas anderes. Er will nicht die den Damaligen bekannte Fotografin wiederentdecken, sondern er will sowohl denen, die sie kannten, wie den Jüngeren, die Frau hinter der Kamera zeigen. Wenn der Film heißt DIE FRAU MIT DER KAMERA soll also stärker als das Ergebnis das Fotografieren dieser Fotografin als Ausdruck ihrer Person in den Mittelpunkt gestellt werden. Man merkt den vielen so positiven Aussagen zum Werk der Tüllmann durch ihre Mitstreiter – allen voran die weitaus bekanntere Barbara Klemm – an, daß sie empfinden, es sei etwas gutzumachen an dieser Fotografin, an diesem Menschen, die so relativ früh starb.

Den anderen Freunden, vor allem Freundinnen, wie auch der Regisseur Claudia von Alemann, in deren Beiträgen merkt man die nachgetragene Liebe an. Sie bringen zum Ausdruck – und darin treffen sich dann alle – daß weder die Person noch das Werk der Tüllmann in der heutigen Bundesrepublik seinen angemessenen Platz hat.

Das ist deshalb interessant, weil Abisag Tüllmann in der Tat wie keine Zweite die Fotografin der alten Bundesrepublik war. Sie hat quer durch alle sozialen und auch politischen Lager die Kamera bedient und ist vor allem in den Theatern und Opern Westdeutschlands zu Hause gewesen. In Frankfurt zu leben, hieß sicherlich im Zentrum der Modernisierung und Amerikanisierung diese Veränderungen der deutschen Gesellschaft abzulichten. Sie war darüberhinaus ein politischer Mensch. Was der Auschwitzprozeß ab 1963 bedeutete, das hat sie im Foto dokumentiert , genauso wie sie den Häuserkampf im Frankfurter Westend, wo sie auch wohnte, ins Foto bannte.

Dann aber galt ihr Blick und der Griff zum Auslöser auch den 'normalen' Menschen, insbesondere denen, die in der sozialen Abwärtsbewegungen alleine blieben. Ihre Fotografien sozialkritisch zu nennen, wäre dennoch nicht ganz richtig. Sie bildet Menschen ab. Daß sie zudem auch in Algerien, Rhodesien und Israel fotografisch unterwegs war, ist ein weiterer Aspekt, den wir vertiefen wollen, wenn wir die nächsten Aussagen zu diesem Film formulieren.