Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 30. Juni 2016, Teil 4

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wir hörten in der Filmbesprechung bei den zwei miteinander befreundeten Männern auf, die beide Lou Andreas-Salomé einen Heiratsantrag gemacht hatten, den Sie ablehnte: die Philosophen Paul Rée Friedrich Nietzsche.


Das ging übel aus. Die beiden entzweien sich aus Eifersucht und beide Männer können den auf sie gerichteten Besitzanspruch nicht aufgeben, Lou zieht weiter und studiert weiter und trifft mit dem Orientalisten Friedrich Carl Andreas das Arrangement einer Ehe, ohne im biblischen Sinne Mann und Frau zu sein. Er ist 15 Jahre älter und dann ereilt sie das, was sie vermeiden wollte. Sie verliebt sich. Rainer Maria Rilke, der 15 Jahre jünger ist und der Mann ihres Lebens wird. Wir mögen diese Liebe  nicht qualifizieren, der oft etwas Mütterliches nachgesagt wird, aber in ihr löst sich die körperliche Blockade, denn sie wird noch mehrere Liebhaber haben und Leidenschaft erleben.

Mit Rilke geht sie in ihre russische Heimat, wo beide Tolstoi begegnen und dann kommt der nächste Mann ins Visier, der ihr den Geist weitet: Sigmund Freud in Wien, dessen gelehrige Schülerin sie wird....Dies alles erfahren wir in den Gesprächen zwischen Pfeiffer und der sich ihren Erinnerungen überlassenden Lou. Beide verbrennen dann auch gemeinsam noch das, was der Nachwelt nicht in die Finger fallen soll und vor allem nicht die Nationalsozialisten, die längst auftrumpfen und in allem das Gegenteil dessen vertreten, was Leben und Werk dieser Frau ausgemacht haben.

Die dreifache Verkörperung von Lou Andreas-Salomé durch die verschiedenen Schauspielerinnen gelingt eindrucksvoll, wobei insbesondere Katharina Lorenz auf der Leinwand manchmal der echten Lou so ähnlich sieht, daß man einen leichten Schock erhält. Ein wichtiger Film!

Das mußte zum Film gesagt werden und nun eine Zusammenschau der eigenen Bibliothek, wo zum eigenen Staunen acht Werke sich fanden. Das einzige Buch, das wir haben, das von ihr selber, die ja damals viel veröffentlicht hatte, geschrieben ist, ist LEBENSRÜCKBLICK. Grundriß einiger Lebenserinnerungen, im Insel Verlag  1968 erschienen. Da finden sich auch Fotos der ganz jungen Louise sowie Bildnisse der Eltern Gustav und Louise  von Salomé und ihr eigenes Jugendbildnis, wo sie Ljola genannt wurde.

Liest man sich ein, erkennt man, daß die Filmemacherin und Drehbuchschreiberin Cordula Kablitz-Post sehr viel originales Material zur Verfügung hatte, wobei natürlich den Selbstbeschreibungen gegenüber immer Vorsicht geboten ist. Was will jemand von sich zeigen, wie will er vor der Öffentlichkeit erscheinen. Lebenserinnerungen und Autobiographien sind ja ja keine Wahrheiten, sondern die Sicht auf sich selbst, die die Um- und Nachwelt einnehmen soll. Man liest sich in dem 319 Seiten Inselbüchlein sofort fest. Und wenn Sie mehr über die Männer in ihrem Leben wissen wollen, sind Sie hier auch richtig.

 Ja, Ernst Pfeiffer, ihre Begleitperson im Film, hat es herausgegeben und es handelt sich genau um das Buch, das im Filmgeschehen erst zu werden verspricht, hier also heißt es darum: „Aus dem Nachlaß herausgegeben von E.Pf.“

Uns hat das Vorblatt elektrisiert: Dort steht

„Menschenleben – ach!
Leben überhaupt – ist Dichtung.
Uns selber unbewußt leben wir es, Tag um
Tag wie Stück um Stück, - in seiner
unantastbaren Ganzheit aber
lebt es, dichtet es uns.
Weit, weitab von der alten Phrase vom
'Sich-das-Leben-zum Kunstwerk-machen';
wir sind nicht unser Kunstwerk.“

Lou Andreas-Salomé


Ziemlich abgegriffen, wir haben es wohl oft in der Hand gehabt oder auch verliehen, ist von H.F. Peters LOU-ANDREAS SALOME (der Bindestrich steht hier wirklich nach Lou!) . Das Leben einer außergewöhnlichen Frau  in den Heyne Biographien von 1962, eine Übersetzung aus dem Amerikanischen. Da geht es in die Vollen: „Ihre geniale Natur zog bedeutende Männer an, die sich oft leidenschaftlich an sie gebunden fühlten. Lou kannte Wagner und Tolstoj, Buber und Hauptmann, Strindberg und Wedekind, Rilke und Freud.“ (Seite 9) Dabei waren es ja noch viel mehr, wie wir längst wissen. Hier auf jeden Fall wird mit Hochachtung und Sympathie von einer Rebellin gegen jede überkommene Autorität und von der schöpferischen Freiheit der Erotik gesprochen.

Interessant, das Buch, das LOU ANDREAS SALOMÉ heißt und ebenfalls bei Heyne erschienen ist hat den Untertitel FEMME FATALE UND DICHTERMUSE, ist 1995 erschienen, aber just dasselbe wie das obige. Der neue Umschlag und der neue Titel lassen an ein neues Buch denken! Aber da es ein gerade für den neugierigen Normalleser interessantes Buch ist, lassen wir das gut sein.

Fritz F. Podach, Friedrich Nietzsche und Lou Salomé. Ihre Begegnung 1882 aus dem Verlag Max Niehaus, Zürich und Leipzig trägt leider kein Datum, aber ist das älteste und wohl aus der elterlichen Bibliothek überkommen. So ausführlich wie nirgends erfahren Sie hier sowohl das Zusammentreffen wie auch die Trennung der beiden und das ärgerliche Sicheinmischen der misogynen Schwester wird ausführlich dargestellt. Der Anmerkungsapparat ist immens und man erfährt viel Neues.

Und jetzt merken wir erst, daß wir ein weiteres Buch der Verfasserin LAS besitzen: FRIEDRICH NIETZSCHE IN SEINEN WERKEN, es ist die Neuauflage 1994 aus dem Insel Verlag einer älteren Ausgabe des Verlgas von 1983 und ebenfalls von Ernst Pfiffer herausgegeben und mit Anmerkungen versehen. Daraus lernen wir jetzt schon, daß es dringlich ist, sich die Sicht von Ernst Pfeiffer auf sein Objekt genauer anzuschauen, denn natürlich sind das noch einmal zwei Sachen: die Verfasserin und ihr Interpret. Aber das überwiegende Buch sind ja die Aussagen der Autorin, die über Friedrich Nietzsche in seinen Werken spricht: Sein Wesen, seine Wandlungen, das System „Nietzsche“. Und auch hier gilt dasselbe wie oben gesagt. Wir sehen Nietzsche durch die Brille der Lou Andreas Salomé. Und das ist spannend. Leider ist man dann schnell versucht, original bei Nietzsche nachzuschlagen, was die Lektüre verlängert und den Artikel verspätet.

Irmgard Hülsemann hat mit LOU. DAS LEBEN DER LOU ANDREAS SALOMÉ, herausgegeben 1998 bei Claassen die letzte hier vorrätige Biographie verfaßt. Das dicke Buch, das dankenswert auch eine Bibliographie sowohl der eigenen Werke wie auch der Biographien über sie und dann noch der Bücher, die im Zusammenhang mit Lou von der Autorin zitiert werden, hat leider ebenfalls nur wenige Bilder, die immer wieder in allen Büchern auftauchen. Das ist schade, es muß doch sehr viel mehr Bilder geben. Oder sind die genau dem Verbrennen zum Opfer gefallen, von dem der Film am Ende berichtet. Daß die Nazis nichts mehr zu finden hatten.

Zwei weitere Bücher reihen Lou Salomé ein. Barbara Hahn gibt in der Beck'schen Reihe FRAUEN IN DEN KULTURWISSENSCHAFTEN heraus, mit dem Untertitel VON LOU ANDREAS-SALOMÉ BIS HANNAH ARENDT. Ausgangspunkt ist der tiefe Riß durch Deutschland, den der Nationalsozialismus vollendet hat, nachdem hier später als anderswo erst 1908 die preußischen Hochschulen für Frauen geöffnet worden waren. Der Aufsatz von Ursula Renner über LAS beschreibt das Dilemma, das einem beim Lesen der Biographien auffällt, daß nämlich die von LAS verfaßten Schriften nicht mehr erhältlich, vergessen, nicht mehr gelesen sind. Dabei klingen allein die Titel spannend, denn die Jahrhundertwende um 1900 war ja gerade in der Dynamik von Männer-Frauen-Beziehungen virulent. Strindberg ist nur ein Zeichen, LAS hat über Ibsens Frauengestalten geschrieben. So erfahren wir, daß sie auch kultur- und religionsphilosphische Arbeiten schrieb und kunstkritische dazu. Es muß ja auch einen Grund haben, daß Männer wie Nietzsche, Rée, Rilke, Freud...von ihr so fasziniert waren. Das Buch lohnt übrigens auch sonst, weil man einige vergessene Frauen kennenlernt.

Das gilt auch für LEXIKON DER REBELLINNEN von A bis Z, das Florence Hervé und Ingeborg Nödinger im Econ & List Taschenbuchverlag 1999 herausgegeben haben und wo wir auf Seite 12 auch LAS finden, vereint mit vielen Frauen, die mit den Lebensverhältnissen der Menschen ihrer Zeit, eben auch der Frauen nicht einverstanden waren.

Übrigens: Anlaß der eigenen Bücherschau zu Lou Andreas Salomé war und ist ja der Film, der gerade angelaufen ist. Da ist uns mehrfach, wenn wir Begebenheiten lasen, die auch im Film eine Rolle spielten, der Film als Video im Kopf abgelaufen. Oder besser als Standbild, als Still. Aber darüberhinaus haben wir insbesondere die Lebensbeschreibungen durch die Autorin selbst immer mit dem Gesicht der Katharina Lorenz verbunden, die im Film die erwachsene Lou spielt. Es war uns ihre Dichte der Erscheinung auch beim Filmzuschauen aufgefallen. Wie sehr sie aber diese Rolle auch körperlich besetzt, das erkennt man erst, wenn man später von und über Lou Andreas Salomé liest und immer Katharina Lorenz vor sich sieht. Ein größeres Kompliment kann man dieser Schauspielerin nicht machen! Schauen Sie selbst.

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