Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 22. September 2016, Teil 8

Hanswerner Kruse

Berlin(Weltexpresso) - Wir treffen uns im edlen Hotel Roma, in dem die Film-Agenturen gerne Interviews organisieren. Anne Zohra Berrached, die Tochter einer Thüringerin und eines Algeriers schafft es sofort, die etwas steife Hotelatmosphäre aufzulösen. Trotz des eigentlich ernsten Themas lacht sie viel, hat Spaß an dem Zweiergespräch - und ist überaus engagiert.

Sie ist so voller Leidenschaft für ihre Ideen, dass man sich sofort vorstellen kann, wie schnell sie ihre Produzenten von dem neuen Filmstoff überzeugen konnte. Bei ihr gehen die Ideen, das Thema, die ausgefeilten Figuren dem Casting voraus, dann erst sucht sie die Schauspieler aus. Nach dem Studium der Sozialpädagogik hat sie zunächst Dokumentarfilme gedreht, das hat wohl ihren Blick auf die Welt geprägt.


„24 Wochen“ - ein sogenannter Abtreibungsfilm - kommt zunächst ins Kino, dann ins ZDF. Meinen Sie, das wird einen Aufschrei geben?


Das wäre doch gut, das wünschen wir uns, denn ich habe als Regisseurin alles getan, um einen Film zu machen, der die Leute berührt und zum miteinander Reden anregt. Julia Jentsch spricht uns ja einige Male direkt mit ihrem Blick an und fragt dadurch, „was würdest Du denn tun?“

 


Wie konnten Sie die Produzenten und das ZDF vom Thema überzeugen?


Auf der einen Seite habe ich ja schon mit meinem ersten Langfilm „Zwei Mütter“ bewiesen, dass ich es kann. Andererseits haben die wohl gedacht, die ist jung und wild, lassen wir sie doch mal was Neues versuchen. Denen war vielleicht gar nicht klar, was für eine Qualität dieser Film kriegen könnte - (lacht) wir wussten das ja, doch damit haben wir alle erstaunt.

 


Der Film ist keine sozialpädagogische Schmonzette...


(lacht laut, „schreiben Sie das bloß nicht!“)

 


...KEINE Schmonzette!


...Ja, das Thema ist wichtig und natürlich auch brisant, aber man hätte das sehr langweilig machen können. Deshalb habe ich als Regisseurin ja Gegengewichte geschaffen, Bjarne Mädel ist als Komiker bekannt und Julia Jentsch spielt eine Kabarettistin, die Leute zum Lachen bringen muss. Trotz des Dramas gibt es also immer wieder auch leichte Momente.


Ich wollte keine Schauspieler haben, die man schon so oft in diesen Rollen gesehen hat, die beiden müssen wirklich was anderes machen: Bjarne hat fast immer nur komische Filme gedreht, aber er war sofort begeistert von dem Drehbuch. Julia als Kabarettistin auf der Bühne ist wiederum ein Gegensatz zu ihren sonstigen Rollen. Dramatische Dinge kann sie spielen und große Emotionen zeigen auch, aber Kabarett war für sie ein Rätsel. In sechs Wochen hat sie eine Ausbildung bekommen und wurde gecoacht, dann musste sie auf eine echte Bühne vor echte Zuschauer, wenn die nicht gelacht hätten dann...

 


...das war echtes Kabarett?


Ja, die Realität muss in die Fiktion rein, ich wollte eine reale Show haben, das Publikum war echt. Ich möchte sowieso, dass die Schauspieler im Dreh an ihnen unbekannte Orte kommen, ihnen fremde Personen zuvor nicht treffen. Dadurch komme ich an möglichst glaubwürdiges Schauspiel heran. Ich habe gesagt, Leute es ist alles möglich, Hauptsache ihr spielt echt! Echt bedeutet für mich, dass die Akteure in keiner Komfortzone sind. Sobald sie sich sicher fühlen, wird auch das, was sie sagen sehr sicher. In der realen Welt sind wir aber nicht sicher, wir üben nicht, was wir sagen...wir sind im Moment.
Die Schauspieler müssen einfach im Moment sein! Wenn das nicht klappt, fangen wir nochmal und nochmal an. Dann gibt es diesen, ich sag mal Wahrheitsmoment, da hat man das Gefühl, das ist wirklich passiert. Das spüren dann alle im Team, dann ist es plötzlich ganz still, da raschelt niemand mehr.

 


Das Casting und die Recherche für den Film waren sehr aufwendig, Sie haben mit echten Ärzten, Hebammen und Krankenschwestern gearbeitet?


Echte Ärzte anzurufen und sie zu fragen, ob sie mitspielen wollen...das ging überhaupt nicht. Wir haben uns was Neues ausgedacht: Ich bin auf Recherche gegangen, habe mich mit Ärzten getroffen und über das Thema und Drehbuch geredet. Im Gespräch habe ich eine Beziehung aufgebaut und herausgefunden, eignet sich derjenige eigentlich als Film-Arzt oder nicht?
Die besonders sicheren Laien vergessen alles drumherum und sind stark im Moment. Ich habe mit 50 bis 100 Ärzten je Rolle gesprochen, bis ich die Richtigen gefunden habe. Aber ich habe bei jedem  Treffen dazu gelernt. Sie können sich vorstellen, wie gründlich das Buch recherchiert wurde (lacht).

 


Viele Kollegen sahen „24 Wochen“ als Favoriten für einen Bären, sie haben aber auch zugegeben, im Film geweint zu haben. Das ist für Filmkritiker ganz ungewöhnlich.


Was ich bei der Berlinale so stark fand, war der unmittelbare Kontakt mit den Zuschauern. Danach war ich mit dem Film auch auf weiteren Festivals und habe ebenfalls viel direktes Feed Back bekommen, ich habe gespürt, wie der Film ankommt. Uns ist ein Film gelungen, der tief berührt, über den Menschen mit anderen Menschen sprechen. Ich bekomme Briefe von Leuten, die mir sagen, ich würde niemals eine Abtreibung machen, aber ich verstehe viel mehr, warum sich Frauen so entscheiden. Es gibt so viele Gründe dagegen und dafür, man fühlt im Film die Schwere der Entscheidung.


Alles was wir wollten geht auf, wir sind stolz, dass der Film Leute berührt, nicht dass er auf der Berlinale lief!


Gab es bis jetzt eigentlich negative Reaktionen von Behindertenverbänden oder den Kirchen?


Nee, die gab’s noch nicht, es ist eigentlich alles sehr viel ruhiger als ich vorher dachte, sehr viel positiver. Ich hatte angenommen, dieser Film würde viel mehr polarisieren. Die Kritiken sind gut, auch der direkte Kontakt mit den Leuten zeigt mir ja, wie die das auffassen. Die Entscheidungen fallen dem Mann und der Frau, die sich ja letztlich alleine entscheiden muss, unheimlich schwer. Aber sie ist keine Heldin sondern eine ganz normale Frau.

 

Foto: (c) Vangelis Anthimos

 

Info I:
D 2016.
Regie: Anne Zohra Berrached
Darsteller: Julia Jentsch, Bjärne Mädel, Johanna Gastdorf, Emilia Pieske, u.a.
Kamera: Friede Clausz
Laufzeit: 103 Minuten
Verleih: Neue Visionen

 

Info II:

Es handelt sich bei 24 WOCHEN des Themas wegen tatsächlich um einen besonderen sehr beachtlichen Film, den Weltexpresso begleitet hatte, von der Aufführung im Wettebewerb der Berlinale bis hin zu verschiedenen Filmpreisen.

Hier der Berlin Bericht


https://www.weltexpresso.de/index.php/kino/6600-24-wochen

 

Weitere Berichte

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https://www.weltexpresso.de/index.php/kino/7276-24-wochen-doppelt-erfolgreich

 


Über die Auffuührung am 4. Oktober im Deutschen Filmmuseum Frankfurt in Anwesenheit der Regisseurin

https://www.weltexpresso.de/index.php/kino/8011-der-oktober-im-deutschen-filmmuseum-frankfurt