Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 29. September 2016, Teil 11

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – In der Tat kann man auf diesen Film nicht mit einer herkömmlichen Filmrezension antworten, zu sehr sind die Verbrechen der Nazis in ihren massenhaften Ermordungen im Namen einer angeblichen Euthanasie immer noch unbekannt.



So sehr sich die Tatsache, daß die Insassen ganzer Heilanstalten ermordet, ja ausgerottet wurden, inzwischen dem aufgeklärten Teil der Deutschen bekannt ist, so wenig sind doch Einzelschicksale geläufig. Und gerade diese – das zeigte die US-Fernsehserie FAMILIE WEISS in den Achtzigern – vermögen doch bei Uninteressierten oder Verstockten das aufbrechen, was unter dem Deckel gehalten wurde. Dieser Film NEBEL IM AUGUST hat demnach eine wichtige Funktion vom Weitersagen, wie es wirklich war, und spricht eben auch von einem Jungen, den man auch heute zu kennen glaubt: bißchen ruppig, bißchen antiautoritär, freche Streiche, nicht pflegeleicht, aber mit einem guten Kern.

Und er ist schlau und kann kombinieren, denn er ist es, der dem netten Arzt Veithausen auf die Schliche kommt, daß der nämlich mit netten Worten ganz Schwache nicht stark spritzt, sondern in den Tod spritzt. Mit seinem Wissen bleibt er nicht alleine. Und wir auch nicht. Denn bisher wurde der Film eigentlich durch die nicht vorhandene Brille des Jungen erzählt, wir erleben alles mit ihm mit. Aber nun spielt  die Umwelt in der Klinik eine größere Rolle. Denn auch die kirchliche Krankenschwester Schwester Sophia (Fritz Haberlandt) bekommt den Zusammenhang mit Spritzen und Tod, sodann mit Safttrinken und Tod mit, und im Augenspiel mit Ernst handelt sie entschlossen, als es nötig ist. Die kleine schwache Nandl, die Veithausen als nächste in Tod schicken will,  wird von ihr versteckt.

Und als sie zur Rede gestellt, auch deutlich sagt, daß sie beim Morden nicht mitmachen und dies anzeigen wird, bekommt sie als Aufsicht eine der aufdringlich selbstsicheren NS-Krankenschwestern (Henriette Confurius) vorgesetzt, die das Morden für sie übernimmt. Wie infam diese Leute vorgingen, das dürfen wir miterleben. Denn nun wird längst nicht mehr eine Spritze verabreicht, das Gift soll geschluckt werden und damit es niemand merkt, wird es in den Himbeersaft getan, denn den trinken Kinder doch so gerne.

Inzwischen ist längst die große Lösung in der Diskussion. Denn alle per Spritze abzuschlachten, ist – technokratisch in der Diktion der Nazis gesprochen – viel zu aufwendig und teuer. Andere Lösungen müssen her. Und eine hat sich der muntere und inzwischen völlig unsympathische Veithausen ausgedacht, die so sensationell klingt, daß er nach Berlin zitiert wird, wo in einer größeren Konferenz der NS-Ermordungsfachleute über eine günstige Variante der Auslöschung so vieler Leben nachgedacht wird.

Das sind gespenstische Szenen, die wir hier nicht nacherzählen wollen, weshalb aber in folgenden Artikeln der historische Hintergrund, wie ihn das Filmheft darstellt, wiedergegeben wird. Es handelt sich um die Aktion T 4, die auf Vorschlag von Veithausen  durchgeführt wird, dann aber so viel Aufsehen erregte, so daß sie Anfang August 1941 von Hitler gestoppt wurde. Insbesondere die Predigten des Münsteraner Bischofs Clemens August Graf von Galen spielen dabei eine Rolle.

Der gute Katholik, der seine Religion ernst nahm, war von Beginn an gegen die Nazis, wurde aber auf der Kanzel öffentlich, als das Euthanasieprogramm umgesetzt wurde.  So hielt er am 3. August 1941 in Münster eine Predigt, die mit nichts hinter dem Berg hielt. Nur zwei Passagen aus der berühmten Predigt, die er in der Kirche St. Lamberti in Münster hielt:

„Seit Monaten hören wir Berichte, dass aus Heil- und Pflegeanstalten für Geisteskranke auf Anordnung von Berlin Pfleglinge, die schon länger krank sind und vielleicht unheilbar erscheinen, zwangsweise abgeführt werden. Regelmäßig erhalten dann die Angehörigen nach kurzer Zeit die Mitteilung, der Kranke sei verstorben, die Leiche verbrannt, die Asche könne abgeliefert werden.

Allgemein herrscht der an Sicherheit grenzende Verdacht, dass diese zahlreichen unerwarteten Todesfälle von Geisteskranken nicht von selbst eintreten, sondern absichtlich herbeigeführt werden, dass man dabei jener Lehre folgt, die behauptet, man dürfe so genanntes lebensunwertes Leben vernichten, also unschuldige Menschen töten, wenn man meint, ihr Leben sei für Volk und Staat nichts mehr wert, eine furchtbare Lehre, die die Ermordung Unschuldiger rechtfertigen will [...].“


Und dann sagen inzwischen alte Deutsche noch heute, sie hätten von nichts gewußt. Die Münsteraner Katholiken können sich damit nicht herausreden. Die anderen übrigens auch nicht. Denn das Isolieren, Verschicken, Enteignen und Ermorden  von Juden, 'Politischen', Zigeunern und nun auch Geisteskranken oder zu solchen Erklärten, war allgemein bekannt.

Der Film ist in diesen Passagen in Berlin sehr informativ, was den menschlichen Umgang und das Obrigkeitsgehabe der führenden Schicht angeht. Was unseren Ernst im Film betrifft, so hätte man ihm so gerne ein Weiterleben gewünscht, aber es ist ehrlich, daß der Film das zeigt, was war. Auch er wurde umgebracht. Zuvor hatte er mit Nandl und dem Geschenk seines Vaters zu fliehen versucht. Vergeblich.

Fortsetzung folgt

Kommentar:
Zu sprechen muß sein über die außerordentliche schauspielerische Leistung des jungen Ivo Pietzcker. Man kann sich einfach keine bessere Besetzung vorstellen, was in diesem Film nur für ihn gilt, der ja auch die Hauptrolle spielt. Ivo Pietzcker fiel schon in dem Film JACK auf, ein anderes Thema. Ivos präzises Spiel zwischen Aufsässigkeit und Gemochtwerdenwollen ist einfach eine beachtliche schauspielerische Gratwanderung, die vollkommen natürlich rüberkommt.


Foto: Ernst Lossa (Ivo Pietzcker) mit seinem Vater Christian Lossa (Karl Markovics). Das Filmbild gibt genau wieder, daß sich die beiden leidenschaftlich und auf der selben Ebene begegneten, ja der Vater dauernd eine Bringschuld fühlte und hatte, der er aus nicht selbst zu verantworteten Gründen nicht entsprechen konnte.

 

Info: NEBEL IM AUGUST

Regie: Kai Wessel
Drehbuch: Holger Karsten Schmidt
nach Motiven des gleichnamigen Tatsachenromans von Robert Domes

mit
Sebastian, Koch, Fritz Haberlandt, Henriette Fonfurius, David Bennent, Karl Markovics
und Ivo Pietzcker als Ernst Lossa


Eine Ulrich Limmer Produktion u.a. STUDIOCANAL Film