Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 13. Oktober 2016, Teil 2

Sibylla von Suden

München (Weltexpresso) – Das gibt es also auch. Es gibt die Bücher vor dem Film, aus denen Literaturverfilmungen werden – wie gerade so gelungen Tschik - , es gibt die Bücher nach dem Film, die also das Drehbuch und die gefilmte Handlung nacherzählen und deshalb heißen: DAS BUCH ZUM FILM.


Und warum solche nachträglichen Bücher zum gedrehten Film so beliebt sind, das hat auch damit zu tun, daß im Buch sich Filmfotos wiederfinden – und hier sogar ausgesprochen viele, so daß wir sogar Lust bekamen, wieder einmal das zu versuchen, was der große Renner in den Fünfziger Jahren war: der Foto-Roman. Tatsächlich sind die reichlich abgedruckten Fotos so aussagekräftig, daß man mit ihnen eigentlich diesen Roman beginnen sollte.

Und dann erlebt man beim Lesen Überraschungen. Mark Stichler heißt der Autor, der das Drehbuch von Mike Marzuk und Thomas Sieben in Prosa umgeschrieben hat. Und er hat es auf diesem 188-Seiten-Buch gut gemacht! Das schon mal vorneweg. „Das ist die unglaubliche Geschichte von Tom Bender. Eigentlich war Tom wie jeder andere ganz normale Junge von nebenan. Aber eben nur eigentlich...Er war nett und freundlich, hatte das Abitur mit Bravour bestanden und war auf dem besten Weg, im Herbst sein Medizinstudium zu beginnen. Doch kurz nach dem Abi...“

Wer den Film schon kennt, der weiß nun, was kommen muß. Denn es ist für Jugendliche und junge Männer (für Mädchen genauso!) der Supergau, wenn öffentlich über ihre Sexualität gesprochen wird. Und wie schlimm ist es erst, wenn über das nicht vorhandene Erste Mal gespottet wird, der Initiationsritus zum Mannwerden. Und genau das passiert dem netten Jungen von nebenan bei seiner Abiturfeier, wo er, nachdem alle möglichen Preise an Mitschüler vergeben wurden, auch aufgerufen wird und von seinem Intimfeind, der den Conferencier spielt, hören muß: „'Neben mir steht eine sehr seltene Spezies Mann“, sagte Cornelius süffisant ins Mikro. Tom sah ihn irritiert an. Was konnte er meinen? Cornelius zögert nicht, alle aufzuklären , und fuhr fort: „Darf ich vorstellen: die letzte männliche Jungfrau des Abijahrgangs. Tom...Bendeeeer.'“

Autor Stichler gibt dann in seinen Worten wieder, was wir beim Zuschauen denken, daß nämlich die versammelten Abiturienten Momente brauchen, bis sie kapieren, was da gesagt wurde – und dann ist der Lachsturm nach der Stille das Gemeinste, was einem widerfahren kann. Tom wird knallrot, aber auch stocksteif, unfähig irgendwie zu reagieren. Dabei ist Cornelius noch lange nicht fertig: „'Lieber Tom. Um diesem Zustand nun endlich ein Ende zu bereiten, hab ich ein ganz persönliches Geschenk für dich.“ Und dann zieht er unter dem Johlen der Menge eine aufblasbare Gummipuppe hervor, die mit nichts als einem hauchdünnen Slip bekleidet war.“

Cornelius verhöhnt ihn noch weiter und gibt an, was er mit der gefühlsechten, robusten und abwaschbaren Frau nun machen kann...Wenn nun die Meute: „Fick sie!-Fick sie!-Fick sie..skandiert und im Rhythmus klatschen, sind wir beim Lesen genauso erstarrt wie im Film. Kann man sich das bei Abiturfeiern vorstellen? Auf jeden Fall steht Tom erstarrt da und hört Cornelius noch zischen: „'Darauf hab ich sieben Jahre gewartet...'“ - und dann erfahren wir, daß der einst zarte Knabe Cornelius in der von Tom zu verantworteten „Dildo-Affäre“ vor sieben Jahren als Elfjähriger einen derartigen Schock erhielt, von dem ihn nur eine langwierige Therapie geheilt hatte. Also, das ist starker Tobak, zumal eine erfolgreiche Therapie solche Rachegedanken nicht gezüchtet hätte.

Aber wir sind schon auf Seite 37, wollten den Dreh- und Angelpunkt des Films aber ausführlich vorstellen. Auf den ersten Seiten kommt nämlich erst einmal etwas völlig anderes und die andere, die gute Seite der Geschichte. Da geht es um die Freundschaft vom dicken, lebenslustigen, starken, phantasiebegabten Dodie zu Tom und umgekehrt. Dodie ist der, hinter dessen breitem Rücken sich Tom gut schützen konnte, bzw. eigentlich ist es umgekehrt. Es ist Dodie, der Tom schützen will. Und das tut er auch nach obiger Szene. Während Tom wie erstarrt überhaupt nicht reagieren kann, hat Dodie den gemeinen Cornelius längst kopfüber in die Sahnetorte gesteckt.

Es geht also in diesem Buch zuvörderst um Freundschaft und Feindschaft zwischen Jungens. Natürlich kommen in dem Alter nun die Mädchen ins Spiel. Denn eigentlich war es Jessy, die Tom anhimmelte und nun hält er die Puppe im Arm, die, das sei noch verraten, durch einen Stromschlag lebendig wird. Und das war's dann mit der gemütlichen Nachabizeit! Denn nun wird Tom durch die attraktive FIXI – so heißt sie laut Etikett – zum Objekt der Begierde. Von Mann und Frau. Denn die Jungens wollen FIXIS Körperlichkeit wegen in seiner Nähe sein – und die Mädchen. Doch, das ist schon richtig beobachtet, bei denen steigt Tom im Kurs, weil sich so eine verführerische Fixi an ihn heftet.

Dadurch das das Buch auch die Gedanken der Betroffenen in Worte faßt, ist das Geschehen viel leichter zu ertragen, weil man die Motive ihrer Reden in den Köpfen spazieren sehen kann. Aber es bleibt eine Krux von Film und Buch, daß die meisten Pennälerwitze irgendwie für Jüngere gelten. Abiturienten, die stellt man sich dann doch etwas erwachsener vor. Aber das können die nur selbst beurteilen. Urteile von anderen über Jugendliche und Jugendliteratur sind schwer.

Weil Film und Buch das Eigentliche, daß man nämlich seinen eigenen Weg gehen soll und auf die innere Stimme hören und das eigene Wesen zum Ausgangspunkt für andere, auch für Freundschaften machen soll, nicht mit dem Holzhammer, sondern mit der Gummipuppe servieren, hat man mit diesem Buch zum Film auch dann gewonnen, wenn man den Film gar nicht gesehen hat. Für uns war hier das Buch mehr wert als der Film, bei dem das Schablonenhafte und Frauenfeindliche doch ziemlich auffällt. Beim Buch nicht.

 

Foto: Cover

Info I:

Darsteller: Jascha Rust, Lisa Tomaschewsky, Roland Schreglmann, Lucas Reiber, Ruby O. Fee, Nina Kronjäger u.v.a.
Produzenten: Ewa Karlström, Andreas Ulmke-Smeaton
Koproduzent: Martin Moszkowicz
Drehbuch: Mike Marzuk und Thomas Sieben
Regie: Mike Marzuk

 

Info II: Mark Stichler, Verrückt nach FIXI. Das Buch zum Film, Schneiderbuch Egmont 2016