Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 13. Oktober 2016, Teil 6

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Erstaunlich, wie es Regisseur und Drehbuchschreiber Dani Levy gelingt, mit einer auf Schräg gebürsteten Familie den ganz normalen Alltagswahnsinn von alleinerziehenden Müttern und ihrem Anhang ins rechte Lot zu setzen: Heldinnen des Alltags, wie Mimi (Katharina Schüttler) im Bild.


Wobei wir erst einmal nur von Mimi Wunderlich sprechen wollen, der Katharina Schüttler ein pragmatisches, die Nackenschläge wegsteckendes hoffnungsfrohes bis verzweifeltes Gesicht gibt  und die die einzige „Normale“ in DIE WELT DER WUNDERLICHS ist. Ob sie es bleibt, sei dahingestellt, denn die Anforderungen an sie sind gewaltig. Da ist der immer noch kleine, aber schon durchtriebene Sohn  Felix (EWi Rodriguez), der gerade stolz auf seine letzte Heldentat ist. Er hat die Lehrerin in den Schrank gesperrt und den Schlüssel hochdramatisch ins Klo geworfen. Wenigstens sagt er das. Was macht eine Mutter da? Sie eilt zur Hilfe. Hilfe für den Sohn und für die Rettung der Lehrerin und des Schulfriedens, auch wenn dies – da ist ihr Vorgesetzter deutlich – die Kündigung für ihren Job an der Kasse des Elektronikmarktes bedeutet..

Zwischendrinnen – nicht jede Szene haben wir im Ablauf noch genau im Kopf – kommt der Vater ins Spiel, den Peter Simonischek irgendwie als Verlängerung und  ins Krankhafte, Zugespitzte seiner Vaterrolle aus TONI ERDMANN angeht. Das meinen wir nicht als Kritik, sondern als höchstes Lob, weil er dem Alltagswahnsinn, dem Mimi ausgesetzt ist, noch eine skurrile Note verleiht. Ihm ist nämlich eigen, daß er, wenn er nun das Krankenhaus verlassen möchte, einem als der Chefarzt in Weiß vorkommt, denn er kann so grandios gentlemanlike mit den Untergebenen umgehen, den Krankenschwestern und Stationsärzten. Sein Krankheitsbild ist das des Manisch-Depressiven, aber irgendwie bekommen wir im Film ständig die manischen Züge mit. Daß er immer eine Verehrerin dabei hat oder eine, die er verehrt, gehört zum grandiosen Wahn.

Er weiß, was er an seiner stabilen Tochter Mimi hat. Es gibt nämlich noch eine andere. Und das ist auch unglaublich, wie da auf einmal eine aufgedrehte und vollgepumpt mit familiären Minderwertigkeitskomplexen behaftete Schwester Manuela auftaucht, der Christiane Paul absolute Präsenz gibt in ihren schizophrenen Gefühlen von Dominanz im täglichen beruflich erfolgreichen Leben und Liebe und Akzeptanz vermissenden Kind innerhalb der Familie.

Wenn dann auch noch die Mutter ins Spiel kommt, die narzistische, tödlich beleidigte und psychisch  - am ehesten früher Hysterie genannte Borderlineerkrankung - schwer einzuschätzende Dame, die eher wie eine ferne Verwandte, denn wie eine Mutter wirkt und der Hannelore Elsner grandiose Auftritte schenkt, wenn dann also auch noch die Mutter sich entfalten darf – dann ist noch lange nicht Schluß. Doch doch, da ist auch eine ausgewachsene Schwermut im Spiel, aber es gehört zu den Depressiven, daß man zwischen Echtheit und die Rolle des traurigen Clowns zu spielen, immer wieder nicht unterscheiden kann.

Und da ist dann ja auch noch ein Ehemann, einen Ex, der aber als Vater des Kindes als weiteres Kind und Versager als alternder ausgebrannter Rockstar( Martin Feifel) von unserer tollen Mimi Wunderlich auch noch versorgt wird.

Und das wäre noch immer nicht alles. Denn als der Rauswurf von Mimi kommt, sie also eigentlich nicht weiß, wie es weitergehen kann, denn finanziell greift ihr niemand unter die Arme, nur sie anderen, da taucht dieser Schönling (Steffen Groth) auf, den sie erst einmal umfährt auf dem Parkplatz des Marktes, den sie wegen des Sohns so schnell verlassen muß, daß es ohne Anrempeln von anderen Autos nicht geht. Er wollte dort einkaufen, stattdessen wird es eine Fahrt ins Bodenlose. Denn mittenhinein, in all die existentiellen Probleme ihrer Familie, ihrer Arbeitslosigkeit und Sorge um ihr haltloses hyperaktives Kind dazu, kommt ein Anruf aus der Schweiz, mit dem sie überhaupt nichts anzufangen weiß. Der Zuschauer erst einmal auch nicht. Es geht um einen dieser schrecklichen Castingshows, SECOND CHANCE – was auf Schwyzerdütsch besonders komisch klingt -,  wo man sich anmelden kann und dann durch einen Applausmesser vom Publikum beurteilt wird, was nicht nur Ehre, sondern auch Geld bringt. Und dann kombinieren wir richtig, daß das Päckchen, um das es die ganze Zeit ging, wo Sohn und Großvater was ausgeheckt hatten, eine Aufnahme von Mimi Wunderlich ist, die nämlich vor Jahren zusammen mit ihrem einmal berühmt gewesenen Mann auf der Bühne auftrat, was die CD nun transportiert und gut ankommt.

Nun soll sie, die Mimi Wunderlich aus Mannheim, in die Schweiz zum Wettbewerb kommen. Ja, ihre Familie auch. Es wird alles bezahlt. Klar, daß es bei den Wunderlichs nicht ohne Blessuren abgeht, wenn sie sich auf die Reise machen. Daß es dann ein Campingbus wird und die Pannen dazugehören, paßt auch.

Aber zuerst muß noch von der richtigen Drehbuch- und Regieentscheidung gesprochen werden, wo die Wunderlichs überhaupt zu Hause sind. In Mannheim nämlich. Erstens ist es von dort in die Schweiz nicht allzuweit, aber zweitens ist das eine so tolle Stadt, daß man sich schon lange wundern kann, daß die Mannheimer Eigenarten in deutschen Filmen keine größere Rolle spielen. Die Musik ist dort auch zu Hause, wie alle Künste und es liegt über dieser Stadt auch so eine Mischung aus 0/8/15 und etwas ganz Besonderem. Nicht nur wegen der Planquadrate der nach französisch Vorbild angelegten Stadtbebauung.

Irgendwie ist das dort wie sonst im Leben. Ja, mach nur einen Plan, sei nur ein großes Licht und dann mach noch 'nen zweiten Plan, geh'n tun sie beide nicht. Denn für dieses Leben ist der Mensch nicht ... Dieser schöne Satz, bzw. die Liedzeile ist zwar von Brecht, aber sie paßt hervorragend auf die Wunderlichs, die wir jetzt verlassen, obwohl der filmische Höhepunkt: die im Fernsehen übertragene Show ja erst noch kommt, wo man schon angesichts der Riege der Entscheider und Punktevergeber vor Lachen im Kinosessel ...schon wieder Lachen, das meiste davon bleibt einem im Halse stecken. Toller Film.  


Foto: die gestreßte, aber aufopfernde Mutter Mimi (Katharina Schüttler)


Info:
Vor der Kamera
Katharina Schüttler (Mimi Wunderlich)
EWi Rodriguez (Felix Wunderlich)
Peter Simonischek (Walter Wunderlich)
Christiane Paul (Manuela Wunderlich)
Martin Feifel (Johnny)
Steffen Groth (Nico)
Hannelore Elsner (Liliane Wunderlich)

Hinter der Kamera
Dani Levy (Buch und Regie)
Stefan Arndt (Produzent)
Uwe Schott (Produzent)