Drucken
Kategorie: Film & Fernsehen

Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 3. November 2016, Teil 9

Hanswerner Kruse

Berlin (Weltexpresso) - Heute und in den nächsten Wochen laufen Filme an, die sich starken Frauen an der Schwelle des 20. Jahrhunderts widmen. Alle mussten sie nach Paris gehen, um ihre Talente und Kräfte zu entfalten: Paula Modersohn-Becker konnte erst in der Seine-Stadt an der Akademie studieren und zur Künstlerin reifen („Paula“ Filmstart 15. 12.). Die naturwissenschaftlich hoch begabte Marie Curie musste in Paris, im Schatten ihres Mannes, studieren und als Forscherin arbeiten („Marie Curie“, Filmstart 1. 12.). Loïe Fuller, „Die Tänzerin“, von der heute hier die Rede sein soll, fand erst in der französischen Hauptstadt Anerkennung für die Erneuerung des Tanzes.

Alle drei Filme sind keine Biopics, die zwei Regisseurinnen und der Regisseur unterschiedlicher Provenienz gehen recht freizügig mit den Lebensgeschichten ihrer Protagonistinnen um. Miloš Foreman verteidigte vor langer Zeit seine Mozart- und Goya-Streifen, es ginge ihm nicht um historische Details und biografische Wahrheit. Vielmehr wolle er jeweils die gesellschaftliche Atmosphäre und die Lebensbedingungen der Menschen in ihrer Zeit deutlich machen.


Alle drei Filme machen das ganz hervorragend und entfalten die Pariser Belle Époque, die für alles Kreative und Innovative offen war. An Authentizität und „Wahrheit“ Klebende sollten diese Frauenfilme tunlichst meiden und besser in Wikipedia-Einträgen oder den Biografien der Damen schmökern. Das könnte ihnen viel Ärger ersparen. Für Cineasten dagegen sind alle drei Filme ein großartiges visuelles Vergnügen - vor allem „Die Tänzerin“.


Die Geschichte der Tänzerin Hat meine Kollegin im Vorartikel schon ausführlich erzählt.Loïe Fuller (Soko) war ein plumpes Bauernmädchen aus dem Mittleren Westen der USA. Sie wollte gerne Schauspielerin werden, doch sie stolperte beim ersten professionellen Auftritt auf der Bühne, verfing sich in einer Decke und versuchte durch ihre Bewegungen die Szene zu retten. Die Zuschauer waren begeistert, Fuller kreierte durch diesen Zufall ihre völlig innovative und revolutionäre Tanzform: Sie verlängerte ihre Arme durch Stäbe und schleuderte, kunstvoll geplant, meterlange Seidenstreifen um sich. Ihre ersten Tänze wirkten verzaubernd wie riesige Schmetterlinge. Diese magischen Serpentinentänze aus Seidenstoff, später mit vielen Lichteffekten sowie Musik, perfektionierte sie unaufhörlich. Jedoch die US-amerikanischen Kritiker weigerten sich, ihre Arbeit als Kunst anzuerkennen: „Tanz soll unterhalten und sonst nichts!“, bekam sie zu hören.


Erst in Paris konnte sie sich durchsetzen, tanzte bald in der Oper und wurde schließlich verehrt wie ein Popstar und hofiert wie eine Königin. „Eine Traumblüte war der Finsternis entsprungen“, schrieb Mallarmé über sie. Die leichtfüßige, überaus zarte Ausdruckstänzerin Isadora Duncan (Lily-Rose Depp) wurde eine Zeitlang ihre Schülerin und wohl auch ihre Geliebte.


Der Film arbeitet die Spannungen und Konkurrenz zwischen den beiden, extrem unterschiedlichen Frauen sehr gut heraus. Im Gegensatz zur Duncan entsprach Fuller überhaupt nicht dem Schönheitsideal ihrer Zeit. Sie fühlte sich gefangen in ihrem groben Körper und musste auf der Bühne durch die Kunst ihren Körper ständig neu erfinden. „Ohne meine Kleider bin ich ein Nichts“, klagte sie. In ihrem Debütfilm (!) porträtiert die Regisseurin Stéphanie di Giusto sehr deutlich Fuller als sehr hart arbeitende Rebellin, die zum Ende des 19. Jahrhunderts mutig gesellschaftliche und künstlerische Grenzen sprengte. Gott (oder Siegmund Freud) sei Dank erspart die Filmemacherin uns Zuschauern dazu jedoch banale psychologische Weisheiten.


Die Tänze Fullers rekonstruierte Giusto mit unglaublich schönen Bildern, teilweise sogar an den Originalschauplätzen, etwa in der Pariser Oper. Die übrigen Filmfarben sind eher in Sepia gehalten statt im glänzenden Hollywood-Stil, dadurch bekommt der Streifen durchgehend eine anrührende melancholische Unterströmung.


„Die Tänzerin“ ist ein sehenswerter Film, der uns durch Loïe Fuller exemplarisch den Geist der Belle Époque nahebringt, viel Empathie für diese Rebellin schafft und uns mit ihren wunderbaren Tanzbildern betört.


Foto: © Prokino


Trailer: https://youtu.be/c2gVa168XUg