Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 17. November 2016, Teil 13

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Ein schräger, ein schöner, ein witziger Film und einer mit einem skurrilen Liebespaar: ein dichtender Busfahrer (Adam Driver) und eine nicht ausgefüllte Ehefrau Laura (Golshifteh Farahani) mit einer schöpferischen Ader, die die Welt in Schwarz-Weiß und Kringeln und Strichen darstellt, vom Kuchen über ihr Kleid bis zur Gardine.


Wir erleben eine gute Woche lang die beiden. Wir schauen ihnen beim Erwachen zu, hören, was die phantasiebegabte Laura ihm aus ihrem Traum erzählt, in dem er die Hauptrolle spielt und immer Phantastisches bewältigt. Zusammengehalten werden diese beiden so unterschiedlichen Menschen durch ihre Gefühle – und, das stellt sich jedoch sehr spät heraus – ebenso durch die unbewußte Haltung dem Leben gegenüber, in dem der jeweils andere das Wesentliche ist. Eigentlich ist es eine Welt von gestern, wenn er nach Schiller ins 'feindliche Leben hinaus' muß und sie zu Hause die nächste häusliche Großtat vollbringt. Eine kleine Welt, die sich vom Kleinbürgertum nur durch die innere Haltung der Protagonisten und ihre Werte unterscheidet.

Vom Kleinbürgertum bleiben also nur seine Tätigkeit als Busfahrer und ihre als Hausfrau übrig. Denn beide füllen ihre Rollen gegen den Strich aus. Zwar erfüllt Paterson seine Arbeit als Busfahrer ordentlich, aber seine eigentliche Beschäftigung ist das Dichten. Und dafür hat er ein kleines Büchelchen, das er herausholt, wo er steht und geht, und in das er seine Sprachfetzen, seine angewehten Worte, seine durch Gefühle evozierten Buchstaben hineinschreibt. Man kann sich jetzt schon denken, daß einen solchen Film, der nicht von vorneherein lächerlich gemacht wird, jemand gefertigt hat, der etwas Besonders will und das auch kann. Das ganz normale Leben nämlich dennoch wie einen Hauptgewinn zu zeigen.

Und schaut man genau hin, dann hängt diese Stabilität dann doch am Busfahrer, den Adam Driver mit einer hingebungsvollen Geduld an das Leben spielt, sei es gegenüber den drängelnden Fahrgästen oder seiner quirligen Ehefrau mit dem Tätigkeitsdrang. Wie dieser Paterson, der immer dieselbe Strecke im Ort Paterson – ja darunter macht es Jim Jarmusch nicht, der Buch und Regie verantwortet – fährt, jede Sekunde nutzt, um in sein Büchelchen hineinzuschreiben, gibt für uns, die wir das Dichten hochhalten, den Kick, der sozusagen Wasser in Wein verwandelt. Denn hätte er statt Gedichte zu schreiben, jedesmal die Bierflasche geöffnet, dann fänden wir den Film...auf jeden Fall belanglos und noch schlimmer.

Laura dagegen, die ihren Mann jeden Abend mit etwas anderem überrascht, wie sie die Wohnung oder sich selbst verändert hat, entwickelt auch außerhäusliche Pläne, denn ihre Backkünste werden zum Verkaufsschlager. Wir schauen gespannt zu, was sie sich heute wieder ausdenkt. Heute? Ja, heute, denn es folgt kontinuierlich ein Tag dem anderen, wir erleben die acht Tage der Woche, was ja schon etwas Mythisches hat. Immer wieder geht die Sonne auf, heißt es im Schlager von Udo Jürgens und immer wieder steht der brave Paterson auf, läßt seine Frau ausschlafen, macht sich ein kurzes Frühstück und auf den Weg dazu.

Jim Jarmusch spielt also auch mit uns. Finde ich. Und der Filmscript spielt mit dem Busfahrer. Denn seine Frau hatte schon lange vorgeschlagen, er solle seine Gedichte, die nun schon einige Kladden füllen, doch veröffentlichen. Zwar hatte er nie daran gedacht, doch als es geschehen soll, geht alles Papier in einem Feuer unter. Zuvor hatten wir noch das einzige außerhäusliche Ereignis des Paares miterlebt. War es am Mittwoch? Auf jeden Fall war es der Schwarzweißfilm, in den sie gingen, der ISLANDS OF LOST SOULS  heißt und aus dem Jahr 1932 ist. Vergangenheit ist Trumpf.
Man kann nicht alle so hingeworfenen Bälle von Jim Jarmusch aufnehmen, weiß ja auch nicht so genau, ob man alle Anspielungen erkannt hat. Daß es um das Paterson aus New Jersey geht, das der im Film ständig zitierte Schriftsteller William Carlos Williams (1883-1963) in einer Gedichtsammlung, die er Paterson nannte, verewigte. Daß dieser Williams auch in Japan bekannt ist, auf jeden Fall und daß sich daraus überraschende Kulturvergleiche ergeben.

Und die Idylle, die also ohne Smartphone auskommt, ohne Rechner und sonst was, diese Idylle wäre unvollständig ohne das Tier, das den Menschen erst zum Menschen macht. Nein, Paterson ist es nicht, der diesen Marvin abgöttisch liebt. Das ist seine Frau Laura. Aber der geduldige Paterson ist derjenige, der ihn brav jeden Abend ausführt, auch wenn die Route wohl eine andere ist, als Laura genau weiß. Und der running Gag mit dem im Vorbeet steckenden Briefkasten, den verraten wir nicht.

P.S. Es stört einem beim Zuschauen dieses ruhigen dahingleitenden Films höchstens die eigene Aufmerksamkeit, mit der man die Anspielungen und Metaphern des Meisters als solche 'entlarvt'. So war es auch beim Hund Marvin, dem im Film übel mitgespielt wird und der im wirklichen Leben bald nach den Dreharbeiten gestorben sein soll. Wir können dann schon keinen Hund mehr einfach Hund sein lassen, weil einem bei Marvin einfach HEART OF A DOG von Laurie Anderson einfiel, einer filmischen Hommage an ihren verstorbenen Hund Lolabelle – ja, an ihren verstorbenen Ehemann auch. Aber der Hund wirkt stärker nach.