Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 17. November 2016, Teil  4

N.N. 

Berlin (Weltexpresso) - In unserer Besprechung kommt heraus - und so äußert sich im allgemeinen die Filmkritik zu dieser Verfilmung - , daß die Verfilmung insgesamt leider nicht dem entspricht, wie man sich dieses emotional und politisch schwerwiegende Thema auf der Leinwand vorstellt. Daß sich die Macher des Films und hier vor allem die Darsteller sich das anders vorstellten, kann man folgenden Ausführungen entnehmen. Die Redaktion


Emma Thompson


Über JEDER STIRBT FÜR SICH ALLEIN


„Wir alle haben Bücher aus dieser Zeit gelesen, die von hoch gebildeten Personen geschrieben wurden. An diesen Figuren hier ist so spannend, dass sie nicht der intellektuellen Elite angehören. Ich glaube, dass sich Fallada, als er von der Geschichte von Otto und Elisa Hampel erfuhr, inspiriert fühlte. Es war ihm ein Anliegen, der Ablehnung der einfachen Bevölkerung Ausdruck zu verleihen. Diese beiden, die keiner Gruppe angehörten, entschlossen sich von einem Tag auf den anderen zu aktivem Widerstand, was sie zu Verrätern machte. Das ist bemerkenswert und erinnert uns daran, dass Widerstand etwas Lebendiges ist. Man braucht keine besondere Ausbildung, um zu wissen, wenn etwas falsch läuft, wenn die Dinge aus dem Gleichgewicht geraten sind.“


„Ich bin groß geworden mit der Vorstellung, dass alle Deutschen Nazis gewesen sein mussten, aber das ist grundlegend falsch. Erst als ich älter wurde und Bücher über die Zeit zu lesen begann, fing ich an zu verstehen, was sich damals wirklich abgespielt hat.“


„Wer weiß, was passiert wäre, wenn Otto nicht das unternommen hätte, was er schließlich unternimmt, und wenn sie sich nicht entschlossen hätte, ihm dabei zur Seite zu stehen. Die ganze Geschichte dreht sich darum, wie sie durch diese Aktionen der Aufwiegelung einander wieder finden. Es ist ein Porträt der Beziehung dieser beiden Menschen, die sich vor dieser außergewöhnlichen Kulisse neu erfinden und entdecken.“


Über ANNA QUANGEL


„Ihre einzige Freude ist ihr Sohn. Ihre Ehe hat sie aufgegeben; für sie ist sie nur noch ein Beruf, den sie bewältigt. Wie sie trotz allem immer weiter macht, hat etwas sehr Nobles.“


„Am ersten Drehtag musste ich eine Frau spielen, die gerade einen Brief erhalten hat, in dem sie davon unterrichtet wird, dass ihr Sohn gefallen ist. Also muss man gleich vom ersten Moment an alles geben. Man kann sich nicht langsam in die Rolle finden. Diese eine Szene steckt voller extremer, widersprüchlicher und komplexer Emotionen. Sie ist traumatisiert.“


Über BRENDAN GLEESON


„Ich wollte mit Brendan arbeiten, weil ich ihn in seinen anderen Filmen gesehen hatte, Filme wie THE GUARD – EIN IRE SIEHT SCHWARZ oder BRÜGGE SEHEN... UND STERBEN? oder AM SONNTAG BIST DU TOT oder MICHAEL COLLINS. Er hat in unfassbar vielen Filmen mitgespielt, aber ich habe ihn noch nie in einer Rolle wie dieser gesehen. Er ist einfach wunderbar und immer bereit für Entdeckungen. Wir haben uns manchmal hingesetzt und uns stundenlang nur über eine einzige Szene unterhalten.“

 


Über die Nebendarsteller


„Mein Gott, sie sind alle fantastisch! Wir hatten die Gelegenheit, mit den besten Schauspielern aus dem deutschen Theater und Film spielen zu dürfen. Es war ein echtes Privileg.“

Über VINCENT PÉREZ


„Ich traf Vincent und war überzeugt von seiner Leidenschaft. Ich spürte, dass er sich der Geschichte in einer Weise hingegeben hatte, die weit über das übliche Maß hinausging. Ich wusste, dass James (Anm.: James Schamus) mit dabei war. Und als dann natürlich noch Brendan mit an Bord kam, hätte meine Begeisterung kaum größer sein können, weil ich immer schon einmal mit ihm arbeiten wollte.“

 


Brendan Gleeson


Über OTTO QUANGEL


„Er ist ein ziemlich verschlossener Mann. Um seine Ehe ist es nicht besonders gut bestellt. Sein Sohn ist in den Krieg geschickt worden. Er ist ein Kerl, dem Pflicht und Zuverlässigkeit und Arbeit wichtig sind. Als ihm sein Sohn genommen wird, sieht er keine Zukunft mehr. Es gibt keinen Grund mehr, zur Arbeit zu gehen. Es gibt tatsächlich keinen Grund mehr, überhaupt weiterzumachen“

 


Über die Beziehung von OTTO und ANNA


„Sie wachsen zunächst als eine Art Zwei-Personen-Widerstandszelle. Dann öffnen sie sich ein wenig, und ihre Trauer erweist sich als etwas, das sie nicht auseinanderreißt, sondern miteinander verbindet.“


„Es ist entscheidend, dass sie ganz einfache Leute sind. Sie sind normale Menschen. Es geht um ihre persönliche Erlösung. Und um die Idee, dass man sich selbst befreit, wenn man seine Unterstützung aufkündigt und seine Erlaubnis zurückzieht – auch wenn es für niemanden sonst einen Unterschied macht. Das ist Teil der menschlichen Erfahrung.“

 


Über EMMA THOMPSON


„Ich wollte schon ewig mit ihr vor der Kamera stehen, wie vermutlich alle anderen Schauspieler auf diesem Planeten. Ich erwartete eine besondere Tiefe bei ihrem Instinkt und ihrer Intuition, und offensichtlich ist sie nicht nur eine wunderbare Handwerkerin, sondern obendrein auch noch eine Autorin. Also konnten wir all diese Dinge ausloten, die ihre Ehe eine so lange Zeit so unerträglich gemacht haben. Es war wirklich aufregend, zur Arbeit zu gehen und mit so viel Kreativität konfrontiert zu werden.“

 


Über das Haus in der Jablonskistraße (Drehort in Görlitz)


„Es war ein irres Gebäude. Wie ein Mietsblock in Glasgow, mit Fliesen im Treppenhaus, Gemeinschaftsklos und all diesen Sachen. Es war einfach hervorragend. Man spürte förmlich diese Atmosphäre der Angst: Wem kann ich in diesem Gebäude trauen? Ihr nicht... Ihm nicht... Es ist schon interessant, wie man den gemeinsamen Umgang neu kalibrieren muss, wenn die Insignien der Zivilisation erst einmal entfernt werden, ob das politisch ist oder einfach nur der Strom und das Wasser abgedreht werden. Wem kann man trauen? Das ist einfach schrecklich.“

 


Daniel Brühl


Über ESCHERICH


„Escherich ist ein Typ, den die meisten vermutlich verstehen werden, weil er etwas durchmacht, was viele Deutsche erlebt haben. Escherich ist kein überzeugter Nationalsozialist, aber das System hat ihn gebrochen, mit Angst, mit Erniedrigung. Schließlich gibt er nach und wird Teil des Systems. Ironischerweise ist der einzige Mann, für den Escherich Respekt empfindet, Otto Quangel. Denn er steht für das alte Deutschland, und er ist nicht so barbarisch und dumm wie die anderen um ihn herum. Escherich erkennt schließlich, dass das Land, das er kannte, nicht mehr existiert.“



Über VINCENT PÉREZ


„Ich habe schon einige Male mit Regisseuren gearbeitet, die Schauspieler waren oder als Schauspieler aufgetreten sind, und das ist jedes Mal einfach, weil sie deine Probleme, deine Bedürfnisse, deine Unsicherheiten, deine Stärken verstehen. Und Vincents Energie ist unglaublich ansteckend. Er steht ununterbrochen unter Strom. Man sieht und fühlt die Leidenschaft, die er für das Projekt hat. Man weiß, dass er den Film aus all den richtigen Gründen macht. Für ihn ist es nicht einfach eine weitere Arbeit. Der Stoff bedeutet ihm etwas.“

 


Regisseur Vincent Pérez


Über seine deutschen Vorfahren


„Ich hatte drei Onkel, einer von ihnen wurde in Russland an der Front getötet. Ein Großonkel, der in der Psychiatrie eines Krankenhauses untergebracht war, wurde in einem Prototyp der Gaskammern vergast. Ich habe diese Krankenhäuser aufgesucht. Und die Gaskammern. Den Deutschen ist es sehr wichtig, das Andenken an diese Verbrechen lebendig zu halten. Man spürt, wie wichtig es dem Land ist, dass niemand vergessen sollte, was damals vorgefallen ist.“
Im Zuge seiner Recherchen fand Pérez auch heraus, dass niemand in seiner Familie Mitglied der NSDAP gewesen war: „Das war schon eine Entdeckung. Wenn man damals kein Parteimitglied war, konnte einem das Leben ja schwer gemacht werden.“


Über EMMA THOMPSON


„Sie kann eine Deutsche spielen. Und sie kann Menschen aus einfachen Verhältnissen überzeugend spielen. Sie ist eine wunderbare Schauspielerin und reagierte sofort, als ich ihr das Drehbuch zuschickte.“


Über das Haus in der Jablonskistraße im Buch und als Drehort im Film


„Bereits beim Lesen des Romans hatte es mir dieses Gebäude besonders angetan. Das Treppenhaus, die Menschen, die hinter verschlossenen Türen lauschen, dieses Leben hat mich fasziniert. Immer verbunden mit der Frage, wie es war, während der NS-Diktatur in Deutschland zu leben.“


„Es war ziemlich heruntergekommen, aber wir flößten ihm neuen Atem ein. Wir haben viel Arbeit reingesteckt, die Decken zu reparieren. Wir haben jede Wohnung neu hergerichtet, und wir verbanden die Treppen miteinander. Schließlich war es wie echt.“

 


Produzent Stefan Arndt


Über JEDER STIRBT FÜR SICH ALLEIN


„Es gibt sehr viele deutsche Filme, die sich mit dieser Zeit befassen. Aber dass im Mittelpunkt einfache Menschen aus dem Arbeitermilieu stehen und keine große Geschichte erzählt wird, in der sich der Lauf der Zeitgeschichte verändert, unterscheidet den Film von anderen Projekten. Es ist die kleine Geschichte eines Paars, das seine Liebe neu entdeckt, als sie anfangen, diese Postkarten schreiben. Am Ende werden sie getötet, und alles geht so weiter wie zuvor. Aber mir als Deutschem wurde dennoch gezeigt, dass es damals auch Menschen gab, die für eine bessere Welt gekämpft haben. Sie lösen keine Revolution aus, sondern streuen nur etwas Sand ins Getriebe.“

Über die Finanzierung


„Ich war überzeugt, die Finanzierung ganz leicht aufbringen zu können. Aber so sehr ich mich auch angestrengt habe und so sehr ich meinen Einfluss habe spielen lassen, es ist mir nicht gelungen. Und ich bin wirklich nicht schlecht, wenn es um die Finanzierung von Filmen geht. Es ist schließlich mein Beruf. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich Vincent anrief und ihm sagen musste, dass es mir nicht gelingen würde, das Projekt als deutschsprachigen Film zu finanzieren.Das war ein trauriges Telefonat, das zu unserem glücklichsten wurde. Wir machten weiter, eben international. “


Über die Nebenrollen


„Vincent hat Wochen damit zugebracht, diese Figuren vorzubereiten, Figuren, die bisweilen nur zwei oder zehn Zeilen zu reden hatten. Sie sind enorm wichtig für unser Verständnis, was im Jahr 1941 geschieht. Mit den meisten von ihnen haben wir schon einmal gearbeitet. Sie sind unglaublich gute Schauspieler. “


Über das Haus in der Jablonskistraße und als Drehort im Film


„Wir wollten nicht schummeln, uns ging es darum, die Geschichte so realistisch wie möglich erzählen zu können. Die Schauspieler mussten spüren, wie nah die Angst ist. Es geht nicht nur um Darstellerkunst. Wenn man durch seine Wohnung geht, dann kann der Nazi ein Stockwerk tiefer dabei zuhören. Man ist niemals wirklich allein. Nur so konnte diese Diktatur funktionieren.“

 


James Schamus (Produktion)


Über JEDER STIRBT FÜR SICH ALLEIN


„Ich finde es interessant, dass diese Geschichte so anders ist als das, was andere Filme über diese Zeit erzählen. Es geht nicht um die Nazis gegen den Rest der Welt. Es geht um Menschen in einem Wohnhaus, die sich befeinden. Man sieht, dass die Strukturen der Unterdrückung vertikal ebenso funktionieren wie horizontal und nach außen in die gesamte Gesellschaft und den Rest der Welt strahlen. Und mitten hinein in die Köpfe der Menschen, in ihre Beziehungen, tief hinein in den gegenseitigen Umgang miteinander, oft auf die intimste Weise. Das ist ein Blickwinkel, den man so gut wie nie erlebt.“

 

 

Foto: Endlich kommt Daniel Brühl zu seinem Recht der Abbildung. Er ist hier ein schauriger, sehr einprägsamer Polizeibeamter, der von oben getreten wird und nach unten weitertritt, aber auch etwas daraus lernt.

 

Info:

Aus dem Filmheft zu JEDER STIRBT FÜR SICH ALLEIN, Seite 8-11

Der Roman: Hans Fallada, Jeder stirbt für sich allein,  Aufbau Taschenbuch Verlag 2011, 9. Auflage 2015

Film: www.x-verleih.de