67. BERLINALE vom 9. bis 19. Februar 2017, WETTBEWERB, Teil 22

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) – Einen solchen, noch dazu auch technisch spritzigen und sinnlichen Animationsfilm, der die Sünden der Menschen: Geld und Liebe gnadenlos mit blutrotem und schwarzen Humor aufs Tapet bringt, hätte ich im Wettbewerb der Berlinale nicht erwartet.

Deshalb nicht, weil die Geschichte so deutlich auf Probleme in China – und nicht nur dort – hinweist, in der, wenn man es ernst nimmt, die Tasche mit den vielen Geldnoten - eine Million Yuan, alle immer noch mit dem Konterfei von Mao Zedong - die Hauptrolle spielt. Den Weg dieser Tasche verfolgen wir als roten Faden durch die Geschichte.

Wir sind in einer Stadt im südlichen China. Und das Geld kommt eigentlich vom Onkel, der der Pate von so vielen und von so manchem ist. Dieser Onkel räsoniert nicht nur über das Leben im Allgemeinen, wobei er tiefgründige philosophische Einsichten von sich gibt, er spricht auch im Konkreten mit dem von ihm auf einem Stuhl gefesselten Abtrünnigen, der gefoltert wird, wobei eine zusätzliche psychische Bedrängnis von ihm selbst ausgeübt wird, weil er mit diesem Mann, der nun nackt, nur mit Krawatte und Unterhose bekleidet vor ihm sitzt, die Kindheit verbrachte und davon erzählt, wie dieser damals ins Bett machte. Eine neue durchschlagende Methode psychischer Folter!

Immer wieder wird das Zimmer des Bosses eingeblendet, der im Zentrum sitzt und mit dem Telefon die Welt regiert. Der Film selbst beginnt mit einem Bauarbeiter, der im Wagen seinem Mitfahrer, der die Tasche mit dem vielen Geld übergeben soll, das Messer an die Kehle setzt und sich mit dem Geld davonmacht. Parallel sind wir dabei, wenn der Dünne, genannt die Bohnenstange, als Auftragsmörder unterwegs ist. Ihm hatte der Boß befohlen, die Spur der Geldtache zu verfolgen und die Million wiederzubeschaffen. Ein toller Typ und richtig als Hardcore Verbrecher gezeichnet.

Obwohl der Räuber sein Handy zerstört, damit man ihn nicht auffinden kann, ist er naiv genug – und das wird sich rächen -, sofort in einem Internetcafé seine Freundin per Email darüber zu informieren, in welchem Hotel er eingecheckt hat und daß sie kommen soll. Er hat nämlich für den Raub ein sehr gutes, ein geradezu liebevolles Motiv. Das Gesicht seiner Freundin ist durch eine Schönheitsoperation versaut worden und mit dem Geld soll sie sich in Südkorea erneut operieren lassen, damit sie wieder ansehnlich wird und er sie heiraten kann. Derzeit nämlich wagt sie sich nicht vor die Augen der Öffentlichkeit. Schon ein solcher Hintergrund für ein Raubmotiv ist ein geradezu frecher Aspekt in einer Geschichte, in der das heutige China durch alle Ritzen scheint.

In der Pressekonferenz wird der Regisseur dazu ausführen, daß Schönheitsoperationen zwar nicht das drängendste soziale Problem Chinas seien, daß aber in China eine unglaubliche Werbung dafür gemacht werde. Die Busse, die Zeitungen, die Werbeflächen weisen aufdringlich darauf hin und es muß eine florierende Industrie sein. Die Leute sind absolut begierig, schöner zu sein – und wie wir wissen, daß sie durch Lidoperationen auch europäischer auszusehen wollen und natürlich gehen nicht alle OPs schief. Andererseits sind in Koreas Hauptstadt Seoul tatsächlich ganze Straßenzüge voll von solchen Operationsstätten, in die die Freundin geschickt werden soll. Das hat nicht nur Regisseur Liu Jian so gesehen, sondern wir auch. Dieser hat dieses Thema mit Absicht gewählt, weil es banal und gleichzeitig auch decouvrierend für die chinesische Gesellschaft ist. Er richtet mit seinem Film einen Scheinwerferblick auf soziale Probleme, sagt er dazu.

Das fängt übrigens schon mit dem Filmbeginn an. Da sehen wir eine Baustelle, ach was, alles ist aufgerissen, die Straße, über die die Autos brettern und jedesmal den Stoßdämpfer weiter kaputtmachen,Löcher, die die Autos zum Hüpfen bringen. Das ist phantasievoll optisch, aber auch akustisch angerichtet. Der Film sprüht vor lauter visuellen und akustischen Ideen. Und daß ausgerechnet ein Bauarbeiter, der dauernd abreißt und neu aufbaut, die Hauptfigur des Räubers abgibt, sprichtm ans für sich.

Wir erleben in der Folge, wie jeder der Geldtasche hinterherrennt und seine Prinzipien über Bord wirft, um an das Vermögen heran zu kommen, Frauen und Männer, die nun foltern, erpressen und morden. Auffällig ist auch, daß sich die Leute alle kennen – es ist ja auch eine Kleinstadt – und diese sozialen Querverbindungen sind total spannend, denn sie erschweren oder erleichtern den Weg des Geldes. Da gibt es einen mit dem Röntgenblick, der durch die Tasche das Geld erkennt, als unser naiver Dieb gleich mit einem dicken Geldschein bezahlt. Der Durchblicker weist die Kassiererin an, das Wechselgeld herauszugeben und danach verfolgen die beiden den Helden. Man kann gar nicht alle aufzählen, die auf dem Weg der Tasche vorkommen. Jedesmal aber sind die Menschen eigentlich eher häßlich gezeichnet. Sein Markenzeichen, wie der Regisseur sagt, mit der er sich von den japanischen Zeichentrickfilmen und denen aus Hollywood absetzt. Er will die Realität zeichnerisch wiedergeben. Dieses China auf jeden Fall hätten wir nie für möglich gehalten. Und das ist nicht pejorativ gemeint. Wer zu so viel Selbstkritik fähig ist und dies im Film zeigen darf, ist auf jeden Fall auf einem guten Weg.

Dem Film ist ein Zitat von Leo Tolstoi vorgesetzt. Diese Referenz, in der es am Schluß um Hoffnung geht, ist aber nicht ironisch gemeint im Kontext des Films. Liu Jian meint es ernst, daß es bei allem Hoffnung gibt. Das gilt auch trotz des schwarzen Humors für diesen Film, der eine bessere Zukunft erwarten läßt.

 

Foto: © berlinale.de

Info.
Liu Jian

Volksrepublik China 2017

Mandarin

75 Min · Farbe


mit Yang Siming, Cao Kou, Ma Xiaofeng, Zhu Changlong, Cao Kai