b sprich leiseAus dem Briefwechsel zwischen Lotte Lenya und Kurt Weill 1924 – 1950, Teil 1/2 

Wolfgang Mielke

Hamburg (Weltexpresso) -  Sonntag. 13. Mai. Herrliches Wetter! Da überlegt man es sich zweimal, ob man ins Theater geht oder – wie in diesem Fall – in die Kleine Musikhalle /Laeiszhalle. Zumal in Hamburg, der Stadt, in der man - einem Sprichwort zufolge - als Regenschirm zur Welt gekommen sein sollte.

Die Entscheidung für diese, ja, für diese Veranstaltung ist natürlich schon viel früher gefallen. Als man das Thema hörte: Das Leben von Kurt Weill (1900 - 1950) und Lotte Lenya (1898 - 1981). -- Jeder kennt Brechts "Dreigroschenoper", die ja vor allem durch die Musik Kurt Weills lebt – und unverwüstlich, unsterblich geworden ist. - In der Uraufführung der "Dreigroschenoper" am 31.8.1928 in Theater am Schiffbauerdamm (dem heutigen 'Berliner Ensemble" oder einfacher BE) sang Kurt Weills Frau Lotte Lenya den Part der Seeräuber Jenny. Auf dem Theaterzettel fehlte sie. Kurt Weill schlug einen für seine sonstige Zurückhaltung ungewöhnlichen Krach und drohte, die Premiere nicht stattfinden zu lassen.

Die gesamte Probenzeit war durch Schwierigkeiten allter Art gekennzeichnet gewesen. Vor dem Premieren-Abend häuften sich die Probleme noch. Das Stück war zu lang, es musste fieberhaft gekürzt werden. Erich Ponto (1884 - 1957), der den Peachum, den König der Bettlergilde, spielte, stand schon mit gepackten Koffern im Büro der Intendanz, weil ihm wichtige Szenen genommen worden waren. Ein Kleindarsteller verlangte plötzlich eine dreimal so hohe Gage, sagte, er wolle nicht Schauspieler werden, sein Ruf am Theater könne ihm also egal sein, - und natürlich ließ man ihn erst einmal gewähren. Vieles, vieles klappte nicht, wie der unvollständige Theaterzettel deutlich machte, aber natürlich blieben alle dabei; als sich der Vorhang zur Premiere hob, trat aller Streit sofort in den Hintergrund.

Alfred Kerr (1867 – 1948) schrieb über Lotte Lenya, deren Namen er noch nicht kannte, - er stand ja nirgends geschrieben -: "Dann steht auf dem Zettel: 'Huren'. Vier Künstlerinnen wirken hier mit – und eine davon scheint aus München zu kommen. Die war sehr, aber sehr gut. Im Stimmklang erinnert sie an Carola Neher. Ja, die war im Artikulieren besonders gut. Mit ehernem Griffel hier verzeichnet." --- Aus München kam Lotte Lenya nicht, aber aus Wien. Und sie hieß von Geburt aus nicht Lotte Lenya, sondern Karoline Wilhelmine Charlotte Blamauer. Erst im Sommer 1921, vor ihrer Übersiedlung von Zürich nach Berlin, nahm sie den Künstlernamen Lotte Lenja an; den sie dann kurz nach ihrer Emigration in die USA in Lenya anpasste. - In heutigen Kritikenbüchern des Theaters der 1920er Jahre aber liest man bereits aus der Rückschau vereinfachend Lotte Lenya. Die spätere Namensversion hat sich also auch rückwirkend durchgesetzt, vermutlich weil sie kraftvoller aussieht.

Der Kritiker Herbert Ihering (1888 – 1977) schrieb über Lenya: "(...) Lotte Lenya als Verräterjenny ausgezeichnet und, vor allem, im Stil am klarsten." - Und Monty Jacobs (1875 - 1945) schrieb: "(...) an der Wortführerin des Freudenhauses zeigt sich Erich Engels Kunst im Anblasen des Talents." - Vielleicht hat gerade die Tatsache, dass sie auf dem ursprünglichen Theaterzettel vergessen worden war, ihren ersten damaligen Ruhm noch befördert.

Kennengelernt hatten sich Kurt Weill und Lotte Lenya bereits 1924, als sie beide bei dem Dramatiker Georg Kaiser (1878 – 1945), eingeladen waren und Lotte Lenya Weill von der Bahn abholte, dann aber per Ruderboot zusammen mit Weill in diesem, wie sie sagte, "Vehikel", über den See setzte. Das war der kürzere Weg, der letztlich dann ja auch zu der dauerhaften Verbindung Lenya – Weill führte.

Später lernten sie Brecht kennen, durch die Arbeit an dem Songspiel "Mahagonny", das in Baden-Baden uraufgeführt wurde. Später wurde daraus der "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" (UA 9.3.1930, Leipzig.) --- Zunächst aber wurde die "Dreigroschenoper" aus der Taufe gehoben. Theodor Wiesengrund Adorno (1903 - 1969) schrieb über die Musik von Weill: "Von den Verdiensten der Dichtung ist hier nicht zu reden; wohl aber von den grauen, verräucherten Songs, die hinter ein paar Tönen vermauert bleiben; von den überschrienen Balladen, wie sei die amorphe, drängende, aufrührerische Masse des Lumpenproletariats rufen. Wie fern mir zuerst die Musik liegt, die nicht aus dem aktuellen Stande des musikalischen Materials die Konsequenzen zieht, sondern durch die Verwandlung des alten geschrumpften Materials zu wirken sucht: bei Will ist solche Wirkung so schlagend und originell gewonnen, dass vor der Tatsache der Einwand verstummt. Gewiss, auch bei Weill eine Wiederkehr; aber keine um der Stabilisierung willen, sondern eine, die die dämonischen Züge der abgestorbenen Klänge aufdeckt und nutzt. So falsch sind die Dreiklänge geworden, dass wir, wenn wir welche schreiben, sie gleich selber falsch setzen müssen, damit sie sich enthüllen. Das alles ist mit einer Kultur, einer technischen Sicherheit und Ökonomie und – neue Errungenschaft Weills – mit einem instrumentalen Vermögen gebracht, dass mit der Gemütlichkeit auch der letzte Zweifel an das aufrührerische Recht solcher Gebrauchtsmusik schwindet: Gebrauchsmusik, sie sich auch wirklich gebrauchen lässt. Weill hat eine Region, die Strawinsky erschloss, um sie scheu alsogleich wieder zu verlassen, mit Mut und Sicherheit betreten (...) darin Musik aus der Nachbarschaft des Wahnsinns ihre sprengende, erhellende Macht gewinnt. Die völlige Destruktion der Opernform in Nummernblöcken ist dem höchst angemessen. (...) das wichtigste Ereignis des musikalischen Theaters: tatsächlich beginnt so vielleicht die Restitution der Oper durch Wahrheit." --- Kerr hatte über die Musik geschrieben: "Weill hat es lieblich vertont, ja, sehr fein in der Grobheit, mit Jazz und Kitsch und Orgelharmonium und Leierkasten. (...) Wenn es nicht dynamisch ist, müsst' ich irren. (...) Und man hat, ohne viel zu rechten, einen prachtvollen Abend. (...) (Weill auf mir, du dunkles Auge – sagt Lenau.) (...) Sehr unterhaltend. (...) eine Darstellung, dass der Provinzler sich alle zehn Finger ableckt." 

Bald darauf trennten sich Lenya und Weill. Brieflicher Kontakt blieb aber bestehen. Kurt Weill begann eine Affäre mit der Ehefrau des Bühnenbildners Caspar Neher (1897 - 1962); und Lotte Lenya verliebte sich in den Tenor Otto Pasetti (1902 – nach 1946). Anfang 1933 wurde die Ehe Weill – Lenya geschieden. Die Gründe dafür liegen nicht ganz offen. Die nationalsozialistische Regierung bedeutet für Weill wegen seiner jüdischen Herkunft eine nicht geringe Bedrohung. Lotte Lenya holt ihn von Berlin nach München, fährt aber selbst nach Wien weiter. Caspar und Erika Neher bringen Weill über die französische Grenze. Anschließend arbeit Weill in Paris, London und Salzburg, hat aber die Idee, in die USA zu emigrieren. Er lädt Lenya ein, ihn zu begleiten. So geschieht es: Am 4.9.1935 verlassen beide Europa nach New York auf der 'SS Majestic' (der ehemaligen 'Bismarck', im Juni 1914 vom Stapel gelaufen und nach dem 1. Weltkrieg von England als Reparationsgut genommen, dann von den Reedereien Cunard und White Star zu je 50% gekauft; das Schiff hatte im Mai 1922 seine Jungfernfahrt nach New York). 

Im Januar 1937 heiraten Kurt Weill und Lotte Lenya zum zweiten Mal. --- Beiden gelingt es, auch in den USA künstlerisch Fuß zu fassen. Die Lenya tingelt zuerst in New Yorker Nachtclubs, Weill komponiert sein erstes amerikanisches Bühnenwerk "Johnny Johnston", das auf der Erzählung von dem "Braven Soldaten Schweijk" von Jaroslaw Hasek (1883 – 1923) basiert. Wichtiger war die Zusammenarbeit mit Max Reinhardt (1873 – 1943) in der "Eternal Road" ("Weg der Verheißung"), einem pseudo-religiösen Drama, das einen Achtungserfolg errang und 153 mal aufgeführt wurde. Weill und Lenya wohnten in New York zuerst am Central Park South im St. Moritz Hotel (jetzt Ritz Carlton) – und möglicherweise nach vorne heraus, was einen Blick auf den Central Park bedeutet haben würde. --- Weill schreibt in den USA Filmmusiken, Lieder, Musicals. Beide arbeiten erfolgreich. Sie kaufen sich ein Haus in einem nordwestlich von New York gelegenen Vorort, westlich des Hudson-Flusses.

Am 17.3.1950 erleidet Kurt Weill einen Herzinfarkt, wird ins Krankenhaus eingeliefert, in dem er am 3.4.1950, nach einem weiteren Infarkt, stirbt. - Lotte Lenya ist zutiefst getroffen. - Sie sagt etwas später, sie habe das Gefühl, Kurt Weill, obwohl sie ihn 26 Jahre lang kannte, nie wirklich kennengelernt zu haben – und nimmt sich vor, den Rest ihres Lebens dazu zu verwenden, sein Werk weiterhin zu fördern und möglichst noch bekannter zu machen; ein Ziel, das sie auch zweifellos erreicht hat. 

Lotte Lenya war anschließend noch mit drei Männern verheiratet; sie alle waren jünger als sie und, so liest man, homosexuell. Lotte Lenya war eine starke Frau, eine starke Persönlichkeit. Und meist von ansteckend guter Laune. --- Kurt Weill dagegen muss ein geheimnisvoller Mann und Mensch gewesen sein, weich sicherlich, aber nur scheinbar formbar; genau in der Arbeit, fast klinisch und hygienisch; fast wie ein Arzt – so scheint es. 

FORTSETZUNG FOLGT

Foto:
Cover © Kiepenheuer & Witsch

Info:
"Lotte Lenya" von David Farneth, 1998 in den USA, 1999 in Deutschland erschienen
Lotte Lenya - Eine Autobiographie in Bildern
Farneth David (Hrsg.)
Könemann Verlag, 1999, Leinen
ISBN: 3829014376

Sprich leise, wenn du Liebe sagst. Der Briefwechsel Kurt Weill / Lotte Lenya.
Herausgegeben u. übersetzt von Lys Symonette u. Kim H. Kowalke.
Köln, Kiepenheuer & Witsch, 1998

Love Song: The Lives of Kurt Weill and Lotte Lenya
von Ethan MorddenHardcover – October 16, 2012