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Kategorie: Kulturbetrieb
b weillAus dem Briefwechsel zwischen Lotte Lenya und Kurt Weill 1924 – 1950, Teil 2/2

Wolfgang Mielke

Weltexpresso (Hamburg) - Die von Olaf Dittmann pressemäßig begleiteten Hamburger Symphoniker traten im Kleinen Saal der Laeiszhalle auf. Sie ist im Stil der 1950er bis frühen 1960er Jahre ausgestattet. Gelegentlich kursiert die Idee, sie wieder in ihr neobarockes Ursprungsaussehen zurückzuverwandeln. Keine gute Idee! Denn ihre Nachkriegsausstattung ist auch schon wieder ein historisches Kunstwerk geworden, das man für ein nachgemachtes Neobarock nicht rausreißen und wegwerfen sollte.

Das ist ja ohnehin absurd: Hier will man eine intakte Nachkriegsausstattung zurückbauen auf ein phantastisches Neobarock; und wenige hundert Meter weiter will der neue mediokre Hamburger Star-Architekt Hadi Teherani (*1954) das Deutschlandhaus an einer der großstädtischsten Kreuzungen Hamburgs, an dem Zusammenfluss von Gänsemarkt, Damtorstraße und Valentinskamp, das voll intakt ist!, abreißen, um dort – nach seinem Misserfolg mit der Europa-Passage – nun noch eine neue Passage hinzusetzen, die in Hamburg außer ihm kein Mensch braucht. Solche Absurditäten ereignen sich parallel in einer Stadt, die immer Weltstadt werden will, aber gerade ihre Möglichkeiten dazu und ihren schon vorhandenen Bestand daran übereifrig und blindwütig zerstört.

"Freie und Abrißstadt Hamburg" nannte das vor über hundert Jahren schon der Chef der Kunsthalle Alfred Lichtwark (1852 - 1914). Das Deutschlandhaus ist eines der wenigen noch erhaltenen frühmodernen Gebäude in unserem Land. Nur unsichere Schildbürger gehen einem solcherart eitlen Architekten-Gespinnst auf den Leim.

"Sprich leise, wenn du Liebe sagst" – dieser Titel passt auch sehr gut zur Musik von Kurt Weill. Sie hat Alfred Kerr wunderbar charakterisiert: "(...) lieblich vertont, ja, sehr fein in der Grobheit, mit Jazz und Kitsch und Orgelharmonium und Leierkasten." -- Lässt man Harmonium und Leierkasten weg, erhält man einen wesentlichen Kern der Weill'schen Musik, also: "(...) lieblich vertont, ja, sehr fein in der Grobheit, mit Jazz und Kitsch (...)" - Diese Spannweite, diese miteinander in Verbindung gebrachten Gegensätze kennzeichnen wesentlich die Musik Kurt Weills: Grobheit und Lieblichkeit; Grobheit und Feinheit; Jazz und Kitsch, also wohl etwas Süßliches, Sentimentales, vielleicht noch Verträumtes und Romantisches.

Der Ablauf der Veranstaltung bestand aus einer Verkettung von Text-Auszügen und Musikstücken, angefangen mit einem der bekanntesten Schöpfungen Weills, mit dem Mackie-Messer Song "Und der Haifisch, der hat Zähne ..." - Die Text- und Musik-Zusammenstellung hatte zum Teil der Schauspieler Hans-Jürgen Schatz (*1958) besorgt. Er sprach auch den Kurt Weill. Er macht das als für mich überraschende Verniedlichung, à la "Schnucki-Putzli" usw. Alles in fast kindlichem, bittend-insistierendem Ton. So entsteht eine Figur. Wie weit sie mit dem historischen Kurt Weill übereinstimmt, ist für mich fraglich. Höre ich Kurt Weill sein Lied "Speak low" singen, vermittelt sich mir eine andere Persönlichkeit. Die neckischen Verkleinerungsformen, die Schatz den Briefen von Weill entnommen haben und so für sich übertragen haben wird, klingen dagegen eher wie eine Form des Sich-Versteckens hinter Liebenswürdigkeit. Und insofern wäre zu verstehen, wenn Lotte Lenya nach seinem Tode daran zweifelte, ihn jemals richtig kennengelernt zu haben. --- Die Texte von Lotte Lenya werden von Sophie Euskirchen (*1993?) gelesen; recht gut in Einzelheiten; aber es entsteht keine Figur, die man als Gesamteindruck im Gedächtnis behält.

Hinzu kommt die Sprachkultur, die bei Hans-Jürgen Schatz deutlich höher entwickelt ist als bei Sophie Euskirchen; bei ihr versteht man nicht jedes Wort; manches scheint auch falsch betont zu sein. - Kommt sie aus Euskirchen? (Einer Kleinstadt mit knapp 60.000 Einwohnern nordwestlich von Köln, auf der linksrheinischen Seite.) Und hat den Namen ihres Geburtsorts als ihren Künstlernamen gewählt? Denkbar wäre es (und es gibt Beispiele für eine solche Wahl). Das soll natürlich nicht heißen, alls Euskirchener seien teilweise nicht ganz glücklich zu verstehen. - Aber sie singt ja auch! Und hier gefiel mir der Song "Moon of Alabama" am besten. Da wurde auch deutlich, was Kerr über die Musik Weills sagte. Und auch in diesem Lied wie in vielen anderen, auch später in den USA: Dem rauhen Hauptteil wird ein melodischer (und meinetwegen kitschiger oder sentimentaler) Nebenteil gegenüber gestellt, so dass erst beide Teile ein Ganzes machen – und damit den Reiz des Songs.

Als Sänger trat auch Dennis Weißert (*1992) besonders hervor. Er agiert eckig. Und er grimassiert. Spielt teils an die Seite des Bühnenportals gelehnt, wie ein altbekannter Star schon, also mehrfach auch teils im Profil. Vieles kommt gut über die Rampe. Etwas verwundernd bleibt der Eindruck doch. - Dennis Weißert ist, so lese ich auf dem Programmfaltblatt, 1. Preisträger des Bundeswettbewerbs Gesang. Das überrascht mich etwas. Stimmt mein Beurteilungsmaßstab nicht mehr? Oder hat sich die Mode so stark verändert? Oder ist einfach die Decke – wie in den meisten Bereichen des öffentlichen Lebens – so dünn geworden? Vermutlich ist es das. Man möchte, aber kann doch nicht alle wesentlichen männlichen Rollen, beispielsweise, nur noch mit Bruno Ganz (*1941) und Klaus Maria Brandauer (1943) besetzen?! Beides schon lang erfahrene Schauspieler, aber nicht nur das, sondern Schauspieler, wie man früher sagte, erster Garnitur. Aber beide den 80 schon näher als noch den 70.

Ganz ähnlich verhält es sich auch mit den Schauspielerinnen: Nicole Heesters (*1937), an die man natürlich zuerst denkt, dann eine Generation jünger Corinna Kirchhoff (*1958) oder noch eine Generation jünger Birgit Minichmayr (*1977). --- Das sind, zweifellos, natürlich noch andere Kaliber, Menschen, die einen erst auf den Weg zum Theater gebracht haben.

Man hat es also in der Musikhalle, Hans-Jürgen Schatz halb ausgenommen, mit Kräften aus der zweiten und dritten Reihe zu tun. Und so schiebt sich der Eindruck nach der Vorstellung erst langsam zurecht. - Natürlich spielt der optische Eindruck der präsentierten Aufführung eine Rolle. Nicht nur, was den Kritiker betrifft, im Falle der Darstellerin, von der Alfred Kerr vielleicht auch gesagt hätte: "auch sieht sie aus". Und natürlich spielt die optische Erscheinung in der Schauspielkunst eine ganz wesentliche Rolle. - Nachher aber dringt der Text in den Vordergrund – und das durch ihn vermittelte geistige Bild und der geistige Gehalt der Menschen, die geschrieben oder gesprochen haben, um die es geht und derentwegen wir gekommen sind. Das klang ja spannend: 'Ausschnitte aus dem Briefwechsel zwischen Kurt Weill und Lotte Lenya'. Man würde also ein Leben kennenlernen, von dem man bisher nur oberflächlich Bescheid wusste. Darum deht es sich ja auch, wenn man ins Theater, ins Konzert geht: Seinen Horizont zu erweitern; ganz abgesehen von dem Vergnügungsaspekt, ohne den weder Konzert noch Theater noch Oper noch Kino lange existieren könnten. Und, was das betrifft, kam das Publikum, kam auch der Kritiker auf seine Kosten.

Das Bild also rückte sich erst nachträglich zurecht. Die stärksten Charaktere waren nicht auf der Bühne zu finden, sondern waren durch ihre Texte, ihre Äußerungen präsent. - Vor mir liegt das Buch "Lotte Lenya" von David Farneth, 1998 in den USA, 1999 in Deutschland erschienen. Zahlreiche Texte wurden auch diesem Buch entnommen, teils etwas abgewandelt; eine gute Quelle.

Wie gesagt: Das Skript ist gut – und das Programm weitgehend auch. Man begleitet Lenya und Weill von Deutschland in die USA und nimmt dort an ihrem neuerlichen Aufstieg teil. "Lost in the stars" hieß das letzte Musiktheater-Komposition von Kurt Weill; sie wurde erst vier Monate nach seinem Tod uraufgeführt (in San Francisco). Auch "Lost in the stars", ein fast prophetisches Lied, wird von Ohad Ben-Ari am Flügel begleitet. Ohad Ben-Ari spielt sehr sachlich und trocken. Sehr präzise. Er gewinnt schnell seinen eigenen Raum und wirkt in seiner eigenen, geschaffenen Welt. Im Aussehen erinnert er ein bißchen an Christian Berkel (*1957), dessen Schau-Spiel an das Klavier-Spiel Ohad Ben-Aris erinnert, indem auch Berkel sich rasch einen eigenen Raum schafft. 

"Und so kommt zum guten Ende / Alles unter einen Hut. / Ist das nöt'ge Geld vorhanden / Ist das Ende meistens gut ..." --- so endet, mit diesen Versen aus der Fassung des Mackie-Messer-Songs aus dem "Dreigroschenoper-Film" (1930/31) dieser interessante Vormittag in der kleinen Musikhalle / Laeiszhalle; man verlässt eigentlich ungern den Schauplatz, - das ist ein gutes Zeichen -, und wendet sich zurück ins strahlende Frühsommer-Wetter, das man auf der Terrasse des neuen Fontenay-Hotels, zum Beispiel, mit Blicken auf die Alster, verbringen kann. - Wie gesagt: Ein interessanter Vormittag!

Foto:
Cover © Love Song: The Lives of Kurt Weill and Lotte Lenya 



Info:
"Lotte Lenya" von David Farneth, 1998 in den USA, 1999 in Deutschland erschienen
Lotte Lenya - Eine Autobiographie in Bildern
Farneth David (Hrsg.)
Könemann Verlag, 1999, Leinen
ISBN: 3829014376

Sprich leise, wenn du Liebe sagst. Der Briefwechsel Kurt Weill / Lotte Lenya.
Herausgegeben u. übersetzt von Lys Symonette u. Kim H. Kowalke.
Köln, Kiepenheuer & Witsch, 1998

Love Song: The Lives of Kurt Weill and Lotte Lenya 
von Ethan MorddenHardcover – October 16, 2012