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Kategorie: Kulturbetrieb
wm plakat sophieDEUTSCHE ERSTAUFFÜHRUNG IM ERNST-DEUTSCH-THEATER, HAMBURG, Teil 1/2

Wolfgang Mielke

Hamburg (Weltexpresso) - Eine "deutschsprachige Erstaufführung" zieht Presse-Aufmerksamkeit auf ein Theater. Das jedenfalls ist die erhoffte Nebenwirkung. Man kann aber auch einen bestimmten Autor oder – in diesem Fall – eine bestimmte Autorin von einem Theater aus fördern oder gar durchsetzen wollen. Dafür ist die Theatergeschichte reich an Beispielen. Ob es - gleichwohl - auch eine 'deutsche Zweit-' oder entsprechende 'Folge-Aufführungen' geben wird, muss offen bleiben. - Aber: Die Erstaufführung von "Sophie" gestern Abend im Ernst-Deutsch-Theater, Hamburg, war - insgesamt - sehenswert.

Das Stück von Roos Ouwehand (*1968), Schauspielerin und Autorin aus Leidschendam im holländischen Rheinmündungsgebiet, zeichnet in zwölf Bildern das knapp 90jährige Leben von 'Sophie' nach. -- Was bei Goethe (1749 – 1832) in zwei Zeilen abgehandelt wird ...

"Und so verbringt, umrungen von Gefahr,
Hier Kindheit, Mann und Greis sein tüchtig Jahr." (Verse 11577 – 78, "Faust II".)

... das dauert bei Roos Ouwehand in dieser Aufführung über zwei Stunden.

Goethe bleibt in Vers 11578 völlig sachlich und unpersönlich: Er zählt nur die drei Lebensstufen auf: Kind, Erwachsener, dem Tode naher alter Mensch. -- Roos Ouwehand geht nach dem selben Prinzip vor, aber die Stippvisiten, die sie vornimmt, sind ausführlicher. Denn sie fügt dem Prinzip des allgemein-menschlichen Lebensverlaufs noch die individuellen Züge der Hauptfigur 'Sophie', ihrer Mutter, ihrem Vater, ihren Freunden und Partnern, Kindern und Enkeln hinzu. Ein individualisiertes Lebensabfolge-Prinzip also. 

Ihr Stück ist ein Zwitterding, das zwei gegensätzliche Prinzipien unter einen einzigen Hut zu vereinen sucht. Hier liegen seine Grenzen und Möglichkeiten. Grenzen insoweit, als die Stärke der Individualisierung die Übersichtlichkeit des Lebensprinzips versanden könnte; Möglichkeiten insoweit, als der Ablauf des Stückes damit bereits vorgezeichnet ist. Das Lebensablaufs-Prinzip ist nicht neu, sondern besteht, seit Menschen existieren; spätestens, seit es Literatur und Theater gibt. Das Prinzip bietet also nichts, zumindest nicht viel Neues. Hier stößt man im Stück deshalb mehrfach auf Allgemeinplätze, auch zahlreiche Banalitäten; manches erinnert an Kalendersprüche. Zum Beispiel wird verkündet, man würde erst dann wissen, was man hatte, - und Glück ist hier gemeint -, wenn man es verloren habe. Natürlich ist das abgegriffen. Abgesehen davon – meiner Erfahrung nach – nicht einmal zutreffend! Das Glück wird einem auch schon, kann einem auch schon im Glück selbst bewusst werden.

Solche Kalendersprüche und manch andere überflüssige Sätze hätte man streichen oder bearbeiten müssen. Eine Frage der Textfassung. Wer aber ist für die Textfassung verantwortlich? -Die Autorin nicht; ihr Stück hat Grundlage zu sein; Ausgangspunkt der Inszenierung; Rohmaterial.  Also der Regisseur? Oder der Dramaturg des Theaters? - Beides möglich.  Oft hat der Dramaturg wenig zu melden. Im Extremfall beschränkt sich seine Tätigkeit auf die Erstellung des Programmhefts. Der andere Pol ist die Fast-Schon-Intendanz: Die Gestaltung des Spielplans, die Auswahl der Regisseure, (zumindest) Einfluss auf die Textfassung, also auf das: Was überhaupt auf der Bühne zu sehen und zu hören ist.

Irgendwo dazwischen liegt die Tätigkeit des Theaterdramaturgen. Sofern er lesen kann, - und davon sollte man ausgehen -, werden dem Theaterdramaturgen diese Schlacken im Text ebenfalls aufgefallen sein. Aber er hat nichts dagegen unternommen. Oder nicht genug. Vielleicht auch nicht hellhörig genug alles herausgehört?  Vielleicht einfach nur, nach Jahren an ein und dem selben Theater, Ermüdungserscheinungen?  Denn das Stück ist eindeutig um etwa 15 - 20 Minuten zu lang. Daher wäre es hilfreich gewesen, Überflüssiges, Banales zu streichen.  Ebenso überflüssige, ins Individuelle zielende Sätze. So zum Beispiel im letzten Bild: Die 'Sophie' wundert sich und stellt das befriedigt fest, dass sie sich an dies und das erinnert habe. Wir haben es als Zuschauer aber gerade eben erst gehört. Ihre Feststellung ist also überflüssig. Und ihre Freude, in diesem Punkte ihr Alter wenigstens einmal überlistet zu haben, ist nicht wichtig genug, um den Zeit kostenden Satz sprechen zu lassen; denn gerade vorher haben wir von ihrem Enkel erfahren, dass es ihr gelungen sei, die hohe Treppe zu ihrem alten Zimmer selbst hinaufzusteigen. Das zählt mehr.

Auf diese Weise hätte man das Stück straffer machen können.  Die Aufgabe der Dramaturgie, die Aufgabe des Regisseurs ist es nicht zuletzt, der Anwalt des Stückes, der Anwalt des Autors zu sein.  Davon ist hier zu wenig zu sehen.

Die Aufführungen bestehen jeweils aus drei Anteilen: Amerikanischer Folkmusik; den gespielten Szenen in Sophies Zimmer; den sichtbaren Kostümwechseln am Ende des schräg zulaufenden Zimmers. 

Die Musik suggeriert eine amerikanische Welt, die das Stück nicht bestätigt. Die Welt des Stückes erinnert eher an eine skandinavische oder west- oder mittel-europäische, jedenfalls bestimmt nicht ländlich-provinziell-amerikanische oder -kanadische Welt. Also: Diese beiden Elemente laufen völlig unverbunden nebeneinander her; man vergisst die Musik deswegen auch mehr und mehr, rasch; die Szene bleibt übrig. 

Die sichtbaren Kostümwechsel betonen, dass es sich um eine Theateraufführung handelt. Sie werden aber zunehmend auch Verwandlungs-Anlässe. Vor allem während der letzten Abschnitte des Stückes, der Aufführung. Und hier soll schon vorgegriffen werden und betont, dass die spannendste Leistung des Abends darin besteht, wie Anika Mauer die alternde Frau spielt. 'Die alternde Frau' bedeutet also nicht 'Sophie'? ... bedeutet insofern nicht 'Sophie', als die Alters-Episoden der Figur 'Sophie' deutlich älter sind als die Schauspielerin Anika Mauer. Ein Sprung in die Zukunft. Sie macht das so gut, dass man sich die 'alte Sophie' besonders gut vorstellen kann, denn Anika Mauer spielt diese Episoden uneitel, zurückgenommen-sachlich, unaufwendig. Man sieht die Verwandlung, aber man stört sich nicht an ihr, denn sie wird nicht als Leistung ausgestellt, aufgedrängt. Gerade darin liegt ihre Qualität und gerade darin liegt auch letztlich die Qualität des Abends. 

FORTSETZUNG FOLGT

Foto:
Plakat zur Aufführung
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