hwk kozielskiEin Tanzabend zur Deutschen Nationalversammlung und der Gründung des Bauhauses

Hanswerner Kruse

Weimar/Stuttgart (Weltexpresso) - In diesen Wochen wird in Weimar ein doppelter Aufbruch gefeiert: Vor 100 Jahren erarbeitete im Theater der Stadt die Deutsche Nationalversammlung die erste Verfassung der jungen Republik. Gleichzeitig wurde das bis heute einflussreiche Bauhaus in Weimar gegründet. Zu den Feierlichkeiten gehört auch der Tanzabend „Aufbruch“ im Nationaltheater.

Wieso entwickeln zwei freie Choreografinnen und ein Choreograf Tänze, um die politischen und kulturellen Geschehen vor einem Jahrhundert zu feiern? Zur angestrebten Synthese bildendender, darstellender und angewandter Kunst gehörten im Bauhaus auch zeitgenössische Tanzdarbietungen. Im Nationaltheater wurde einst das legendäre Triadische Ballett, mit eigenwilligen starren Kunst-Kostümen, des Bauhaus-Lehrers Oskar Schlemmer uraufgeführt.

In der aktuellen Koproduktion des Nationaltheaters mit dem Stuttgarter Ballett, scheinen sich zwei Choreografien geradewegs auf Schlemmer zu beziehen. Im ersten Stück Katarzyna Kozielskas verkörpert eine Tänzerin die berühmte Tischleuchte Wilhelm Wagenfelds, auf die andere Tanzende anfangs mit ihren, im klassischen Ballett wurzelnden, Figuren reagieren. In den Bewegungen wird die Darstellerin durch die Lampe so bestimmt, wie einst die steifen Kostüme Schlemmers den Ausdruck der Akteure bestimmten. Auch lange Stoffbahnen, die gerne im Bauhaus gewebt wurden, behindern und verwickeln die Tanzenden, aus denen sie von anderen Akteuren wieder befreit werden.

Im nächsten Stück Edward Clugs verändern sich auf der strengen weißen Bühne die zackigen Bewegungsabläufe der Tänzerinnen und Tänzer zunächst nur minimalistisch - wie in der sie begleitenden Minimal Musik Steve Reichs die Klänge. Dann scheint es, als zwängten ihnen - unsichtbare sperrige Kostüme des Triadischen Balletts - eckige, fast roboterhafte Bewegungen auf. Jedoch geschehen auch kurze erzählende oder humorvolle Ausbrüche, der wie Schaufensterpuppen wirkenden Akteure.

Beide Choreografien entstanden durch Assoziationen zur Arbeit und Lehre im Bauhaus. Doch wirken die durch den klassischen Tanz beeinflussten, allerdings nicht erzählenden Ballette auch für sich. Ganz anders dagegen „Revolt“ von Nanine Linning, die jahrelang Choreografin in Heidelberg war. Sie transformiert in eindrucksvollen Bildern die Dynamik revoltierender sozialer Bewegungen - wie 1918/19 in Deutschland - in zeitgenössischen Tanz. Auf der blauen Bühne in unterschiedlichen blauen Kostümen zu „blauen“ (also kühlen) Klängen, setzen sich immer wieder Einzelne vom tanzenden Ensemble ab und formen eigene Gruppen. Manchmal werden die Abweichler angegriffen oder zurückgeholt, doch schließlich bildet sich eine neue gemeinsame Formation heraus.

Alle drei, sehr unterschiedlichen Choreografien, lassen das Publikum nicht ratlos zurück, sondern fordern es zu eigenen Interpretationen heraus und riefen bei der Premiere in Stuttgart (oder den Premieren in Stuttgart und Weimar) Begeisterungsstürme hervor. Nach dem Stück bekamen die Tänzerinnen große Blumensträuße, die Tänzer gingen leer aus: Das hätte es am Bauhaus aber nicht gegeben...

Foto:
Katarzyna Kozielskas Choreografie mit der Wagenschein-Leuchte
© Stuttgarter Ballett

Info:
Die Stuttgarter Premiere war am 28. März, die Weimarer Premiere ist am 6. April. Weitere Vorstellungen in Stuttgart 16. / 24. / 29. April und 4. / 6. / 9. Juli