Bildschirmfoto 2019 05 05 um 11.23.51Interview mit dem Basler Shimon Gesundheit über jüdische Quellen der Gegenwart

Yves Kugelmann

Zürich (Weltexpresso) - Die Universität Zürich hat dem Basler Shimon Gesundheit die Ehrenpromotion 2019 der Theologischen Fakultät verliehen – im Interview spricht er über das Verständnis jüdischer Quellen in der Gegenwart.

tachles: Sozusagen jede und jeder kennt die Thora, den Pentateuch. Was bedeutet Forschung darüber?

Shimon Gesundheit: Ich beschäftige mich nicht nur mit der Thora, sondern mit dem ganzen Tanach. Und dieser ist nicht einfach ein Buch, sondern eher eine Bibliothek, die über Jahrhunderte von verschiedenen Autoren an verschiedenen Orten geschrieben wurde. Letzteres wurde durch die literarhistorische Forschung, die schon vor etwa 250 Jahren begann, gezeigt. Grundlegender als die zum Teil gewagten Vermutungen der Literaturgeschichte erscheint mir die Frage der Theologie: Ist sie einheitlich oder gibt es, genau wie im Talmud, auch Meinungsverschiedenheiten? Im Talmud gibt es eine Kultur der Diskussion, bei der zu jeder Aussage ein anderer Autor genau das Gegenteil sagt. Und das kann man auch im Tanach sehen. Für das rabbinische klassische Judentum war das eigentlich selbstverständlich. Anders als in der späteren Orthodoxie des Judentums scheuten sich die Rabbinen des Talmuds nicht, die Widersprüche in der Thora aufzudecken und sich dieser als Inspiration zu einer kreativen halachischen Auslegung und innovativen theologischen Einblicken zu bedienen. In meiner eigenen Forschung versuche ich, das Studium des rabbinischen Schrifttums aus den ersten Jahrhunderten der Zeitrechnung mit den Erkenntnissen der modernen, kritischen Bibelwissenschaft zu verbinden und daraus neue Einsichten für das Verständnis des Tanach zu gewinnen.


Sie sind praktizierender Jude und orthodoxer Rabbiner. Bearbeiten Sie die Texte eher vom wissenschaftlichen Standpunkt aus oder auch vom religiösen?

Zunächst ist ein Text ein Text und muss als solcher gelesen werden, weil er aus Buchstaben, Wörtern und Sätzen besteht und seiner Sprache eine Grammatik zugrunde liegt. So taten es auch unsere Vorfahren, wie zum Beispiel Raschi und seine Schüler im Mittelalter, deren Kommentare und Einsichten der Thora als Text und Literatur auch christliche Bibelexegeten im mittelalterlichen Nordfrankreich beeinflussten. Doch neben dieser ersten philologischen Erschließung des Texts hat die Thora als Offenbarung für einen praktizierenden Juden immer auch eine religiös verpflichtende Bedeutung, bei welcher die gesamte jüdische Rezeptionsgeschichte zur Geltung kommt.


Kann man Raschi als ersten Thorawissenschaftler sehen?

Es wäre anachronistisch, die exegetische Schule Raschis im 12. Jahrhundert – noch vor der Gründung der meisten europäischen Universitäten Europa – als systematisch-wissenschaftliche Forschung zu bezeichnen. Dennoch beruhte diese Schule trotz ihrer spärlichen Kenntnisse des historischen Kontexts und anderer semitischer Sprachen bereits auf wissenschaftlichen Prinzipien, weil sie sich zum Ziel setzte, die Thora als Text philologisch zu erforschen. Zudem pflegte Raschis intellektuelles und demokratisches Lehrhaus – im Gegensatz zu den sich bereits im Untergang begriffenen hierarchischen Lehrhäusern der «Geonim» in Babylonien – die jüdische Tradition der Diskussion und der Wahrheitssuche, welche herkömmliche Auslegungen und Ansichten immer wieder in Frage stellte, um zu neuen, fundierteren Erkenntnissen zu gelangen.


Im Untertitel eines Ihrer Bücher wird die «göttliche Thora» erwähnt. Was bedeutet das in wissenschaftlicher Auslegung?

Einem Glauben kann per Definition nicht widersprochen, er kann aber auch nicht bewiesen werden. Aber es ist kein Glaube, dass ein bestimmter Teil der Thora zu einer bestimmten Zeit von einem bestimmten Menschen geschrieben wurde, sondern eine historische Aussage, die richtig oder falsch sein oder erschüttert werden kann. Deshalb wird im Talmud der Schwerpunkt auf die «göttliche Thora» («min haschamajim») und nicht auf die «Thora Moses» gelegt. Mit diesem Glauben fühle ich mich verbunden.


Gerät der praktizierende jüdische Mensch in Ihnen manchmal in Konflikt mit dem Forscher?

Es dauerte eine Weile, bis ich mir – als orthodoxer Jude und Rabbiner – die Dinge zurechtgelegt hatte. Ich bin indessen zur Überzeugung gekommen, dass es etwas typisch Jüdisches ist, zu hinterfragen und zu forschen. Das kann nie mit Judentum im Widerspruch stehen.


Im Judentum gibt es im Gegensatz zum Christentum keine dogmatische Theologie. Wie unterscheidet sich Ihr Ansatz von jenem eines christlichen Wissenschaftlers?

Im Judentum gibt es keine Theologie in dem Sinn, dass es keinen Papst gibt, der entscheidet, was genau geglaubt werden muss. Das heisst aber nicht, dass es gar keine Theologie gibt, doch ist sie nicht einheitlich, sondern sehr facettenreich. Nur in der Halacha, in der Praxis, wird entschieden, was gemacht werden muss. Eine Theologie kommt natürlich auch in der Thora zum Ausdruck, und auch dort findet in ihren verschiedenen Ausrichtungen bereits eine innerbiblische Diskussion statt.


Hans-Joachim Schoeps, Schalom Ben-Chorin, Martin Buber und einige weitere haben versucht, eine jüdische Theologie zu begründen; sie sind alle katastrophal gescheitert. Weshalb?

Sie sind nur dann gescheitert, wenn als Ziel eine allgemein akzeptierte jüdische Theologie erwartet wird. Ebenso widersprechen sich die Gesamtdarstellungen des jüdischen Glaubens, welche von den ersten jüdischen Philosophen im Mittelalter (Saadja Gaon, Maimonides, Jehuda Halevi, Joseph Albo und andere) entworfen wurden in wesentlichen theologischen Fragen.


Gibt es, um mit Derrida zu sprechen, zwei Judentümer: jenes der Quellen und jenes der Rabbiner?

Die Theologie des Tanach oder der Thora ist tatsächlich nicht jene des rabbinischen Judentums. Letzteres ist eine Kultur der Interpretation, und dieser menschliche Umgang mit der göttlichen Thora darf im Talmud auch sehr kreativ und revolutionär oder sogar subversiv sein. Die Quellen werden darin völlig neu ausgelegt und zum Teil radikal umerklärt. Die Rabbinen des Talmuds hatten davor keine Angst und deklarierten ganz offen, dass sie die Kraft und Autorität haben, es zu tun. Doch diese kreative Auslegung beginnt schon im Tanach selbst. In der Forschung nenne ich das einen «innerbiblischen Midrasch», denn sobald ein Text geschrieben worden ist, wird er ausgelegt, und diese Auslegungen flossen in früheren Zeiten in den Text ein, bevor er kanonisiert wurde.


Sie lehren in Jerusalem, inmitten auch einer muslimischen Gemeinschaft. Gibt es einen Unterschied zu den Denkschulen des Korans, oder ähneln sich die Traditionen, etwa jene der Einladung zum Widerspruch?

Heute ist es leider schwieriger, Berührungspunkte zu finden. Zu Zeiten eines Maimonides etwa waren sich die beiden viel näher und haben sich sogar gegenseitig beeinflusst, und das hängt damit zusammen, dass beide Seiten – besonders der Mainstream des Islam – mit der Zeit dogmatischer geworden sind, weniger offen für Widersprüche und interreligiöse Gespräche.


Wie im Islam gibt es auch im orthodoxen Judentum die Entwicklung einer dogmatischen Einengung.

Ja, auch wenn es in den letzten 20 Jahren offener geworden ist. Es gibt bei uns heute durchaus auch orthodoxe Kreise, die sich für die wissenschaftliche und historische Erforschung des Tanach interessieren. Im Islam ist es schwieriger, weil er über sich selbst fast nicht wissenschaftlich, kritisch und historisch reflektiert. Eine Religion, die sich selbst nicht wissenschaftlich erforscht, wird automatisch fundamentalistisch.


Können mit der Gematria, der Zahlensymbolik, Texte im Text gefunden werden?

Ich glaube, dass man das in jedem Text tun kann. Tatsache ist aber, dass man sich nicht immer jene Sachen aussucht, die gut aufgehen. So gibt es den Witz, dass in der Gematria das Wort «Schabbat» gleichwertig ist wie «Tschulent» – aber bei Nachprüfung stimmt das nicht so ganz. Also sagt man: «Iss einfach noch ein wenig Tschulent, dann kommst du auf die Zahl.»


Also kein besonderes Merkmal der fünf Bücher?

Nein. Man findet es übrigens auch in anderen Kulturen. Und es ist sehr unterhaltsam und schön, und man kann darin auch interessante Gedanken zum Ausdruck bringen.


Ist es richtig, dass eines der grundsätzlichen Probleme im Fehlen eines Sanhedrin, eines obersten entscheidungsfähigen Gerichts, besteht?

Ja, das heisst, dass wir ein «technisches» Problem haben. Aber es ist auch ein historisches und theologisches, und darum sind wir leider etwas versteinert und haben Angst, Änderungen vorzunehmen. Sonst hätten wir das in der Halacha wie in früherer Zeit sicher schon oft gemacht. Wobei Änderungen sehr behutsam gemacht werden müssten – und einige passieren ja auch ohne Sanhedrin.


Die gesellschaftliche Entwicklung geht allerdings viel schneller vonstatten als diese Änderungen.

Richtig. Die Halacha bewegt sich nur langsam, aber sie bewegt sich, und ich glaube, dass man noch viel tun kann, damit sie wieder an Tempo zulegt. Ausschlaggebend ist aber immer der Kontext: Will man etwas ändern, um etwas zu erhalten oder für die heutige Zeit zu aktualisieren, oder will man es erschüttern, in Frage stellen oder abschaffen. Das ist meines Erachtens immer der ausschlaggebende Punkt.


Wie wird sich nach Ihrer Auffassung die zentrale Frage, wer jüdisch sei, angesichts einer globalen Gesellschaft in den nächsten Jahren entwickeln?

Ein hochaktuelles Thema in einem modernen Staat, in den über eine Million Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion eingewandert sind. Einige von ihnen sind als Soldaten für das Land gefallen, obwohl sie halachisch vielleicht gar nicht jüdisch waren. Daraus entsteht immer wieder die Debatte, ob sie nicht doch Juden waren, weil sie es durch ihre Taten gleichsam bewiesen haben. Aber diese Diskussion fand schon in alten Zeiten statt, und ein Beispiel dafür ist talmudische Diskussion über die Konversion von Ruth, über die wir zu Schawuot lesen. Auch heute müssen im Rahmen der Halacha flexiblere Lösungen gefunden werden, was in den letzten Jahren schrittweise bereits geschieht, dank mutigen orthodoxen herausragenden rabbinischen Autoritäten.


Um bei diesem Beispiel zu bleiben: Der einst auch in Basel und heute in Jerusalem lehrende Professor Daniel Schwartz legte dar, dass in den vorrabbinischen Zeiten, in den Zeiten von Esra und Nehemia, jüdisch war, wer die Grenzen zu Kanaan überschritt. Ein Thema von aktueller Brisanz, wenn es darum geht, wer jüdisch ist – als religiös definiert gemäss Rabbiner oder als Nomadenkultur territorial.

Ruth ist ins Judentum eingetreten, weil sie ihre arme, verwitwete Schwiegermutter nicht allein lassen wollte. Sie hatte als junge Frau das ganze Leben vor sich, doch sie war bereit, dieses aus Liebe zur ihrer Schwiegermutter zu opfern und in Israel als sozial und religiös niedrig gestellte und verarmte Moabiterin zu leben, ohne Hoffnung auf eine neue Heirat und eine Gründung einer Familie. In ihrem «Glaubensbekenntnis» sagt sie: «Denn wohin du gehst, dahin werde auch ich gehen, und wo du übernachtest, da werde auch ich übernachten; dein Volk ist mein Volk.» Erst nachher sagt sie: «Dein Gott ist auch mein Gott» und betont dann nochmals ihre menschliche und nicht religiöse Motivation. Es ist in diesem Buch sonst weder von Ruths Interesse an der Religion Israels noch von einer halachischen Konversion die Rede. Wie bereits die Rabbinen im Midrasch betonten, geht es in diesem Buch um Liebe. Diese wird als das Eintrittsbillet in das jüdische Volk ausgewiesen, mit welchem auch eine Moabiterin, deren Volk nach den Gesetzen der Thora eigentlich von Israel für immer ausgeschlossen bleiben sollte, dennoch nicht nur Teil des israelitischen Volks wird, sondern sogar die Urgrossmutter Davids, Israels König par exellence, von welchem auch der zukünftige Messias (Maschiach ben David) hervorgehen soll, wird.


Wie stark darf dann die Thora, die religiöse Komponente, Teil der Politik werden?

Wenn mit der «religiösen Komponente» das Herzstück des Judentums und der Thora gemeint ist, welches nach Rabbi Akiwa das Gebot der Nächstenliebe ist – dann möglichst stark. Wen aber mit der «religiösen Komponente» die kultischen Gesetze gemeint sind, dann so wenig wie möglich. So lehrten es uns die Propheten des Tanach. Sie sprachen zum Beispiel nie von Kaschrut-Essvorschriften oder religiösen Ritualen. Wenn sie in ganz wenigen Ausnahmen vom Schabbat sprachen, betonten sie gerade seine soziale und nicht seine religiöse Bedeutung. Doch das Hauptgewicht legte die prophetische Zurechtweisung auf die soziale Gerechtigkeit. Mit grossem Pathos kritisierten die Propheten die wirtschaftliche Ausnützung und Unterdrückung der Armen, die Korruption der Regierung und der Justiz, die religiöse Scheinheiligkeit – bei welcher frommes Fasten und Beten Hand in Hand mit Lügen und Stehlen gingen – und den Götzendienst mit seinen kultischen Greueltaten der Kinderopfer. Auch über den israelitischen Kult für den einen Gott findet man bei ihnen kaum ein gutes Wort. Wenn es keine soziale Gerechtigkeit und keine Nächstenliebe gibt, dann sind auch die religiösen Festtage und der Schabbat ein Greuel für Gott. Der Prophet Jirmejahu sagt, dass der Tempelkult für Gott eine abscheuliche Belastung ist und bezeichnet den Tempel Jerusalems als «Räuberhöhle».


Sie plädieren also für eine stärkere Trennung von Staat und Synagoge?

Ja, und ich meine, dass die Synagoge und die Religion davon sehr profitieren würden. Sie hätten weniger Autorität und Macht zum Zwang, aber mehr Einfluss und Identifizierung.


Sie leben, arbeiten und forschen in Israel. Was wäre für Sie ein Zukunftsmodell für einen jüdischen Staat?

Es müsste gemäss den Propheten und der Halacha ein Staat sein, der sich um seine Menschen kümmert, um die Armen, die Alten, die Kranken. Wie genau das gemacht werden müsste, ob es ein zentralisiert sozialistischer oder ein liberaler Staat wäre, welcher der Gemeinde ermöglicht, für den Einzelnen verantwortlich zu sein, ist wiederum eine andere Frage. Maimonides schreibt im 12. Jahrhundert in seinem monumentalen halachischen Werk (Hilchot Matnot Anijim 9,3): «Niemals sahen oder hörten wir, dass es im Volk Israel [irgendwo auf der Welt] eine Gemeinde gibt, welche nicht über eine Armenkasse verfügt!» Gemäss den alten rabbinischen Quellen schreibt er wöchentliche Eingaben in diese Kasse und ihre Verteilung an Bedürftige vor. Ebenso werden Arme und Hungrige täglich von der Gemeinde mit Geld und Essen versorgt. Dies ist erstaunlich, wenn man bedenkt, dass in Europa vergleichbare Sozialgesetze erst Anfang des 20. Jahrhunderts aufkamen. Ebenso sollten uns heute andere ethische Pionierleitungen der Thora und der Halacha inspirieren. Zum Beispiel schreibt die Thora bereits eindrückliche Tierschutzgesetze vor, zum Beispiel im 5. Buch Mose 25:4: «Du sollst dem Ochsen nicht das Maul verbinden, wenn er drischt.», während die ersten Tiere schützenden Gesetze in Europa erst Anfang des 19. Jahrhunderts erschienen. Ebenso könnte man vom öffentlich finanzierten und für alle Teile der Bevölkerung zugänglichen Schulwesen sprechen, das schon im Talmud vorgeschrieben wird, oder von den in der antiken Welt beispiellosen Gesetzen der Thora, Fremde und Knechte zu beschützen und zu lieben, zum Beispiel im 3. Buch Mose 19:33-34, und vom einzigartigen Verbot einen von seinem Besitzer geflohenen Sklaven an Letzteren auszuliefern im 5. Buch Mose 23:16.


Die politische Situation Israels allerdings hat nichts mehr Biblisches. Wie beurteilen Sie das Land nach den Wahlen von April?

Leider kann ich mich am Ausgang der Wahlen nicht ergötzen. Ich bin kein Anhänger von Binyamin Netanyahu. Doch ich muss zugeben, dass er in seinem 1995 publizierten Buch «Fighting Terrorism: How Democracies Can Defeat Domestic and International Terrorism» den islamischen Terrorismus klar prognostizierte und – wie sich inzwischen herausstellte – überraschend zutreffend analysierte. Das etwa gleichzeitig publizierte Buch «The New Middle East» von Shimon Peres mutet dagegen heute wie eine utopische Karikatur an. Es wäre lustig, wenn es nicht so traurig wäre. Denn die unrealistischen und weltfremden Friedenspläne von Shimon Peres sind noch zu Lebzeiten Itzhak Rabins blutig gescheitert, worüber auch Rabin kurz vor seiner schrecklichen Ermordung besorgt in seinem engsten Freundeskreis sprach. Ich selbst war als neuer Einwanderer aus der Schweiz ein Teil der Osloer-Friedensprozess-Euphorie und war nachher schmerzhaft enttäuscht, als ich erkennen musste, dass im Nahen Osten andere Verhaltensregeln als in der Schweiz und ihren Nachbarländern gelten. Der Friedensprozess der neunziger Jahre hatte katastrophale Folgen für die Israeli und noch mehr für die Araber und verursachte auf beiden Seiten unzählige Todesopfer und viel Leid und Schmerz. Besonders traurig ist, dass heute, nach dem verheerenden Scheitern des sogenannten Friedensprozesses, niemand – auch nicht die radikalen linken Parteien – mehr von Frieden spricht, sondern nur noch von der Notwendigkeit einer Trennung zwischen Israeli und Arabern. Unrealistische und gefährliche Friedenspläne können die Hoffnung auf wirklichen Frieden begraben.


Und wo sehen Sie Hoffnung?

In den letzten Jahren wagen sich immer mehr Araber, seien es israelische Staatsbürger oder Palästinenser, ihre zionistische Überzeugung in den digitalen Medien und Netzwerken zum Ausdruck zu bringen.


Und dennoch werden gerade diese Araber trotz israelischem Pass nicht vollumfänglich gleichberechtigt.

Dennoch wertschätzen sie den jüdischen Staat, weil er die einzige Demokratie im Nahen Osten ist. Die Möglichkeit eines Lebens in einem palästinensischen Staat ist für sie ein Albtraum. Nur im Rechtsstaat Israel fühlen Sie sich sicher und nur hier sind die arabischen Frauen gleichberechtigt. Sie sind stolz auf ihre Kinder, die sich freiwillig zum israelischen Armeedienst melden, um ihren Staat Israel vor den Bedrohungen seiner Nachbarländer zu beschützen. Sie sind Parteimitglieder des Likud und sogar der rechtsgerichteten nationalreligiösen Fraktion Jüdisches Haus und kandidieren in ihren israelischen Parteien, um in die Liste der realen Parlamentssitze aufgenommen zu werden. Erfreulich ist, dass es unter ihnen auch mutige und beeindruckende arabische Frauen gibt, wie etwa Dema Taya der Likud-Partei und Annette Haskya der Fraktion Jüdisches Haus.


Ist das nicht eher die Minderheit innerhalb der Minderheit?

Diese Araber sind der Überzeugung, dass sie die grosse schweigende Mehrheit repräsentieren, die allerdings keinen Mut hat, dies offen zu bekunden. Es mag überraschen, dass es dennoch so viele mutige Leute unter ihnen gibt, doch ihre ausgesprochenen Ansichten sind ja wirklich viel logischer und realistischer als die Meinungen der arabischen Politiker, welche vom Konflikt leben und ihn deshalb schüren und nicht wirklich beenden wollen. Ich habe Hoffnung, dass immer mehr israelische Araber den Mut aufbringen werden, ihre politischen Ansichten zu äussern. Frieden mit den arabischen Nachbarländern wird es allerdings erst dann geben, wenn bei ihnen ein grundlegender Paradigmenwechsel geschehen wird. Mit den Worten des Arabisten und ehemaligen Aussenministers der damaligen Arbeiterpartei Abba Eban: «Am selben Tag, an welchem die Araber eingestehen werden, dass auch wir ein Recht auf dieses Land haben, wird es Frieden geben!»

Foto:
Shimon Gesundheit mit dem Dekan der Theologischen Fakultät Peter Opitz (l.) und Rektor Michael Hengartner (r)
© tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 3. Mai  2019