wm Brandt u. Bahr"DEMOKRATIE" im Ernst-Deutsch-Theater, Hamburg, Teil 3/3

Wolfgang Mielke

Hamburg.(Weltexpresso) - Was aber 1967 – 1969 der wesentliche Unterschied war, war der Generationswechsel: Eine junge, neue Generation trat an. Das Wesentliche daran war, dass sie die herrschende Generation verklagte, anklagte. Das hatte es in dieser Form, in dieser länderübergreifenden Breite niemals zuvor gegeben. Zielpunkt war die echte oder vermeintliche Schuld, die diese Generation sich während der NS-Herrschaft aufgebürdet hatte. "Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren!", konnte man an der Hamburger Universität auf einem berühmt gewordenen Transparent lesen

Stärkster Auslöser war die Brutalität der US-Amerikaner im Vietnam-Krieg gewesen – und die gleichwohl weiterhin geübte vasallenhafte Treue der herrschenden Regierenden, die sich auf diese Weise sozusagen zum zweiten Male schuldig machten.  Erich Fried (1921 – 1988) schrieb damals: "... und Vietnam und ..." - Der Anti-Amerikanismus wurde zum wesentlichen Charakteristikum der 1968er-Generation. (Man kann das auch bei YouTube noch nach-sehen, wie empfindlich Brandt gegen diesen Vorwurf des Anti-Amerikanismus reagiert. https://www.youtube.com/watch?v=l5QLziJftAE .) 

Auch wohl daher die Hinwendung nach Osten. Hinzu kam ab Ende der 1960er Jahre sozusagen die 'sexuelle Demokratisierung' durch die "Pille", die den Frauen eine ganz neue befreiende Sicherheit verschaffte, die sie bis dahin nicht gekannt, nicht gehabt hatten. Man kann gelegentlich hören, Adenauers (1876 - 1967) Politik der West-Integration der Bundesrepublik Deutschland sei durch den Mauerbau gescheitert. Genau genommen war der Mauerbau, im August 1961, die deutlichste und stärkste Bestätigung des Erfolges seiner Politik!  Nicht, dass er es auf die verstärkte Teilung Rest-Deutschlands abgesehen gehabt hätte: Aber der Sog West-Deutschlands war so groß gewesen, dass täglich über 3.000 Bewohner der damaligen DDR, meist über West-Berlin und per S-Bahn, in die Bundesrepublik übersiedelten. Der Mauerbau hat die DDR stabilisiert und als zeitweilig funktionierenden Staat überhaupt erst möglich gemacht. Als der Eiserne Vorhang - oder vielleicht treffender der Beton-Vorhang - sich wieder öffnete, im Mai 1989, durch Ungarn, fing der Exodus von neuem an – und die DDR brach, vom Geld-Faktor abgesehen, zusammen.

Der Mauerbau 1961 hatte die damals allein regierende CDU/CSU in tiefe Ratlosigkeit gestürzt. Es gibt eine schöne MARKUS-Karikatur (*1928) aus dem "Stern" von Mitte der 1960er Jahre, in der die damalige Bundesregierung am Grenzzaun zur DDR steht – und jenseits des Zauns ist alles weiß, nichts vorhanden, wie wegradiert. Der Text dazu lautet sinngemäß: "Wir glauben fest daran, dass, wenn wir die DDR auch weiterhin totschweigen, sich das Problem von selbst auflöst." 

Die neue Ost-Politik der sozial-liberalen Koalition tat das Gegenteil: Man erkannte die DDR als eigenständiges Staatsgebilde an! Der bis dahin geltende Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik Deutschland wurde aufgegeben. Fortan gab es zwei deutsche Staaten. Über den Preis dafür wurde im Bundestag gestritten wie seither niemals wieder. Dabei ging es nicht nur um die Beziehung zur DDR, sondern auch um die deutschen Gebiete jenseits der Oder-Neiße-Linie, auf deren Zugehörigkeit zu Deutschland die West-Alliierten bis dahin immer wieder verpflichtet worden waren. Ob auf diese Verpflichtung viel zu geben gewesen wäre in einem Fall des Falles, ist allerdings fraglich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Margaret Thatcher (1925 – 2013) bereits im September 1989 zu Michail Gorbatschow (*1931) flog, um die sich ankündigende deutsche Wiedervereinigung noch zu verhindern, und dabei betonte, dass alle eine deutsche Wiedervereinigung befürwortenden alliierten Äußerungen nichts als Makulatur seien und man sich von den freundlichen Worten auf keinen Fall täuschen lassen dürfe ... 

Scharf gestritten wurde damals im Bundestag wie seither nicht mehr. Daher auch die unvergessene Aktualtität von Frayns Thema und Stück.


Wiedergabe der Wirklichkeit im Bühnenstück

Das Stück von Frayn fasst die Zeit von der Bundestagswahl 1969 mit dem Antritt Brandts bis zu dessen Rücktritt und Antritt Helmut Schmidts zusammen. In den Mittelpunkt dieses Stückes stellt Frayn die Spionage-Affäre um den DDR-Spion Günter Guillaume (1927 – 1995), sein Herantasten an Brandt, seine Angst, entdeckt, enttarnt zu werden und seine Verantwortlichkeit gegenüber Markus Wolf (1923 – 2006) als seinem Chef der DDR-Spionage und gegenüber seinem größten Coup, einen DDR-Spion so unmittelbar nah an den west-deutschen Bundeskanzler heranmanövriert zu haben. Dieses Spannungsverhältnis bildet den roten Faden des Stückes. Denn Frayn ist Theaterautor, Dramatiker, - und ein solches Spannungsverhältnis eignet sich natürlich dazu, das Grundgerüst eines Stückes zu bilden und zu tragen.

Dazwischen werden Szenen aus dem damaligen Bonner politischen Leben eingebaut: Das Misstrauensvotum vom 27.4.1972 gegen Brandt, das Herbert Wehner durch Stasi-Gelder, durch Bestechung zweier CDU/CSU-Hinterbänkler abwehrte; Brandts Wahrkampfreise per Zug durch Deutschland, 1972; Brandts stehen am Fenster in Erfurt; sein Kniefall in Wahrschau, 1970. Und viele andere Ereignisse der damaligen Zeit. Manches dabei wird nur erwähnt, berichtet, nicht gezeigt, was dem Autor ebenso möglich gewesen wäre, wie zum Beispiel die Verleihung des Friedensnobelpreises an Brandt in Oslo; wie sein Üben des Kniefalls in seinem Hotelzimmer; Brandts Begegnung mit der russischen Führung zur Unterzeichnung der Ost-Verträge.


Wo bleibt Egon Bahr?

Hier – und überhaupt im Stück -, fehlt überraschend aber eine wesentliche historische Figur der damaligen Zeit, nämlich Brandts Unterhändler und 'Vordenker' Egon Bahr (1922 – 2015), der bereits 1963 mit seiner Formulierung vom "Wandel durch Annährung" in das Vakuum, das der Mauerbau bei der CDU-Regierung verursacht hatte, hineinstieß und unter Brandt dann zum 'Architekten' der Ost-Politik wie der Ost-Verträge wurde. Diese Politik bestand in der Regelung zwischen zwei getrennten und unabhängigen deutschen Staaten. Die Idee war gewesen, erst einmal wieder ins Gespräch miteinander zu kommen und überschaubare Verkehrsregeln miteinander auszuhandeln. An Wiedervereinigung war zu jener Zeit nicht zu denken; es konnte allenfalls um den Anfang einer Koexistenz gehen. Der Preis aber für diese Bewegung, die in die erstarrte Politik nach dem Mauerbau gebracht werden sollte, war die weitgehende staatliche Anerkennung der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone als DDR. Dieser Schritt wurde durch die Ost-Politik der sozial-liberalen Politik unternommen.

Die Opposition entzündete sich vor allem an der Höhe des Preises für diesen Schritt. Daher damals die vehementen Debatten im Bundestag, die fast so spannend waren, wie es ein Börsen-Ticker sein kann. Egon Bahr weinte damals, als Brandt im Mai 1974 wegen der Guillaume-Spionage-Affäre zurücktrat. Das ist unvergessen. Da Bahr natürlich, wie jeder Architekt, sein Bauwerk liebte und bewahren wollte, das in einem friedlichen Nebeneinander mit der DDR bestand, war es nur konsequent von ihm, an der Jahreswende 1989-1990 nach Moskau zu fliegen und die unter Kohl nach §23GG geplante Wiedervereinigung zu verhindern zu versuchen.  Frayn hat die historische Person Bahr aus seinem Stück weggelassen. Als echter Stückeschreiber stützt er sich lieber auf den Konflikt um Günter Guillaume, der nach der Wahl vom November 1972 an Bahrs Stelle nach und nach engster Vertrauter Brandts wurde.

All diese Erinnerungen an diese spannungsreiche Zeit werden durch Frayns Stück wieder wach gerufen! Man wünscht sich eine Fortsetzung! Bis hin zum Mauerfall und bis zur Wiedervereinigung - und damit bis zum Ende des Nachkriegszustands unseres Landes.
 
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