hwk Biennale bootSerie: Rundgänge auf der 58. Biennale, Teil 1/3

Hannah Wölfel & Hanswerner Kruse

Venedig (Weltexpresso) - Seit der Verleihung der Goldenen Löwen zur Eröffnung gilt die 58. Biennale als politisch. Wenn man sich dort eine Woche lang treiben lässt, erlebt man jedoch eher die Spannweite der zeitgenössischen Weltkunst: Man wird nicht politisch belehrt und hat auch nach sieben Tagen noch längst nicht alles gesehen.

Am Rand der Ausstellungshallen im Arsenale liegt auf einem Transporter ein aus dem Meer geborgenes Schiffswrack (Titelfoto). Es fällt zum Beginn des Festivals kaum auf, denn in dem einstigen Militärgelände verrotten viele Boote, Kräne und andere Geräte. Angesichts riesiger Lecks im Rumpf spürt man jedoch ein Grauen - und fragt sich: „Ist das Kunst?“

Später wird bekannt, der Kahn sei ein Fundstück, das vom Schweizer Künstler Christoph Büchel zur Kunst erklärt wurde, ein gesunkenes Flüchtlingsschiff, in dem 2015 Hunderte von Menschen starben. Ein Jahr später engagierte sich der italienische Politiker Matteo Renzi für die Bergung des gesunkenen Schiffs, in dem sich noch Hunderte von Leichen befanden. Nun pöbelt die rechtskonservative Regierung Italiens gegen den angeblichen Missbrauch des Schiffes für politische Propaganda auf der Biennale.

Doch das Wrack ist zuallererst ein „Objet trouvé“, ein eigenständiges Kunstwerk, das für sich selbst spricht und keine Interpretationen benötigt, um Entsetzen und Nachdenklichkeit auszulösen. Man muss nichts über seine Geschichte wissen, um von diesem Objekt berührt zu werden. Der daneben stehende Kran suggeriert sogar noch vergebliche Hilfe, denn der Haken am Stahlseil erreicht nicht das Schiff.

hwk Biennale strandAuch der Goldene Löwe für die Operninszenierung im Litauischen Pavillon muss für den Vorwurf des politischen Missbrauchs herhalten. Doch das Singspiel „Sun & Sea“ ist ein autonomes Gesamtkunstwerk aus Musik, Gesang, szenischem Theater und Environment. In dem abgelegenen, schwer zu findenden Gebäude innerhalb der militärischen Sperrzone ist ein Sandstrand aufgeschüttet. Von der Empore, also lediglich von oben (!), kann man das Strandgeschehen miterleben: Samstags, leider nur an einem Tag in der Woche, simulieren venezianische Sängerinnen und Sänger sowie Statisten Badeurlaub und singen dazu über den Zustand der Welt. Während der Proben jammerten die einheimischen Akteure mächtig über ihre anstrengende Arbeit, doch als das Werk ausgezeichnet wurde, weinten viele.

Das kleine Litauen hat eine mutige und eindrucksvolle Inszenierung geschaffen, die keine plakativen Aussagen über Politik oder Ökologie macht, sondern das Publikum intensiv die Bedrohung unserer Umwelt spüren lässt. Auch dadurch wird die größte Kunstschau der Welt nicht zum Politikum, übrigens genauso wenig, wie durch die zwei Objekte chinesischer Künstler:

hwk Biennale blutmaschineDie Schaufel einer riesigen Maschine schiebt eine blutartige Flüssigkeit zusammen, die beharrlich wieder auseinanderfließt. Zuweilen hält das Gerät in seiner Sisyphos-Arbeit inne, reckt sich bedrohlich in die Höhe oder kreist spielerisch auf der Stelle (Foto). Von einem edlen weißen Thron aus schlägt mitunter ein schweres schwarzes Gummiseil wild und brutal um sich, dann herrscht wieder Ruhe. Auch diese beiden Artefakte vermitteln keine Botschaften, sondern sind freie Kunstwerke, die unter die Haut gehen. Es sind betroffen machende, aber offene Arbeiten, deren Bedeutung man sich durch eigene Assoziationen erschließen muss.



Fotos:

©Hannah Wölfel & Hanswerner Kruse
Der Strand bei „Sun & Sea“ ist leider unbespielt