kl Biennale 2 1100168Serie: Rundgänge auf der 58. Biennale, Teil 2/3

Hannah Wölfel & Hanswerner Kruse

Venedig (Weltexpresso) - Zunächst einmal etwas Sinnliches über den isländischen Pavillon: Abseits von Gardini und Arsenale sind wir in eine langgezogene farbenfrohe Kuschelhöhle eingetaucht und haben uns zu psychedelischer Musik einfach nur wohlgefühlt. Aber „Wohlgefühl“ reicht vielen Kritikern der Biennale natürlich nicht bei ihrer Kontrolle der Kunst, die hier auch noch von einer Frau produziert wurde...

„Von wegen politisch...“, fragten wir im ersten Text über unsere Rundgänge auf der 58. Biennale in Venedig. Wir wunderten uns über das seltsame Kunstverständnis, das häufig zunächst nach der politischen Bedeutung, nicht aber der Ästhetik und künstlerischen Qualität der diskutierten Arbeiten fragte. Dagegen überrascht uns, dass das Politische an scheinbar privaten Werken kaum wahrgenommen wird:

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Eine junge Japanerin, die bunt bemalte Beinprothesen trägt, sitzt zum Interview im Pressezentrum. In der Ausstellung „May You Live in Interesting Times“ ist sie, Mari Katayama, zweimal mit inszenierten Fotografien vertreten. Entweder ist sie selbst als Performerin oder als Teil ihrer Artefakte zu sehen: sie tritt nicht hinter die Werke zurück.

Ganz in der Tradition der Performance und Body-Art zelebriert sie auf radikal künstlerische Weise die Ästhetik des Andersseins: Ihre Diversität ist nicht länger private „Behinderung“ sondern politische - aber nicht plakative - Aussage über den Zustand und die Möglichkeiten unserer normierten Gesellschaft!

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Katayama drapiert sich für Fotos vielfach mit gestrickten und gehäkelten Körperteilen, die ihr fehlen. Diese Inszenierungen haben etwas Märchenhaftes und zugleich Erschreckendes. Inspiriert wurde sie dazu von einem Zweig des japanischen Puppentheaters. Ihre künstlerischen Mittel sind neben ihrem eigenen Leib vor allem Leder, Stoffe und Garne, die in der westlichen Bildenden Kunst nicht gerne gesehen und als „Frauenkram“ denunziert werden.




Wir erinnern uns, wie bei der letzten venezianischen Biennale 2017, „Via Arte Viva“, die Kuratorin Christine Macel bösartig angegriffen wurde. Es gab viele, von der Kritik abgewertete Objekte aus nicht wertvollen und textilen Materialien. Hier bekam auch endlich der aus Fulda stammende Franz Erhard Walther, mit 77 Jahren, (s)einen Goldenen Löwen für die ausgestellten Arbeiten; es war aber klar, dass der Preis ebenfalls seinem Lebenswerk galt. In den 1970er-Jahren ging er nach New York, weil seine Kunst in Deutschland einfach nicht beachtet wurde. Viele Jahre lang zählte hier nur die bemalte Leinwand als Stoff (im doppelten Sinne).

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Altkanzler Schröder würde wohl auch die, wie riesige Unterwasser-Landschaften oder Korallenriffs wirkenden Objekte der Zwillingsschwestern Margaret und Christine Wertheim als „Gedöns“ bezeichnen. Viele männliche Kritiker schätzen ihre Werke überhaupt nicht, obwohl die gestrickten und gehäkelten Arbeiten zunächst einmal wie autonome traumartige Wunderwelten erscheinen. Die benutzten Materialien und Techniken (aus der klassischen weiblichen Handarbeit) sind nicht sofort zu erkennen, verfremden letztlich aber wiederum die Werke, lassen sie irgendwie künstlich erscheinen und irritieren die Betrachter: Es sind eben keine Abbilder von Korallenriffs, sondern deren Ästhetik und deren bio-physikalischer Struktur nachempfundene - aber eigenständige - Kunstwerke.

Die sind übrigens kollektiv entstanden, seit mehr als einem Jahrzehnt arbeiten viele Frauen (und Männer?) mit den Wertheim-Schwestern an diesem Projekt. Es hat natürlich auch das Ziel, auf die plastikverseuchten Ozeane und das Korallensterben aufmerksam zu machen.

Fotos:
(c) Hannah Wölfel & Hanswerner Kruse