wm Bundesjugendballett Shakespeare 2Das Bundesjugendballett versucht es mit Shakespeares Welt, 1/2

Wolfgang Mielke

Hamburg (Weltexpresso) - Das Zitat stammt von Alfred Kerr (1867 – 1948), dem berühmtesten Theaterkritiker des vergangenen Jahrhunderts. Vollständig lautet es so: "Seines Könnens Gipfel, glaubt man, War der Köpenicker Hauptmann. Häufig hat er uns erfrischt. Nur mit Shakespeare war es nischt."

Darüber steht noch der Name "HILPERT". - Auf einer Zeitungsseite wurden, 1932, neun Theater-Regisseure vorgestellt: Durch rasche, begabte Portraitskizzen von Leon Schleifer (1900 – 1961), der sich im US-amerikanischen Exil William Sharp nannte, und vierversige Kurzgedichte von Alfred Kerr. -- Heinz Hilpert (1890 – 1967) hatte im März 1931 Carl Zuckmayers (1896 – 1977) Stück "Der Hauptmann von Köpenick" mit grandiosem Erfolg uraufgeführt. -- Und da ich – nun vor der Aufführung - im Ernst-Deutsch-Theater, Hamburg, Volker Lechtenbrink (*1944) spreche, der vor wenigen Jahren dort den 'Wilhelm Voigt', also den 'Hauptmann von Köpenick', gespielt hat, fällt mir dieses Zitat wieder ein.

Der größte und einzig bleibende Wert des Abends ist das Bühnenbild von Peter Schmidt (*1937). Er hat ein Zitat des Shakespeare'schen Globe Theatres auf die Bühne gestellt. Ein wunderbares Bühnenbild. Lechtenbrink wird die kommende Spielzeit im Ernst-Deutsch-Theater mit Shakespeares "Was ihr wollt" eröffnen, das war der Grund seines Besuches, und er wäre gut beraten, das Bühnenbild beizubehalten, gleich zu übernehmen: Eine zweigeschossige Galerie mit kastenartigen Verdickungen jeweils an den Basen der schlanken Pfeiler, auf denen die Darsteller sitzen oder stehen können. Ein Bühnenbild also, das auf vielfache Weise bespielt werden kann. Es weckt die Vorstellung eines Theaterrunds, auch wenn es aus mehreren in sich geraden, aber eckig aneinander gesetzten Teilstücken besteht; ein Halbrund, gewissermaßen ecikg und gleichzeitig rund einen Halbkreis bildend konstruiert.

Die Idee, junge Tänzer einer begabten Nachwuchsklasse von John Neumeier (*1939) mit Schauspielern und Musikern zusammenzubringen, um den Geist Shakespeares zu beschwören, ist eine sehr gute Idee. Das Ergebnis dieser Beschwörung allerdings enttäuschend. - Was wäre da alles möglich gewesen! - Shakespeare ist ein Kosmos. Das Bühnengeschehen ist es nicht. Bis auf ein paar Momente, in denen die Tänzer auf gereckten Füßen, also mehr oder weniger auf Zehenspitzen, höfisch daherschreiten, verlebendigen sie die Welt Shakespeares nicht. Sie könnten auch zig andere Autoren und andere Stücke meinen. - Was wäre, um es zu wiederholen, da alles möglich gewesen! - Die Welt Shakespeares! - Welt! -

Die Schauspieler sprechen einige Zitate aus Shakespeares Texten in die Manege, wobei die wenigsten davon die für Shakespeare nötige Resonanz mitbringen; etwa nur Daniel Schütter. Die Anfangsteile von "Macbeth" werden sogar in Shakespeare-Englisch gesprochen; das klingt auch korrekt und sauber, bringt uns den Autor aber deswegen nicht näher. - Am Ende werden einige der bekanntesten Zitate Shakespeares aus seinen Stücken, wie "Sein oder Nicht-Sein ..." aus "Hamlet" oder "Es war die Nachtigall und nicht die Lerche" aus "Romeo und Julia " (das fast immer falsch verstanden wird, nämlich als qualitative Wertung zugunsten der Nachtigall, während es nichts als eine Zeitangabe bedeutet) und noch vier oder fünf andere, sich immer mehr steigernd und verdichtend zu einer Art Kakophonie hochgepeitscht – dann ist Schluss. Das ist als Mittel nicht neu, aber legitim und durchaus einsetzbar. Wäre auch schon zur Pause erstmals nutzbar gewesen. Akzente solcher Art können ja rhythmisieren.

Nur sieht man eben von Shakespeare so gut wie nichts. Fast nichts aus seiner Fülle der Figuren! Das hätte doch wunderbar ineinandergreifen können. Wenn man schon die Schauspieler für die Texte hat; und auch die Musiker, die zwar nicht genialisch sind, aber durchweg reell, ohne Bedenken einsetzbar; und nicht zuletzt dieses großartige Bühnenbild: Warum dann nicht den Shakespeare'schen Kosmos, den ja laut Titel das Bundesjugendballett zeigend treffen soll, auf die Bühne bringen?? Es bleibt verwunderlich. Bedauerlich sowieso. Bei der szenischen Voraussetzung! Es ist nicht zu verstehen. Die Tänzer hätten es gekonnt; die Musiker hätten ausgereicht; auch die Schauspieler hätte man entsprechend zur Geltung bringen können.

Was, zum dritten Mal, hätte man daraus alles machen können! - Beginnen wir mit der verwunschenen Hexenwelt des "Macbeth": Es ist ja hübsch, das auf Englisch zu hören, aber warum bekommen wir diese düster-brodelnde, aus dem blasenwerfenden Moor aufsteigende Hexenwelt nicht zu sehen? - Warum nicht Caliban (aus dem "Sturm"), eingeklemmt in eine Föhre, den erst Prospero befreit und sich dann untertan macht? Warum nicht den schwebenden Luftgeist Ariel? - Das alles wäre ja ertanzbar gewesen. - - Warum nicht den seine Mordpläne schmiedenden böse an den kläffenden Hunden vorbeihinkenden Gloster ("Richard III.")? - Warum nur karge Andeutungen von der Liebesinnigkeit Romeos und Julias? - Warum nicht den unmäßig dicken und wohl auch selten nüchternen Falstaff? - Warum nicht die von Jago immer wieder neu angefachten Eifersuchtsqualen eines Othello? - Warum nicht Hamlet, den Grübler, der deswegen zur Tat nicht kommt? - Warum nicht Ophelia, das unschuldigste Opfer im "Hamlet"? - Warum nicht den geheimnisvollen König Cymbelin? - Und warum nicht – und was böte sich leichter an? - die Elfenwelt aus dem "Sommernachtstraum"??? -

Das alles hätte großartig und staunenswert ineinander komponiert sein können. Mit kurzen Text-Einsätzen, Überleitungen, um die Szenen voneinander zu trennen, aber gleichzeitig auch miteinander zu verbinden. Mit großartigen tänzerischen Szenen; mit musikalischer Unterstützung, wo nötig; mit schauspielerischem Einsatz, um zu steigern, zu ordnen, zu schlichten. --- Wir sehen nichts davon. - Eine sonderbar verschenkte Chance. - Der Rahmen so gut! - Alles andere letztlich willkürlich und dadurch gestaltlos. Zerbröselt. Nicht haftend. Förmchen, nicht Form. - Was schade ist und unverständlich, denn das Material dazu war gegeben.

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