F leonhrenSerie: SCHÄTZE AUS DEM SCHUTT. 800 Jahre St. Leonhard in Frankfurt am Main, Teil 4

Bettina Schmitt

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Schätze aus dem Schutt: Nicht nur Erweiterungen und eine neue Einwölbung hatten im Lauf der Jahrhunderte das
unmittelbar am Main gelegene Gebäude verändert. Aufgrund des Hochwasserschutzes wurde mehrfach der Fußboden erhöht, so dass das zu Beginn der Innensanierung angetroffene Fußbodenniveau 2,20 Meter höher lag als das der ersten romanischen Kirche.

Für jeden dieser Umbauten wurde auch Füllmaterial aus der Kirche verwendet, so dass die Ausgrabungen der Jahre 2009–2014 nicht nur die architektonischen Strukturen – etwa die verzierten Basen der Pfeiler und Portale, die Grundmauern des romanischen Rechteckchors oder Altarfundamente – ans Licht brachten, sondern auch eine große Zahl von Grabplatten sowie zerbrochener oder zerschlagener Kunstwerke wurde gefunden, darunter der im 19. Jahrhundert im Chor gleichsam beigesetzte Atzmann, die Fragmente des steinernen Heiliggrabaltars und die
Tonscherben einer um 1430/1440 entstandenen Beweinungsgruppe. Aufschlussreich sind natürlich auch die zahlreichen Pilgermuscheln, Fußbodenfliesen, Glasfensterscherben oder Münzen, die in der Kirche zutage kamen und nicht zuletzt die anthropologischen Funde in den
zahlreichen Grabstellen im Kircheninneren.

Zusammen mit den jüngst am Gebäude erforschten baugeschichtlichen Befunden erzählen die Grabungsfunde in überaus anschaulicher Weise neue Episoden zur wechselvollen Geschichte von St. Leonhard. Anders als die an der Oberfläche verbliebenen Werke haben die wiedergefundenen Fragmente ihr mittelalterliches Aussehen, namentlich ihre Farbfassung, bewahrt. Das stellt gerade im Fall des in leuchtenden Farben bemalten Heiliggrabaltars eine große Besonderheit dar, der somit ein unschätzbares Zeugnis für die Erforschung mittelalterlicher Steinpolychromie ist.

Bei der aus 63 Bruchstücken nun wieder zusammengefügten Beweinungsgruppe aus Ton,handelt es sich um das wichtigste in Frankfurt überlieferte Zeugnis aus der Gruppe der mittelrheinischen Tonplastiken des frühen 15. Jahrhunderts. Werke dieser Gruppe gehören zu den bedeutenden Exponaten in Museen, so z. B. im Bodemuseum, Berlin und im Louvre, Paris.

Die Restaurierungen wurden mit zahlreichen finanziellen Unterstützungen aus der Bürgerschaft Frankfurts und öffentlichen Institutionen überhaupt erst ermöglicht: Die Beweinungsgruppe wurde mit Mitteln der Ernst von Siemens-Kunststiftung, des Landes Hessen – Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst – und des Bistums Limburg restauriert. Die Vollendung dieses höchst spannenden Puzzles wurde in einem Film
festgehalten. Der Verein der „Freunde Frankfurts“ hat die Restaurierung des Atzmanns sowie zusammen mit weiteren Institutionen eine Restaurierung des Heiliggrabaltars ermöglicht.


Die Ausstellung – Zwei Geschichten

Die Ausstellung dokumentiert also nicht nur die Geschichte einer der schönsten Frankfurter Kirchen „von unten“ – also anhand der Grabungsfunde und der verschwundenen Ausstattung, sondern sie legt auch einen starken Akzent auf die Aufgaben und auf die Methoden der Mittelalterarchäologie und der Denkmalpflege. Beide agieren oft unbemerkt von der Öffentlichkeit, sind aber für den Erhalt und das Verständnis historischer Stätten und
Ensembles von höchster Bedeutung. Die neuen Erkenntnisse zur mittelalterlichen Gestalt und zur verlorenen Ausstattung von St. Leonhard ist wesentlich ihrem Wirken und ihren Forschungen zu verdanken. Die Präsentationen zu den Herstellungstechniken und der erstaunlich bunten mittelalterlichen Farbenwelt eröffnen einen zusätzlichen Blickwinkel auf die Kunstwerke, ganz gemäß der Einsicht Goethes, dass man Natur und Kunstwerke nicht kennenlerne, wenn sie fertig seien, dass man sie vielmehr im Entstehen erhaschen müsse, um sie zu verstehen. Darüber hinaus bereichern die neu entdeckten, erforschten und restaurierten Ausstattungsstücke von St. Leonhard maßgeblich die Erkenntnisse zur Rolle
Frankfurts als ein führendes Kunstzentrum der Region.

Anhand der bedeutendsten Funde werden in der Ausstellung zwei Geschichten erzählt: die 800jährige Geschichte St. Leonhards und die Geschichte der Wiederentdeckung und Erforschung während der Sanierung der vergangenen zehn Jahre. Mit den Grabungsfunden steht den überlieferten Quellen, wie etwa den Zeugnissen über Stiftungen oder den bildlichen Darstellungen der Kirche aus dem 18. Jahrhundert, nun neue bauhistorische Erkenntnisse und verloren geglaubte, bisher unbekannte Ausstattungsstücke gegenüber.

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Fotos:
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Info:
Schätze aus dem Schutt. 800 Jahre St. Leonhard
Ausstellung im Dommuseum Frankfurt & im Sakristeum
FR 16. August 2019 – SO 19. Januar 2020
Eröffnung DO 15. August, 17 Uhr

Ausstellungskatalog
Zur Ausstellung „Schätze aus dem Schutt. 800 Jahre St. Leonhard“ erscheint im Verlag Schnell + Steiner ein Ausstellungskatalog von ca. 200 Seiten, herausgegeben von Bettina Schmitt und Verena Smit. Beiträge verschiedener Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stellen in allgemein verständlicher Weise die neuesten Erkenntnisse zur Geschichte der Kirche, ihrer Ausstattung und ihrer Erforschung dar.