c peter menne1Bubis und Fassbinder: in Theatermythen dauerhaft verwoben?, Teil 2/3

Clemens Blattner

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - „Dass im Kampf gegen die Zerstörung des Westends mit seiner historisch einzigartigen Architektur linke Studentinnen und Studenten sich massiv antisemitischen Klischees und Vorurteilen hingegeben hätten, gehört dem Bereich des Mythos an. Die Bewegung war im wesentlichen eine von Vernunftbürgern“, schreibt Markert.

Das hört sich gut gemeint an, klingt im ersten Moment sogar differenziert. Doch kämpften die Studierenden wirklich für den Erhalt einer historischen Architektur? Oder für bezahlbaren Wohnraum und die Umgestaltung eines Wohngebiets zum Gewerbestandort? War die Architektur wirklich „einzigartig“ – wie etwa die Jugendstilarchitektur von Darmstadts Mathildenhöhe? Oder war es eine bunte Mischung aus noch erhaltenen, aber renovationsbedürftigen Gründerzeithäusern und von Weltkriegsbomben gerissenen Lücken und von in den ersten Nachkriegsjahren auf die Schnelle wieder hochgezogenen Häusern – die in späteren Spekulationsphasen teils wieder abgerissen wurden? Die Wirklichkeit ist zu komplex, als dass man so nonchalant ihre Vielfalt und Widersprüchlichkeit in einen Satz zwängen sollte.

Genauso „die Bewegung“: sind die vom systemkritischen SDS (und seinen kommunistischen Idealen) mobilisierten Studierenden gemeint? Das Etikett „Vernunftbürger“ paßt da nicht so recht. Oder die AGW – Arbeitsgemeinschaft Westend? In der Tat die erste Bürgerinitiative Deutschlands, mit vielschichtigen Mitgliedern, vielleicht gehäuft Mittelschichtler und Kleinbürger. Eine Bürgerinitiative, die in Veröffentlichungen unterstellte, dass es Juden seien, die die Umstrukturierung des Westens betreiben würden. Eine BI, die sich auch von Antisemiten (auch in ihren Reihen) distanzierte.

Kurz zur Erinnerung: mancher der sogenannten „Altbewohner“ wohnte noch gar nicht so lange im Westend – sondern erst, seit zu viele Häuser zum Schnäppchenpreis „arisiert“, sprich: von Nazis enteignet und die wahren „Altbewohnter“ gewaltsam vertrieben wurden.

Die Umstrukturierung des Westends vom Wohngebiet zur edlen Geschäftsadresse von Banken, Versicherungen, Rechtsanwälten oder PR-Profis begann schon Ende der 1950er / Anfang der 1960er Jahre. Die meisten Veröffentlichungen beginnen aber erst mit der dritten Phase Ende der 1960er, so auch der Enthüllungsjournalist Jürgen Roth, den Markert zitiert: „Da die Spekulanten und Vertreiber zu einem großen Teil jüdischer Abstammung waren, hatte man wieder einen Sündenbock, «den Juden» gefunden“. Das ist leider keine „differenzierte Beobachtungsweise“. Damit sind beide einer Projektion aufgesessen bzw. bestätigen indirekt das Vorurteil, das tatsächlich ab der dritten Umstrukturierungsphase und leider bis heute grassiert:

– richtig ist, dass viele Frankfurter den spekulierenden Einzelkaufleuten (allein oder in Kooperationen) unterstellten, dass sie alle (oder überwiegend) Juden seien, auch Ali Selmi: jener muslimische Perser, der das Gebäude der heutigen DZ-Bank erbaute. Als dessen Rohbau am Platz der Republik im August 1973 brannte, skandierten Zuschauer „wir verbrennen unser‘m Ali sein klein Häuschen“.

– falsch wird es, wenn man die Spekulationsgewinnler der zweiten Phase verschweigt: die Versicherungen, die ihre früh und preisgünstig erworbenen Grundstücke und Häuser während der Preisexplosion 1968 / 69 bis 1972 teils wieder versilberten.

Wer tatsächlich wann spekuliert hat und wie das mit dem Gerücht vom Juden zusammenhängt: das läßt sich schwer in zwei, drei Absätzen zusammenfassen. Eine sehr lesenswerte Zusammenfassung gibt es bei Menne: „Vorurteil und Fehlwahrnehmung. Antisemitische Projektionen anlässlich der Umstrukturierung des Frankfurter Westends“ [4].

FORTSETZUNG FOLGT

ANMERKUNGEN
[4] Peter Menne: Vorurteil und Fehlwahrnehmung. Antisemitische Projektionen anlässlich der Umstrukturierung des Frankfurter Westends.
Buchbeitrag in „Der Müll, die Stadt und der Skandal“, Nomen-Verlag, 2015: https://www.nomen-verlag.de/produkt/der-mull-die-stadt-und-der-skandal/

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