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Kategorie: Kulturbetrieb
k rechtSerie: FASZINATION STADT. Die Urbanisierung Europas im Mittelalter und die Magdeburger Recht Ausstellung bis 2. Februar 2020, Teil 1

Claudia Schulmerich

Magdeburg (Weltexpresso) – Schon richtig, ein Epilog kommt am Schluß und eine Ausstellung, die heute am 1. September in Magdeburg ihre Tore öffnet, bräuchte einen Prolog. Und nicht nur einen, denn bei der Ausstellung vom Magdeburger Recht handelt es sich um eine gewaltige, so umfangreiche wie vielschichtige, die Kulturgeschichte umfaßt und Kunstgeschichte auch, in gleicher Dichte Geschichte und erst recht Rechtsgeschichte, aber auch geographische Gegebenheiten und politische Räume - und um die geht es heute.

Wenn die Ausstellungsmacher nun dezidiert auf den 1. September, den schwarzen Tag, an dem Nazi-Deutschland vor 80 Jahren das Nachbarland Polen überfiel und mutwillig den Zweiten Weltkrieg auslöste, den Beginn dieser Ausstellung legen und auch deutlich aussprechen, daß sie das im Gedenken an den verabscheuungswürdigen Kriegsbeginn tun, atmen sie gleichzeitig hörbar auf, aus und durch und fügen hinzu, daß ein weiteres Gedenken dem 30. Jahrestages des Falls der Mauer gilt, die den Eisernen Vorhang zur Geschichte machte.

Was das eine mit dem anderen zu tun hat, also das Magdeburger Recht mit dem früheren und dem heutigen Osteuropa, gehört zu dem Faszinierendstem, was die Ausstellung FASZINATION STADT im Kulturhistorischen Museum in Magdeburg zu bieten hat.

Was das Magdeburger Recht im einzelnen ausmacht, ist erst einmal unerheblich. Wichtig ist, daß es ein Stadtrecht ist, das sowohl das Verhältnis der Bürger zu ihrer Herrschaft wie auch untereinander festlegt, untereinander zu anderen Städten und innerhalb der Bürgerschaft. Wir gehen zurück ins Mittelalter, wo die Konstruktion Stadt, die natürlich uralt ist - Babylon, Uruk, Ur in Vorderasien, Athen und Rom sind die europäischen Wurzeln - , wo die Wiedergeburt von Städten seit 1000 virulent und seit dem 12. Jahrhundert ein Erfolgsmodell wurde. Stadtrechte hat ursprünglich der Kaiser oder ein Landesherr verliehen, meist fing es mit dem Privileg des Marktrechtes an, alle anderen Ortschaften unterlagen dem Landrecht.

Wem sofort die Sentenz STADTLUFT MACHT FREI einfällt, liegt richtig und falsch zugleich. Natürlich bekamen die auf dem Land meist in Lehnsherrschaft verhafteten abhängigen Menschen nicht durch Zuzug in die Stadt dortohne weiteres Bürgerrechte. Das war eine ganz schön exklusive Gesellschaft, diese Bürgerschaft, Aber die Zugezogenen waren dennoch nicht untertan. Die meisten auf dem Land, wo sich die Freiheiten in der Stadt herumgesprochen hatten, woraufhin sie gen Städte zogen, entgingen so zumindest der Leibeigenschaft. Schon eigen, wenn als die Personengruppen, die keine Bürgerrechte erhielten, Prostituierte und Henker genannt werden. Aber darüberhinaus, diejenigen, ohne Grundbesitz, ohne Einkommen etc.

Das alles werden wir gründlicher eruieren und dazu die „Beweisstücke“ aus der insgesamt 417 Objekte umfassenden Ausstellung nutzen, die die gleichzeitige Anwesenheit der vier Exemplare des für das Landrecht zuständigen Sachsenspiegels – eine Sensation – zusätzlich befeuert. Heute geht es nur um die Auswirkungen, die die erstmalige Festlegung in Rechtsnormen im Magdeburger Recht mit sich brachten, das auf das bisherige Gewohnheitsrecht und den auf ihm fußenden Gerichtsentscheidungen folgte. Mit dem Magdeburger Recht hatten sich vorher, gleichzeitig und später auch in anderen Städten Stadtrechte herauskristallisiert, so insbesondere das Lübische Recht oder auch im Raum Frankfurt und Aachen, den reichsfreien Städten. Die unterschiedlichen Stadtrechte, die Städte also übernehmen konnten, waren durchaus konkurrierend. Warum das Magdeburger Recht aber eine ganz eigene Bedeutung erhielt, damals und erneut heute, hat mit der Lage der Stadt und dem im Spätmittelalter wachsenden Drang nach Osten zu tun.

Damit sind erst einmal die deutschen Ostgebiete gemeint, Schlesien mit Breslau, Danzig, aber ebenso die polnischen Städte Krakau, Warschau, Weißrußlands Städte genauso wie ukrainische, z.B. Kiew und Lemberg, auch die baltischen Staaten, Vilnius u.a., aber auch eine Reihe russischer Städte, und in südlicher Richtung tschechische wie Prag, aber auch Ofen, als Buda Teil des späteren Budapests - insgesamt an die 1000 Städte, die in ihren Mauern das Magdeburger Stadtrecht übernahmen, was die Rückkoppelung an Magdeburg und den Magdeburger Schöffenstuhl bedeutete, also die Rückversicherung in strittigen Rechtsfragen. Dabei ist wichtig, daß diese juristischen Klärungen aus Magdeburg immer nur beratenden und empfehlenden Charakter hatten, nicht wie unsere Verfassungsgerichte rechtlich bindende Entscheidungen bedeuteten.

Für das Dritte Reich war die Expansion des Magdeburger Rechts eine Steilvorlage, die die Nazimachthaber nutzten. Für ein „Volk ohne Raum“ war die potentielle Einflußnahme mittels Magdeburger Rechts ideal. Dazu gründeten die Nazis ein eigenes Institut und nutzen dies propagandistisch. So gab es schon einmal im selben Gebäude, dem Kulturhistorischen Museum, damals Kaiser Friedrich Museum, 1937 eine Ausstellung über das Magdeburger Recht, das immer in einem Atemzug „Das deutsche Recht“ oder „Magdeburger Recht“ genannt wurde.

Aber das, was wir oben als Epilog bezeichnen, ist der eigentliche Siegeszug des Magdeburger Rechts. Denn obwohl der Zwangscharakter der Nazis das Magdeburger Recht in Mißkredit gebracht hatte, haben sich nach der Auflösung des Eisernen Vorhangs die Städte mit ehemaligem Magdeburger Recht nach und nach wieder auf dieses besonnen und ihre heutige städtische Rechtsstruktur danach ausgerichtet. Auch heute summiert sich die Anzahl auf rund 1000 Städten in elf Ländern, alle östlich von Magdeburg, die sich nach diesem Recht organisieren. Und das nach so vielen Jahrhunderten. Das erscheint wie ein Wunder, ist auf jeden Fall Anlaß, die Ausstellung zum 1. September beginnen zu lassen, um damit die Abscheu vor dem Einmarsch deutscher Truppen in Polen vor 80 Jahren genauso auszudrücken, wie die Freude, daß 30 Jahre nach der Auflösung der Blöcke das Magdeburger Recht wieder völkerverbindend wirkt.

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Info:
Faszination Stadtrecht
Die Urbanisierung Europas im Mittelalter und das Magdeburger Recht
1.9. 2019 bis 2.2. 2020, Kulturhistorisches Museum Magdeburg