m Die Stadt ohne Juden c Alte Oper Frankfurt Wonge Bergmann 2Stummfilm von Hans Karl Breslauer von 1924 mit Livemusik von Olga Neuwirth im Rahmen des MUSIKFESTs Eroica – Musik als Bekenntnis in der Alten Oper Frankfurt, Teil 2

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Wer den Roman DIE STADT OHNE JUDEN des Wiener Journalisten Hugo Bettauer von 1922 gelesen hatte, eine bitterböse Satire, der konnte sich über die Harmlosigkeit des Films DIE STADT DER JUDEN von 1924 nur wundern; wer ihn nicht gelesen hatte, erschrak ob der Tumbheit und Bösartigkeit dieser angeblich utopischen, aber im Stadtbild Wiens angesiedelten Gesellschaft, die sich durch Verbannung erst ihrer Juden entledigt und sie dann, weil ihnen ohne sie so fad ist, wieder zurückholt. Wir Heutigen, die mit dem millionenfachen Mord an europäischen Juden durch die Nazis in deutschem Namen leben müssen, bleibt bei einem so vorausahnenden, wenngleich noch euphemistischen Filmkunstwerk einfach der Mund offen.

Als Hans Karl Breslauer den Film in kurzer Zeit mit wenig Geld drehte, war diese Kunst ja immer noch eine neue und zog sehr viel mehr Menschen in ihren Bann als heute, wo Fernsehen und Internet die neuen Götzen sind. Filme waren zwar (noch) stumm, aber sie reagierten sehr schnell auf gesellschaftliche Zustände und ihre Veränderungen und lieferten Handlungssequenzen, die sie dann durch Zwischentitel erklärten, wenn etwas nicht für sich selber sprach.

Von heute her, wo wir die Macht des bewegten Bildes gerade daran messen, wie es einen in Bann und hinwegzieht, sind Stummfilme mit eingeblendeten Kommentaren eine eigenartige Erfahrung, weil die Leinwand einerseits durch die Schwarzweißszenen lebt, andererseits mit der auftauchenden Schrift immer eine analytische Ebene in die Handlung einbezogen wird. Noch nie empfand ich die Musik zum Stummfilm, die an diesem Abend das Orchester PHACE unter der Leitung von Nacho de Paz mit zehn Musikern original aufführte, - und zwar unaufdringlich aufführte, so daß man sie wahrnahm, aber die Musiker nie als Ablenkung empfand, was wichtig und eine Auszeichnung ist! - als derart integrierendes Moment, weil sie im unaufhörlichen Vorwärtseilen einen irritierenden, oft dissonanten Klangteppich in unsere Ohren träufelt, der Leinwandgeschehen und Deutung in Eins bringt. Man empfindet die Musik als bezeichnenden, durchaus scharfen Kommentar zum schrecklichen Geschehen auf der Leinwand.

Höchste Zeit, doch erstmal über die möglich gewordene Restaurierung von DIE STADT OHNE JUDEN zu referieren, zu der man der weltbekannten österreichischen Komponistin Olga Neuwirth einen Kompositionsauftrag erteilte. Dessen Uraufführung erfolgte am 7. November im Wiener Konzerthaus und wir konnten eher durch Zufall auch eine Aufführung der restaurierten Fassung mit einer völlig anderen Musikbegleitung durch zwei Musiker tags darauf bei der Viennale erleben. Natürlich hat ein ganzes Ensemble eine durchschlagendere musikalische Wirkung, aber der Film selbst ist als historisches und ästhetisches Werk so sehenswert, daß DIE STADT OHNE JUDEN auch in ‚normalen‘ Kinos gezeigt werden sollte, entweder als Klangkonserve oder mit 1-2 Musikern. Das nur den Kinobesitzern gesagt, die ein ganzes Orchester nicht aufbieten können. Von daher ist diese Musik von Olga Neuwirth wunderbar geeignet, in möglichst vielen Konzerthäusern - zusammen mit der Vorführung DIE STADT OHNE JUDEN auf der Leinwand - zu ertönen, nicht nur in der jetzigen Kooperation, zu der sich die Alte Oper gesellte, sondern eigentlich in jeder Stadt.

Da wäre es schon gut, man hätte auch dort das kleine, feine, kompakte Programmheft der Alten Oper, in der Olga Neuwirth unter der Überschrift CAMOUFLAGE UND KLANGMÄCHTIGE WUT eine so interessante Abhandlung verfaßt, die man sich am liebsten über den Schreibtisch hängen möchte. Ausgangspunkt sind ihre persönliche Erfahrungen, konfrontiert mit dem Schrecken des Nationalsozialismus und einem intensiven Studium darüber, in dessen Verlauf sie auch Breslauers Buch las und die noch unrestaurierte Fassung des Films sah, als sie im Jahr 2016 den Kompositionsauftrag für das restaurierte Werk erhielt. „Im Jahr 1924 entstanden, mutet der Film...wie eine apokalyptische Vision dessen an, was spätere Realität werden sollte.“ Als wir das im Nachhinein lasen, dachten wir, ja ihre Musik hatte was von den Apokalyptischen Reitern von Albrecht Dürer, Moderne und Archaisches in einem.

Die Komponistin fährt fort: „Musik zu diesem Stummfilm zu schreiben ist daher eine große Verantwortung. Es ist ganz klar, daß ich bei einem Medium, das so vergänglich ist wie die Musik, keine objektiven Wahrheiten zum Film beitragen kann. Daher konnte ich nur versuchen, dem Filmmaterial, nachdem ich es analysiert hatte ein persönliche musikalische Perspektive zu geben: Eine Mischung an Vielschichtigkeit und produktiver Verunsicherung mit den Mitteln anspruchsvoller Camouflagetechniken, in einer Kombination aus ironischer Distanz und klangmächtiger Wut – über die Grausamkeit des Menschen aus reiner Selbstsucht, Gier und Neid.“ Zur prophetischen Vision des Filmgeschehens fügt sie an: „Denn trotz meines Erstarrens vor Entsetzen (auch weil sich nicht viel geändert zu haben scheint, seit Erscheinen des Buches 1922), und um Klischees zu entgehen, auch wenn ich sie oft andeute, habe ich versucht, eine Lebendigkeit zu bewahren, indem die Musik zugleich anrührend und hart ist, herzenswarm und offen, amüsant und wütend, beteiligt und distanziert, humorvoll und traurig.“

Wie ‚harmlos‘ dann wieder auch Olga Neuwirths Vertonung im Nachhinein wirkt, erschüttert im zweiten Teil des Abends das NACH(T) KONZERT & GESPRÄCH, das Luigi Nonos Stück RICORDA COSA TI HANNO FATTO IN AUSCHWITZ in der Klangregie von Lennart Scheuren brachte. Dazu noch mehr, wenn wir auch über das Auftauchen der verschollenen Filmstreifen berichten, ein eigener Krimi. Jetzt aber erst einmal zum Film selbst, der in der Originalfassung das letzte Mal 1933 in Amsterdam als Bekenntnis gegen Hitler-Deutschland gezeigt wurde, dann in den Archiven verschwand, die wiederum selbst in Kriegszeiten dezimiert wurden, zumal der Stummfilm historisch durch den Tonfilm überholt, eh verschwand. Tatsächlich gibt es erst seit 2018 die restaurierte Fassung.

Fortsetzung folgt.

Foto:
Vorführung des Films mit dem Orchester Phace, Alte Oper 
© Alte Oper Frankfurt, Wonge Bergmann

Info:
Mit freundlicher Unterstützung der Gesellschaft der Freunde der Alten Oper Frankfurt und der Deutsche Bank Stiftung
Nach(t)konzert: Gefördert vom Kulturfonds Frankfurt RheinMain
€ 25,- / 29,- (Endpreise) / Tickethotline: 069 / 13 40 400  ▪  www.alteoper.de
Eintritt zum Gespräch „An der Bar“ mit Nach(t)konzert frei

Stadt ohne Juden.....Juden, Muslime, Flüchtlinge, Ausländer
Ausstellungskatalog
verlag filmarchiv austria 2018