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Kategorie: Kulturbetrieb
a paul celanin Memoriam zum 50. Todestag im 100. Geburtsjahr, Teil 1/2

Elvira Grözinger

Berlin (Weltexpresso) - „Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends/wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts/wir trinken und trinken/wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng [...]“

Dies sind die berühmtesten Gedichtverse der deutschen Nachkriegslyrik. Es ist eine Elegie, moralisch vernichtend, die 12 Jahre der Hitlerzeit und des Massenmordes an sechs Millionen Juden, darunter Celans Eltern, poetisch in das Gewissen und Gedächtnis der Nachgeborenen eigemeißelt hat. Man kannte diese Todesfuge mehrere Jahrzehnte lang aus der Schullektüre, geschrieben 1944 am Anfang eines neuen Lebens nach dem Überleben des Ghettos und eines Arbeitslagers auf Deutsch, der Sprache der Peiniger und Mörder. Heute, da sich die klassische Bildung leider auf dem Rückzug befindet, muss man den Jüngeren erst erklären, was diese Zeilen bedeuten und woher sie stammen. Nun, da sich dieses Jahr der 100. Geburtstag des Dichters Paul Celan und zugleich der 50. Todestag jähren, ist es ein Gebot der Stunde, an den Poeten zu erinnern.

Wir erinnern uns an das berühmte, später revidierte Dictum Adornos von 1949: „Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch“. Dieses Gedicht von Celan, wie einige anderer Dichter, straften diese – dem Entsetzen des  Reemigranten aus den USA in das Land, aus dem das soeben zu Ende gegangene Morden ausgegangen war – geschuldete rigorose Meinung. Die Todesfuge dient auch als Leitfaden der neuen Biographie des Dichters aus der Feder von Thomas Sparr, der sich der deutsch-jüdischen Literatur und Kultur widmet. Zwar heißt der Titel des 2020 (bei DVA) erschienenen seht lesenswerten Buches Todesfuge. Biographie eines Gedichts, aber es geht darin um viel mehr, zum Beispiel um die „jüdische Einsamkeit“ Celans im Land der Täter, der, wie im Weiteren gezeigt wird, der in der deutschen Kultur mehr als in jeder anderen zu Hause war und dem man zwar einerseits mit einer Hand Preise verliehen, mit der anderen jedoch immer wieder die Tür wies. Sparr zeichnet die Lebens- und Liebensstationen des Dichters, der sich in Paris niederließ, mit einer zarten Feder nach – es entsteht so ein facettenreiches Bildnis eines Dichters, dessen Zerbrechlichkeit und Trauer die einen und dessen Stärke, Stahl- und Anziehungskraft auf der anderen seinen vielen Gegenübern auffielen. Seine Persönlichkeit zog insbesondere Frauen an, mit denen er viele außereheliche Affären hatte. Aber auch die Literaturkritiker spürten, dass hier ein „Solitär“ steht, der in der deutschen Dichtung keine Parallele hatte:

Ein Leben bis zur „atemlosen Stille des Verstummens“

Als man am 12. Mai 1970 seinen Leichnam aus der Seine zog, war Paul Celan, der höchstwahrscheinlich in selbstmörderischer Absicht bereits am 20. April d.J. in den Fluss sprang, erst 50 Jahre alt. Diesem ultimativen Schritt gingen Jahre von Depressionen und Wahnvorstellungen voraus. Er wurde als Paul Antschel am 23. November 1920 in Czernowitz, Bukowina, geboren, das zuvor k. u. k. Territorium und nach dem 1. Weltkrieg Großrumänien war, heute in der West-Ukraine gelegen. Czernowitz war ein Zentrum deutsch-jüdischer und jiddischer Literatur und Kultur. Der Arzt Israel Chalfen, 1907 ebenfalls in der Bukowina geboren, später in Jerusalem lebend, hat 1979 das Buch 
Paul Celan. Eine Biographie seiner Jugend, veröffentlicht. Celan selbst hat wenig über seine Jugend erzählt.

Chalfen war auf dem richtigen Weg, als er meinte: „Als Landsmann Celans schien mir von Anfang an dem Biographischen eine viel größere Bedeutung zuzukommen, als im allgemeinen angenommen wird. Ich spürte, ehe ich wußte, dass vieles in der Dichtung Celans auf seine in der Bukowina verlebte Kindheit und Jugend hinweist, auf seine alte Heimat, die dem heutigen Leser eine 'unbekannte Landschaft‘ geblieben ist.“

Paul Celan wurde mit zahlreichen deutschen Preisen geehrt, seit 1957, als er seinen ersten, den Förderpreis des Kulturkreises der Deutschen Wirtschaft erhielt, bis zur höchsten literarischen Auszeichnung, 1960, dem Georg-Büchner-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung sowie 1964 dem Großen Preis des Landes Nordrhein-Westfalen. Davor, 1958, anlässlich der Verleihung des Bremer Literaturpreises, kam Celan auf die Bukowina zu sprechen:

„Die Landschaft, aus der ich zu Ihnen komme, dürfte den meisten von Ihnen unbekannt sein. Es ist die Landschaft, in der ein nicht unbeträchtlicher Teil jener chassidischen Geschichten zu Hause war, die Martin Buber uns allen auf Deutsch wiedererzählt hat... es war eine Gegend, in der Menschen und Bücher lebten.“

Diese Zeilen aus der Bremer Rede sind wie die Verse der Todesfuge und daraus „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ allen vertraut, die sich mit der deutschen Lyrik der Nachkriegszeit befassen. Sie sind verständlich, einleuchtend, überzeugend. Celans Gedichte sind es aber weniger und haben unzählige Germanisten dazu angespornt, sich an deren Deutung zu versuchen, ähnlich dem Versuchen, Franz Kafka zu ergründen. Während aber das jüdische Element bei Paul Celan, dem Shoah-Überlebenden evidenter ist, wurde das Judentum Kafkas, den Celan verehrte, sehr lange übergangen. Zu den ebenso hermetischen Texten Celans gehört die Büchnerpreis-Dankesrede, die der Dichter mit „Der Meridian“ betitelte. Diese Rede ist ein wichtiger Schlüssel zu seiner Dichtung und deswegen muss hier auf sie etwas ausführlicher eingegangen werden.

„Der Meridian“ ist im Grunde ein vielfach rätselhaftes Gespräch des Dichters mit dem Publikum wie auch mit sich selbst. Er sagte damals: „Meine Damen und Herren, es ist heute gang und gäbe, der Dichtung ihre „Dunkelheit' vorzuwerfen“ und er zitiert in diesem Zusammenhang Pascal: „Ne vous reprochez pas le manque de clarté car nous en faisons profession“. Seit es aber bekannt ist, dass der Mangel an Klarheit bei Celan nicht zufällig ist und dass seine Art zu dichten, nicht zuletzt mit Hilfe von Enzyklopädien wenig bekannte Ausdrücke und termini technici, häufig botanische, in seine Poesie einzuflechten, eine ihm eigene Methode ist, macht uns als Leser etwas weniger ratlos. Er nannte diese philologischen Experimente „Daseinssprache“ und sie war es, die zu den vielen Deutungen seines Werkes, darunter nicht selten Fehlurteilen, führte. Da Celan polyglott war und sich zwischen verschiedenen Literaturen hin- und herbewegte, ist es kein Wunder, dass er aus ihnen Anregungen bezog. Dies setzte ihn auch dem unfairen Verdacht aus, ein Plagiator zu sein.

In der Meridian-Rede über die Kunst - natürlich von Georg Büchner (1813-1837) ausgehend, dem bereits im Alter von nur 23 Jahren an Typhus verstorbenen revolutionären Arzt und berühmten Schriftsteller -, kommt Celan immer wieder auf den Tod zu sprechen. Der Tod ist in Büchners Drama Dantons Tod wie auch seiner posthum erschienenen Erzählung Lenz über das Leben und Sterben des Dichters Jakob Michael Reinhold Lenz stets präsent. In der letzteren heißt es, daß Lenz, der anfangs „am 20. Jänner durchs Gebirg ging“, am Ende „entseelt“ in einer der Straßen Moskaus aufgefunden wurde. Es heißt dort: „Sein Dasein war ihm eine notwendige Last. – So lebte er hin.“ Zum „Tod“, einer Chiffre im Werk von Celan, gesellt sich das auch mehrfach genannte Datum „20. Jänner“. Bei Celan können wir davon ausgehen, dass er den 20. Januar 1942 mitgemeint hat, an dem in der Wannseevilla in Berlin hochrangige Vertreter des Naziregimes die „Endlösung der Judenfrage“, wie sie es nannten, beschlossen haben. Dieses Datum zerstörte das Leben der Familie des Dichters und überschattete sein eigenes bis zum Freitod am 20. April, wiederum einem verhängnisvollen Datum, dem Geburtstag des Judenmörders Hitler.

Für Juden sind Daten wichtig. Celan bietet selbst erneut einen Schlüssel zu seinen Bezugnahmen auf bestimmte Tage: „Vielleicht darf man sagen, daß jedem Gedicht sein ‚20. Jänner‘ eingeschrieben bleibt? Vielleicht ist das Neue an den Gedichten, die heute geschrieben werden, gerade dies: daß hier am deutlichsten versucht wird, solcher Daten eingedenk zu bleiben? Aber schreiben wir uns nicht alle von solchen Daten her? Und welche Daten schreiben wir uns zu?“

Der „Meridian“, so erklärte er auch, bezog sich auf seine osteuropäische Herkunft, die ihn mit dem Schriftsteller Karl Emil Franzos (1848-1904) verband, der1879 die Werke von Büchner, darunter zum ersten Mal Woyzeck (Wozzeck) in einer kritischen Ausgabe herausgegeben hatte. So kehrte nun Celan, im Gepäck die Frucht von Franzos' Arbeit, nach Darmstadt zu Büchner zurück. Der Kreis schließt sich für ihn und zwischen den Polen seiner Existenz: „Ich suche auch, denn ich bin ja wieder da, wo ich begonnen habe, den Ort meiner eigenen Herkunft. ... ich finde einen Meridian...“

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