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Kategorie: Kulturbetrieb
... Ein Krimi nur aus der Kultur-Szene?

Klaus Jürgen Schmidt

Nienburg/Weser (Weltexpresso) – Das tägliche Aktualitäten-Magazin des Bremer Regionalfernsehens heißt „Bunten un Binnen“. Am vergangenen Wochenende war mehr „Buten“ als „Binnen“ im Programm. Der investigative „B&B“-Reporter Rainer Kahrs hatte zusammen mit Kollegen und Kolleginnen von der „Süddeutschen Zeitung“ herausfinden wollen, wie und weshalb mitten in China Deutsche Gegenwartskunst im Wert von 300 Millionen Euro abhanden kommen konnte.

Es handelt sich um einen Krimi, über den die ARD-Tagesschau erstmals am 19.11.2019 berichtet hatte:

„... Die Geschichte ist kompliziert. Die Werke gehören Maria Chen-Tu, einer Deutschen mit taiwanesischen Wurzeln. Sie hat aus ihrer Sammlung 342 Kunstwerke von Lüpertz, Anselm Kiefer und Renate Graf an einen Herrn Ma Yue verliehen. Ein chinesischer Geschäftsmann mit einer Firma in Hamburg, die aber mittlerweile pleite ist. Er sollte dafür sorgen, dass die Kunstwerke in Chinas Museen gezeigt werden. Das hat er anfangs auch getan: es gab mehrere Ausstellungen für moderne deutsche Kunst mit den Arbeiten aus der Sammlung von Maria Chen-Tu. ...“


Am selben Tag hieß es im Kulturteil der „Süddeutschen Zeitung“:

„... Markus Lüpertz ist in Peking, sitzt auf einem Podium im St.-Regis-Hotel, vor sich ein Dutzend Journalisten. Er ist als Maler hier, vor allem aber als Kronzeuge. Sein Frühwerk ist verschollen. Und mehr als nur das: 152 seiner Gemälde, 87 Werke von Anselm Kiefer und 103 Arbeiten von Renate Graf sind im Moment unauffindbar. ...“


Was nun aber bewegte gut ein Jahr später das Bremer Regionalfernsehen, der Geschichte nachzugehen? Die Deutsche mit taiwanesischen Wurzeln, diese Maria Chen-Tu, die die deutschen Kunstwerke im Wert von 300 Millionen an einen chinesischen Geschäftsmann verliehen hat, wohnt seit ihrer Kindheit in Bremen, und zwar dort, wo eine Reihe von Bremer „Pfeffersäcken“ ebenfalls eine Villa haben. Bis zur Recherche von Roland Kahrs und seiner Zeitungskollegen galt Maria Chen-Tu als Besitzerin der nach China ausgeliehenen Kultur-Objekte. Auf Nachfragen habe sie immer erklärt, das Geld dafür stamme aus Geschäften ihrer Familie mit dem Import gefrorenen Gemüses. Ein Faible für Kunst hat sie, so erfahren wir aus der neuen Recherche. Deshalb sei sie Geschäftsführerin einer Stiftung, der die verliehenen Kunstwerke gehörten. Und wer steckt hinter der Stiftung?

„Buten un Binnen“ am Freitag, 16.01.2021:

„... Die letzte Ausstellungen in Shenzhen wird von Huawei gesponsert. 300.000 Euro bezahlt der chinesische Elektronikkonzern, damit die Werke auch in Shenzhen zu sehen sind. Doch dieses Geld geht nicht etwa an die Sammlerin Maria Chen-Tu. Huawei wird aufgefordert, es nach Wien zu überweisen. An die Privatstiftung Holster, die als juristische Person hinter der Kunstsammlung von Maria Chen-Tu steht. Damit ist die Stiftung quasi die Eigentümerin der Kunstwerke. Die Stiftungsurkunde aber führt folgende Namen als Stifter auf: Peter Lürßen und seine drei Kinder. Gehört die Sammlung also dem Bremer Werfteigentümer und Kunst-Mäzen Lürßen? Gegenüber der SZ und Radio Bremen äußert er sich nicht. Auch von Chen-Tu gibt es dazu kein offizielles Statement. ...“

Die Lürßen-Werft an der Bremer Unterweser ist bekannt geworden als Hersteller von Schnellbooten und Minensuchern sowie von Luxus-Yachten der Superreichen dieser Welt. Am 14.09.20018 war es auf der Werft zu einem Großbrand gekommen. Das Feuer richtete großen Schaden in einem Schwimmdock an und an einer darin liegenden Yacht. Die BILD-Zitung wusste zu berichten:

„... Die "Sassi" sollte bereits in einem Monat das Dock verlassen und im kommenden Jahr seinem Besitzer übergeben werden. Wer das ist, wird aus Diskretionsgründen wie üblich nicht genannt. Nach vorläufigen Experten-Schätzungen dürfte der Gesamtschaden mehr als eine halbe Milliarde Euro betragen. ...“

Ein Jahr später, am 9.09.2019, hieß es bei „Buten un Binnen“:

„Am 14. September 2018 brennt ein Dock der Lürssen-Werft und verursacht den größten Feuerwehreinsatz der Bremer Nachkriegszeit. Doch immer noch ist unklar: Wie kam es dazu? ...“

Und:

„... Wie viel Schaden der Werft letztlich entstanden ist, darüber hüllt sich die Werft schon seit Beginn in Schweigen. Daran ändert sich auch jetzt nichts. "Fragen, die Schadenshöhe und Schadensausmaß betreffen, beantworten wir nicht – aus dem schlichten Grund, dass wir es nicht dürfen", so (Pressesprecher) Grün. Das sei mit den Versicherungen vertraglich so vereinbart. Das Unternehmen sei in dieser Hinsicht auch sonst einfach grundsätzlich sehr diskret, erklärt der Pressesprecher. Als Familienunternehmen sei man ja beispielsweise auch nicht verpflichtet, Umsatzzahlen bekannt zu geben.“

Und:

„In Expertenkreisen kursieren zunächst Vermutungen von 500 Millionen Euro Schadenshöhe durch den Brand, dann ist die Rede von mehr als 600 Millionen. Darüber berichtet das Börsenmagazin "Tradewinds." Das Magazin berichtet auch, dass es sich bei dem Brand laut Kreisen der Versicherungsbörse Lloyd's in London wohl um den bislang größten Versicherungsfall bei einer Luxusjacht handelt. Laut "Tradewinds" laufe auch die Versicherung der "Sassi" über Lloyd´s. Bei der größten Versicherungsbörse der Welt zahlt bei derartigen Schadenshöhen kein einzelner Zuständiger; stattdessen sind mehrere sogenannte Syndikate mit an Bord, die den Schaden unterschiedlich aufteilen. Bei Lürssen sind das laut "Tradewinds" 30 Syndikate, sowie fünf beteiligte Unternehmen außerhalb von Lloyd's. ...“

Vor allem der Militärschiffbau ist ein wesentliches Standbein der Werft geblieben. Die Erfahrungen im Bau von Schnellbooten im Zweiten Weltkrieg konnten Anfang der 1950er Jahre für einen ersten Auftrag für Schweden genutzt werden. Auch von der nachfolgenden Schnellbootklasse 140 für die Bundesmarine wurden einige Exemplare für Indonesien und Saudi-Arabien gebaut. Eine geplante Lieferung eines davon abgeleiteten Entwurfs für Israel konnte dagegen aufgrund politischer Verwicklungen nicht realisiert werden.

Weiter bei WIKIPEDIA:

„Ende 2012 wurde bekannt, dass die Armee Saudi-Arabiens Patrouillenboote für umgerechnet rund 1,5 Milliarden Euro von der Werftengruppe Lürßen kaufen wollte. Die Grenzschutzboote sollen laut Spiegel zum Stückpreis zwischen 10 und 25 Millionen Euro bis 2015 an Saudi-Arabien übergeben werden. Die Anfrage der Lürssen-Werft an den Bundessicherheitsrat wurde 2013 positiv beschieden. Während die Bundes-SPD die Lieferung kritisierte, hielt sich die Rot-Grüne Landesregierung Bremens mit einer Stellungnahme zurück. Die Lürßen-Werft äußert sich zu dem Geschäft mit Saudi-Arabien nicht öffentlich.“

Und – wie wir erfahren haben – äußert sich Werfteigentümer und Kunst-Mäzen Lürßen auch nicht zu dem Krimi in der Kunstszene, der noch nicht zu Ende ist: Verschwundene Kunstwerke im Wert von vielen hundert Millionen Euro, dazu rätselhafte Protagonisten und eine Mischung aus Naivität, krimineller Energie und sich widersprechenden Aussagen. ... Und eine Notiz, die ich bei meiner Recherche fand, offenbar noch nicht in Zusammenhang gebracht mit den neuen Erkenntnissen über den wahren Besitzer der in China verschollenen deutschen Kunstwerke. Am Ende des Berichtes der „Süddeutschen Zeitung“ über die Pressekonferenz der Maria Chen-Tu zusammen mit dem um seine Werke bangenden Markus Lüpertz in Peking hieß es im November 2019 über den chinesischen Geschäftsmann, der die Kunstwerke beiseite gebracht haben soll:

„Wochenlang hatte Ma Yue nicht auf die Kontaktversuche von Maria Chen-Tu reagiert. Am Sonntag, dem Tag vor der Pressekonferenz, dann schickte er ihr eine Nachricht: "Er droht mir jetzt mit Schadenersatzklage", so Chen-Tu. "Und er nennt mich eine Waffenhändlerin." Ah, die Sache mit dem Waffenhandel. Im deutschen Netz mag sich kein Wort über sie finden – taiwanische Webseiten spucken eine ganze Menge aus. Ihr Name taucht auf in Zusammenhang mit einem der größten Waffenbeschaffungs- und Korruptionsskandale in der Geschichte Taiwans. Der Chef des Beschaffungsamtes der Marine, Kapitän Yin Ching-feng, verschwand 1993 auf dem Weg zu einem Treffen in einem Café, am Tag danach fanden Fischer seine Leiche im Meer. Die Frau aber, die er an jenem Tag sprechen wollte, um über einen Rüstungskauf zu reden, war Maria Chen-Tu. Sie wurde nie für irgendein Vergehen belangt. Der SZ sagte sie, sie habe 1993 bei der Ersatzteillieferung einer deutschen Firma für taiwanische Minenräumboote ein wenig Unterstützung geleistet, eine Waffenhändlerin sei sie deshalb aber nicht. ...“



Fotos:
© RB „b&b“ / zitierte Webseiten

Info:
https://www.butenunbinnen.de/nachrichten/gesellschaft/verschollene-kunst-moderne-millionen-china-luerssen-werft-bremen-100.html
https://www.tagesschau.de/ausland/verschwundene-kunstwerke-in-china-luepertz-101.html
https://www.sueddeutsche.de/kultur/kunst-verschollen-china-deutschland-kiefer-luepertz-graf-1.4686478
https://projekte.sueddeutsche.de/artikel/panorama/china-kunst-von-anselm-kiefer-und-markus-luepertz-e371879/?reduced=true
http://www.randian-online.com/np_news/a-total-of-352-artworks-worth-around-300-million-euros-by-anselm-kiefer-markus-lupertz-a/
https://de.wikipedia.org/wiki/Fr._L%C3%BCrssen_Werft#R%C3%BCstungsexporte_und_Kontroversen