Bildschirmfoto 2021 12 25 um 00.06.04BÜHRLE-DEBATTE: Miriam Cahn fordert das Kunsthaus Zürich heraus und stellt die Gesellschaft vor ethische Fragen

Yves Kugelmann

Zürich (Weltexpresso) - Die international renommierte Schweizer Künstlerin Miriam Cahn hat mit ihrer Ankündigung ihre Bilder aus dem Kunsthaus Zürich abzuziehen eine neue Diskussion rund um die Bührle-Debatte entfacht – im Interview mit tachles erklärt sie die Hintergründe.


TACHLES: Rund 44 Werke von Ihnen befinden sich in der Kunsthaus Sammlung.  Das Kunsthaus Zürich hat auf Ihre Ankündigung des beabsichtigten Rückkaufs Ihrer Werke rein formaljuristisch reagiert: Ein Rückzug wäre ja gar nicht möglich.

Miriam Cahn: Vermutlich ist das sogar richtig, aber es ist typisch genau jene Art Antwort, die man erwarten musste. Ich werde das nun aber mit meinen Galerien durchziehen. Die Einschätzung des Kunsthauses ist nicht die letztgültige und zeigt, dass sie gar nicht verstanden haben, um was es geht. Direktor Christoph Becker hat meinen Brief erhalten und wird sich vielleicht eingehender mit dem Anlass zu diesem auseinandersetzen.


Anlass Ihres Schreibens war die Geschichtsverzerrung zur Situation der Juden in der Schweiz während des zweiten Weltkriegs.

Das ist richtig. Deshalb zeigt das rein formale öffentliche Eintreten des Kunsthaus Zürich, dass die verantwortlichen Akteure  immer noch nicht verstehen, um was es eigentlich geht. Es geht zuerst mal um die Grundhaltung zu den offenen Fragen. Die Akteure in Zürich treten aber genau darauf nicht ein und machen mit jedem Satz alles schlimmer. Da musste ich jetzt einen Punkt setzen für mich als Jüdin und als Künstlerin.


Gibt es auch andere Künstlerinnen und Künstler, die mitziehen möchten, weil für sie hier eine Grenze überschritten wurde?

Ich hoffe es. Aber mir geht es nicht um das, sondern um die Performance, die aus dieser Forderung entsteht, also wenn ich mit allen Mitteln versuche, meine Werke zurückzukaufen. Andere Künstlerinnen und Künstler müssen selbst wissen, ob sie sich anschließen wollen. Ich fände das natürlich grandios.


Ist ihre Aktion Politik oder schon «Performance» bzw. sind Ihr Brief und die öffentliche Debatte darum ein Teil von politischer Kunst oder Inszenierung?

In meinem Fall nicht so sehr. Mir liegt eh nicht daran, in der Öffentlichkeit aufzutreten – ich fand die Tage mit all den Telefonaten durchaus anstrengend. Aber ich mache es, weil ich ja doch eine wichtige Künstlerin und Nr. 1 in der «Bilanz»-Liste bin. Dieses Gewicht nutze ich natürlich in einem solchen Moment.


Sie gelten seit Jahrzehnten als Künstlerin, die sich für Themen wie etwa Frauen und Minderheiten engagiert. Wie positionieren Sie sich im Spannungsfeld zwischen Kunst und Politik?

Ich mache keine Politkunst, sondern politische Kunst – in meinen Augen ein grosser Unterschied. Politkunst ist angewandt, da gibt es ein Thema, und man reagiert direkt darauf. Politische Kunst ist eher nicht konkret, nicht angewandt.


Würden Sie beispielsweise Ihre Installation aus den 1980er Jahren im Kunsthaus Zürich «Weiblicher Monat» als politisches Werk bezeichnen?

Ja, klar. Es beginnt am Schluss mit der Darstellung der weiblichen Menstruation und geht bis zum Anfang der nächsten. Einerseits ist das ganz real. Andererseits kann man natürlich darin sehen, was man will – das ist ja das Offene an der Kunst.


Seit Jahrzehnten bringen Sie sich öffentlich ein. Auch damals, als es um das Flick-Museum in Zürich ging. Gibt es Parallelen zur Debatte Bührle?

Ja, im Zusammenhang mit dem Thema Flick bezog ich auch eine jüdische Position, die ich indessen nicht so betonte. Ich fand die Diskussion damals falsch, weil man nicht darauf einging, dass Flick seine Reparationen nicht bezahlt hatte. Und hier liegt eine Parallele zu Bührle: beide dachten, dass sie mit einer Sammlung zeitgenössischer Kunst einen Ablasshandel betreiben könnten.


In ihrem Buch «Das zornige Schreiben» schreiben sie explizit zu jüdischen Themen, etwa in einem eindrücklichen Briefwechsel mit ihrem Vater.

Ja. Ich war früh politisch. Der Skandal um die geplante Deutschlandpremiere von Werner Fassbinders Stück «Der Müll, die Stadt und der Tod» hat mich in den 1980er Jahren umtrieben. Damals schrieb mir mein Vater in einem Brief von 1985 «Ich freue mich, dass die Juden sich wehren, und zwar konsequent und ohne Krawall. In dieser Sache scheint es mir völlig irrelevant, ob der Autor antisemitisch sein wollte oder nicht. Die Reaktionen beweisen, dass das Stück als antisemitisch verstanden werden kann. Und da hört die Toleranz auf. Die Sache ist zu ernst, um von einer Literaten-Schikeria entschieden zu werden». Daran fühlte ich mich rund um die Eskalation in der Causa Bührle erinnert.


Als Künstlerin kann es einem ja immer passieren, dass man in einem Haus in einem Kontext ausgestellt wird, der einem zuwiderläuft. Wann sind rote Linien überschritten?

Grundsätzlich ist man ja froh, wenn ein Werk an ein Museum verkauft wird; das ist eine Bestätigung. Aber kontrollieren, was das Haus damit tut, kann man nicht. Man gibt das Werk durch den Verkauf ja ab und hofft, dass es gut herauskommt. Museen funktionieren einfach so.


Sie sind etabliert und weltweit akzeptiert. Sie oder auch Gerhard Richter in Deutschland hinterfragen den Kunstmarkt öffentlich, von dem die Künstlerinnen und Künstler zugleich abhängen.

Genau. Das ist doch ein Privileg, das man nutzen muss – nicht aus Eitelkeit, sondern weil man tatsächlich gehört wird, wie es jetzt passiert ist. Ich habe eigentlich einfach formuliert, was sowieso in der Luft liegt.


Sie hatten ja viele Reaktionen auf Ihre Ankündigung. Beziehen sich diese auf die Causa Bührle generell oder auf die Aussagen des Präsidenten Stiftung E. G. Bührle Alexander Jolles – die zum Teil als antisemitisch interpretiert wurden?

Auf beides. Bezüglich Antisemitismus hatte ich ein paar Reaktionen von Jüdinnen und Juden, aber für viele andere Menschen ist das sowieso unverständlich. Für Letztere stehen das Kunsthaus, Bührle als Waffenhändler und die Zürcher Szene im Vordergrund. Ich kenne viele Menschen, die schon lange denken, dass mit dem Kunsthaus Zürich nicht viel los, dass es konservativ ist. Für diese ist die Sache Bührle und der Bau mitten in der Stadt nun noch das Pünktchen auf dem i; diese ungute Mischung stösst den meisten Kulturinteressierten auf.


Darin zeigt sich ja auch die starke Hand des Establishments, bei dem die richtige Kulturszene gar nicht durchdringen kann.

Wir sind doch nicht von denen abhängig, denn die Kunst passiert eh, egal ob die Reichen sie kaufen oder nicht. Es gibt den Hochpreiskunstmarkt, aber es gibt auch einen Mittelstand, der enorm weit und enorm verschieden ist. Es wird doch einfach suggeriert, dass nur die Reichen sich Kunst noch leisten können.


Sie sind vom Namen her leicht als jüdisch zu erkennen. Haben Sie als Künstlerin schon Antisemitismus erlebt?

Ich kenne natürlich jenen Schweizer Antisemitismus, der auch unter Freunden passieren kann, wenn etwa plötzlich jemand sagt, dass er oder sie die Juden nicht so möge. Je nachdem kann mir nicht so Direktes zu schaffen machen, und ich musste lernen, in solchen Fällen direkt und sofort zu reagieren. Und was passiert dann? Genau das Gleiche wie jetzt: die Leute sagen, sie seien doch keine Antisemiten. Und am Schluss muss ich erklären, dass das, was sie jetzt gerade gemacht hatten, nicht geht. Aber als Künstlerin habe ich bis jetzt nicht unbedingt etwas Direktes erlebt.


Sie sind permanent in internationalen Museen ausgestellt. Es folgen 2022 eine grosse Ausstellung in Mailand, im Sommer erhalten Sie den Rubenspreis in Siegen, es folgen Ausstellungen in der Albertina in Wien, dann das Palais Tokio in Paris. Ist so eine Situation wie in Zürich im Ausland auch denkbar?

Diese Form von Diskussion kenne ich wirklich nur in der Schweiz. Dieses Unbedarfte, nicht historisch Denkende... In Deutschland etwa kennt man das nicht, dort ist man eher zu peinlich berührt. Da würde sicher nicht mehr das Gleiche gesagt wie hier. Die Schweizer haben immer das Gefühl, sie seien aus dem Spiel, weil sie an der Ermordung der Juden im Zweiten Weltkrieg nicht beteiligt waren. Es gibt also schon einen spezifischen Alltagsantisemitismus hier, der völlig unbedarft und irgendwie auch unschuldig daherkommt.


Ihre Forderung bezüglich Ihrer Bilder steht nun im Raum. Was erwarten Sie von Stadtpräsidentin Mauch?

Frau Mauch muss nun absolute Transparenz verlangen, und der Leihvertrag ist einfach ganz fürchterlich. Das verstehe ich überhaupt nicht. Die ganze Sammlung Bührle kann ja nach 20 Jahren wieder abgezogen werden. Wie soll man so ein Museum führen? Ich finde es grundfalsch, auf so etwas einzugehen. Die künftige Direktorin des Kunsthauses, Ann Demeester, wird wie in einem Trümmerfeld arbeiten und aufräumen müssen.

Foto:
©tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 23. Dezember  2021