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Kategorie: Kulturbetrieb
polenAusstellung und Vortrag von Ralf Pasch über den Geist des Riesengebirges im Rahmen des 72. Sudetendeutschen Tages unter dem Motto »Dialog überwindet Grenzen«.Ausstellung am Stand »Riesengebirge« 4.-6.Juni

Günther Winckel

Hof (Weltexpresso) - Der geheimnisvolle Rübezahl erscheint mal als Riese, mal als Zwerg, mal in menschlicher Gestalt. Er bewacht wertvolle Schätze, spielt den Menschen Streiche, hilft ihnen aber auch in schwierigen Situationen – vielgestaltig und launenhaft wie das Wetter in den Bergen. Doch warum gibt es polnische, tschechische und deutsche Rübezahl-Sagen? Was steckt hinter dem Namen? Und was hat der Berggeist mit Nachhaltigkeit zu tun?

Antwort auf diese Fragen gibt die Ausstellung des Kulturforums am Riesengebirgsstand. Ihr Autor Ralf Pasch steht für vertiefende Gespräche zur Verfügung und erläutert in seinem Vortrag die verschiedenen Aspekte der Sagen über den Berggeist, zu denen auch dessen Rolle als Umweltschützer zählt. Die für die Ausstellung extra angefertigten Farbzeichnungen stammen von der international bekannten Illustratorin und Autorin Juliane Pieper.

Ralf Pasch hat seine Ausführungen auch schriftlich niedergelegt. Eine Auswahl: Der Literaturwissenschaftler Ladislav Futtera, der an der Akademie der Wissenschaften in Prag zur Rezeption der Sagenfigur forscht, macht in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der tschechischen Romantik eine verstärkte Hinwendung zu Rübezahl aus, als man das Riesengebirge als »magisch-mythischen Ort« entdeckte.

Märchen und Sagen seien im Zuge der böhmischen Nationalbewegung ein Mittel zum Zweck bei der Suche nach einer Seele der tschechischen Nation gewesen. Zum Helden tschechischsprachiger Geschichten sei Krakonoš verstärkt im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts geworden. Da erst entstand auch sein tschechischer Name, der sich von Krkonoše, der tschechischen Bezeichnung für das Riesengebirge, ableitet. In vielen deutschen und tschechischen Rübezahl-Texten zeigt sich, dass gern aus dem Fundus der jeweils anderen Kultur geschöpft wurde.

Im 19. Jahrhundert setzte ein wahrer Hype um Rübezahl ein – auch im Kontext des zunehmenden Tourismus, der das Riesengebirge nicht verschonte und für den ein zugkräftiger Werbeträger gebraucht wurde. Es entstanden Opern und Gemälde, viele neue Bücher kamen auf den Markt. 1902 baute man in Schreiberhau/Szklarska Poręba eine Sagenhalle, in der Rübezahl als »germanischer Mythos« verkauft wurde. So geriet der böhmisch-schlesische Heros zwischen die Fronten des Nationalismus. Im deutschen Stummfilm Rübezahls Hochzeit von 1916 mimt – Ironie der Geschichte – just die Tschechin Lyda Salmonova die Elfenprinzessin.

Die Unterschiede zwischen dem tschechischen Krakonoš und dem deutschen Rübezahl sind freilich marginal. Im Vergleich zum launischen Riesen der deutschen Sagen erscheint der tschechische Herrscher des Gebirges allerdings öfter als freundlicher Bergbewohner.

 
Wachsende Popularität erfuhr Krakonoš in der tschechischen Version des Sandmännchens – Večerníček – durch die darin erzählten Krkonošské pohádky (»Riesengebirgs­geschichten«). Kreiert zu Beginn der 1970er Jahre, also in sozialistischer Zeit, sind dies Episoden »im marxistischen Sinne« (Futtera): Der deutsche Adlige Trautenberk liegt im ständigen Clinch mit seinen tschechischen Untergebenen, die ihm alle Nase lang eins auswischen und dabei in Krakonoš einen Helfer finden. 2013 wählten tschechische Fernsehzuschauer die zu diesem Zeitpunkt bereits beendete Serie zur besten Kindervorabendsendung.


Junge Karriere in Polen

Der polnische Rübezahl ist vergleichsweise jung, wurde er doch erst nach 1945 entdeckt. Niederschlesien auf der nördlichen Seite des Riesengebirges hatte bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs eine deutsche Bevölkerung, nach Flucht und Vertreibung setzte die polnische Besiedelung ein. Damit verbunden war die Suche nach einer eigenständigen polnisch-niederschlesischen Identität. Bei der Wahl einer dazu passenden Sagenfigur stieß man auf Rübezahl. Liczyrzepa, die wörtliche Übersetzung des deutschen Namens Rübezahl, machte der polnische Autor Józef Sykulski durch seinen 1945 verfassten Text Liczyrzepa, zły duch Karkonoszy i Jeleniej Góry (»Rübezahl – der böse Geist des Riesengebirges und Hirschbergs«) populär.

Weil die Sage auf deutsche Wurzeln zurückgeführt wurde, entbrannte ein politischer Streit. »Schluss mit Rübezahl!«, lautete die Forderung in einem Zeitungsartikel. Trotzdem hielt sich der Berggeist auch in Polen standhaft und kam sogar zu neuer Kraft. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs entwickelte sich in der Region nördlich des Riesengebirges zunehmend eine neue niederschlesische Identität. Und mit ihr wurde Liczyrzepa, auch Duh Gór (»Berggeist«) genannt, neu entdeckt, sagt der aus Zillerthal-Erdmannsdorf/Mysłakowice stammende Übersetzer Emil Mendyk. »Rübezahlkonjunktur« nennt es der polnische Historiker Mateusz J. Hartwich, der sich in einem Buch mit der Polonisierung des schlesischen Riesengebirges beschäftigt.

Ein Höhepunkt dieser Entwicklung war für Mendyk 1999 die Gründung der neuen Woiwodschaft Niederschlesien mit Breslau/Wrocław als Zentrum. Im Zuge des neuen Hypes um Rübezahl wurden viele deutschsprachige Texte ins Polnische übersetzt und – etwa vom Riesengebirgsmuseum in Hirschberg/Jelenia Góra – veröffentlicht. Mendyk übertrug im Jahr 2000 Carl Hauptmanns Rübezahlbuch ins Polnische. Das 1915 erstmals erschienene deutschsprachige Original wurde zum 100. Todestag des Autors und Bruders des Nobelpreisträgers Gerhart Hauptmann im Görlitzer Bergstadtverlag neu aufgelegt. Auf die Frage, für wen diese Neuveröffentlichung gedacht sei, antwortet Verleger Alfred Theisen: »Für Kinder und Erwachsene.«

Hauptmann sieht in Rübezahl eine Gestalt »jenseits von Gut und Böse«, womit er den Philosophen Friedrich Nietzsche zitiert. Hauptmann streicht die – wie man heute sagen würde – Diversität des Berggeistes heraus, sei der doch »mit Händen nicht zu packen«. Eine ganz moderne Variante der Vielgestaltigkeit findet sich in dem Buch mit dem Titel Krakonos, das 2018 für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert war. Autor Wieland Freund erzählt darin eine dystopische Geschichte, in der Rübezahl von Mythobiologen gejagt wird. Den Jugendliteraturpreis erhielt Freund zwar nicht, doch die Stadt Hameln ehrte ihn mit ihrem Rattenfänger-Literaturpreis, weil er »eine wenig bekannte Seite der deutschen Überlieferung für die fantastische Literatur fruchtbar« gemacht habe.


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Info:
Vortrag: Pfingstsonntag, 5.6.2022, 15 Uhr
Freiheitshalle Hof
Kulmbacher Str. 4
95030 Hof
Eintritt frei