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Kategorie: Kulturbetrieb
Heine-Preis 2022 in Düsseldorf

Thomas Haller

Düssseldorf (Weltexpresso) - Der ukrainische Lyriker, Schriftsteller und Übersetzer Juri Andruchowytsch wird mit dem Heine-Preis 2022 der Landeshauptstadt Düsseldorf ausgezeichnet. Am Samstag, 10. Dezember, wird Oberbürgermeister Dr. Stephan Keller Juri Andruchowytsch mit dem Preis auszeichnen. Die Verleihung findet im Düsseldorfer Schauspielhaus mit geladenen Gästen statt. Die Laudatio auf Juri Andruchowytsch hält Jaroslav Rudiš. Der Preis wird traditionell rund um Heinrich Heines Geburtstag (13. Dezember) überreicht.

Kurz vor der Verleihung, am Freitag, 9. Dezember, besuchte Juri Andruchowytsch im Rahmen eines Pressegesprächs gemeinsam mit Oberbürgermeister Dr. Stephan Keller und Miriam Koch, Dezernentin für Kultur und Integration, das Heinrich-Heine-Institut, wo sie von der Leiterin des Hauses, Dr. Sabine Brenner-Wilczek, empfangen wurden. Das Heinrich-Heine-Institut ist ein Zentrum der internationalen Heine-Forschung und präsentiert die weltweit einzige Dauerausstellung zum Leben und Werk des Dichters.

Oberbürgermeister Dr. Stephan Keller: "Ich danke der Jury des Heine-Preises für ihre Entscheidung und freue mich sehr darauf, Juri Andruchowytsch im Rahmen des Festaktes im Düsseldorfer Schauspielhaus den Heine-Preis 2022 verleihen zu dürfen. Ganz im Sinne Heinrich Heines steht er als Verfechter europäischer Werte für die Grundrechte des Menschen und die Völkerverständigung ein. Sein entschiedenes Engagement für eine unabhängige Ukraine mit enger Anbindung an Europa erinnert uns – insbesondere in Zeiten des völkerrechtswidrigen und unmenschlichen russischen Angriffskrieges – solidarisch an der Seite der Ukraine und der ukrainischen Bevölkerung zu sein."

Juri Andruchowytsch: "Die Überwältigung der Identität – darum geht es dem Aggressor in diesem Krieg. Alles andere – Territorien, Städte, Felder, Getreide, Industriegebiete, Naturschätze, Infrastruktur, Technologien, Privatbesitz inklusive Laptops, Waschmaschinen und Kloschüsseln – all das gibt es als zusätzlichen Bonus zur eigentlichen Beute dazu."

Im Anschluss an das Pressegespräch ging es in das Düsseldorfer Rathaus. Im Jan-Wellem-Saal trug sich Juri Andruchowytsch in das Goldene Buch der Landeshauptstadt Düsseldorf ein.

Begründung der Heine-Preis-Jury
Die Heine-Preis-Jury begründete ihr Votum wie folgt: "Den Heine-Preis der Landeshauptstadt Düsseldorf 2022 erhält Juri Andruchowytsch. Andruchowytsch, einer der führenden ukrainischen Romanciers, Lyriker und Essayisten unserer Zeit, schreibt über die Lage des Individuums in der mitteleuropäischen Geschichte und Gegenwart. Dabei übt er scharfe Kritik an Übergriffen von Geheimdiensten, Militär und Justiz. Der Sinn für Ironie und das Groteske kennzeichnen sein Werk in bester Heinescher Tradition. Dabei spielt er mit literarischen Formen und überschreitet die Grenzen zwischen Realität und Fantasie. Juri Andruchowytsch setzt sich leidenschaftlich für den europäischen Gedanken ein und vertritt die Identität der Ukraine als Kulturnation. Er erinnert Europa daran, dass Freiheit und Menschenrechte in der Ukraine in vorderster Linie verteidigt werden."


Preisträger Juri Andruchowytsch – Kurzvita

Juri Andruchowytsch wurde am 13. März 1960 in Stanyslawiw (Stanislau; seit 1962 umbenannt in Iwano-Frankiwsk) in der Westukraine geboren. Das Journalismus-Studium am Lemberger Polygraphischen Institut schloss er 1982 ab und leistete von 1983 bis 1984 seinen Wehrdienst. Von 1989 bis 1991 besuchte er Literaturkurse am Maxim-Gorki-Institut in Moskau und legte 1994 seine Dissertation über den ukrainischen Nationaldichter Bohdan-Ihor Antonytsch vor.

Juri Andruchowytsch gilt als einer der wichtigsten Schriftsteller und Intellektuellen der postsowjetischen Ukraine, der mit seinen international publizierten Werken der ukrainischen Sprache eine neue, moderne Qualität verlieh und sich mit seinen Beiträgen und Aktionen auch gesellschaftspolitisch positionierte.

Erste Gedichte veröffentlichte er bereits 1982 in Literaturzeitschriften und arbeitete zunächst als Drucker für verschiedene Zeitungen sowie von 1991 bis 1996 als Redakteur der Zeitschrift "Tschetwer" (Donnerstag). Mit Wiktor Neborak und Oleksander Irwanez gründete er in Lemberg (Lwiw) die literarische Performance-Gruppe "Bu-Ba-Bu", die für Burleske, Balagan (Rummel) und Buffonade (Possenreißer) stand und bis 1992 das sozialistische Regime mit satirischen, lautpoetischen und karnevalesken Gedicht-Experimenten kritisierte.

Bekannt wurde Juri Andruchowytsch auch für seine Essays, mit denen er sich als kritischer Beobachter zu Wort meldete. So beschrieb er im 2003 auf Deutsch erschienenen Band "Das letzte Territorium" mit kritisch-ironischem Blick die postsowjetische Realität der Ukraine und machte unter anderem die repressive Medienpolitik der Regierung, den Exodus der Bevölkerung in den Westen und die ambivalente Existenz von Künstlern zum Gegenstand seiner Reflexionen.

Seit dem Ende der Sowjetunion und vor allem während der "orangenen Revolution" positionierte sich Juri Andruchowytsch als entschiedener Befürworter einer Anbindung der Ukraine an Europa. Dabei beklagte er immer wieder die mangelnde Unterstützung vonseiten Europas – gleichzeitig sparte er nicht mit Kritik an der ukrainischen Politik, insbesondere am Anti-Europakurs des früheren Präsidenten und Gefolgsmanns des russischen Präsidenten Wladimir Putin, Wiktor Janukowytsch. Unter dem Eindruck der Annexion der Krim durch Russland im März 2014 und des blutigen Bürgerkriegs zwischen Regierungstruppen und prorussischen Separatisten im Donbas gab Juri Andruchowytsch noch 2014 den Sammelband "Euromaidan. Was in der Ukraine auf dem Spiel steht" heraus, in dem ukrainische Intellektuelle die Geschehnisse und unsicheren Perspektiven des Landes zwischen Ost und West kommentierten.

Auch als Übersetzer deutscher, polnischer, russischer und englischer Literatur tritt Juri Andruchowytsch in Erscheinung. Unter anderem übersetzte er Gedichte von Rainer Maria Rilke, Prosa von Robert Walser und Boris L. Pasternak oder Shakespeares "Hamlet" und "Romeo und Julia" ins Ukrainische. Eine enge Verbindung zu Deutschland entstand im Rahmen mehrerer Studienaufenthalte, unter anderem 1992 und 2001 im Künstlerhaus Alberta bei München sowie 2005 beim Künstlerprogramm des DAAD in Berlin. 2014 übernahm er die Siegfried-Unseld-Professur für Slawistik und mitteleuropäische Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit 2006 ist er zudem korrespondierendes Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.

Für sein Schaffen wurde Juri Andruchowytsch bereits mehrfach ausgezeichnet. So wurde ihm unter anderem 2001 der Herder-Preis der Alfred-Toepfer-Stiftung verliehen, 2005 erhielt er den Sonderpreis des Erich-Maria-Remarque-Friedenspreises der Stadt Osnabrück, und 2006 wurde er mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung ausgezeichnet. Im gleichen Jahr folgte der Mitteleuropäische Literaturpreis Angelus der polnischen Stadt Wroclaw. 2014 erhielt Juri Andruchowytsch den Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken und im Jahr 2016 die Goethe-Medaille des Goethe-Instituts.

Unter anderem sind folgende Werke von Juri Andruchowytsch erschienen: "Nebo i ploschtschi" (1985), "Lysty v Ukrainu" (1993), "Werwolf Sutra" (2009), "Sliva, de sertse" (1989), "Samijlo z Nemyrova, prekrasnyj rozbyschaka" (1991), "Desorijentazija na miszewosti" (1999; deutsch 2003, "Das letzte Territorium"), "Moja Europa" (2000), "Rekreaziji" (1992; deutsch 2019, "Karpatenkarneval"), "Dvanadcat' obrutschiw" (2003; deutsch 2005, "Zwölf Ringe"), "Kochanci Justiciji" (2017; deutsch 2020, "Die Lieblinge der Justiz. Parahistorischer Roman in achteinhalb Kapiteln") sowie "Radio Nacht" (2022).


Heine-Preis - bisherige Preisträger und Jury

Der Heine-Preis zählt zu den bedeutendsten Literatur- und Persönlichkeitspreisen in Deutschland und wird seit 1972 verliehen; er ist mit 50.000 Euro dotiert. Der Preis wird durch die vom Rat der Landeshauptstadt Düsseldorf eingesetzte Jury "an Persönlichkeiten verliehen, die durch ihr geistiges Schaffen im Sinne der Grundrechte des Menschen, für die sich Heinrich Heine eingesetzt hat, den sozialen und politischen Fortschritt fördern, der Völkerverständigung dienen oder die Erkenntnis von der Zusammengehörigkeit aller Menschen verbreiten". Der Preis, den Düsseldorf als Vaterstadt zu Ehren des 1797 geborenen Heinrich Heine gestiftet hat, wird zum 22. Mal vergeben. Bisherige Heine-Preisträger sind: Carl Zuckmayer (1972), Pierre Bertaux (1975), Sebastian Haffner (1978), Walter Jens (1981), Carl Friedrich von Weizsäcker (1983), Günter Kunert (1985), Marion Gräfin Dönhoff (1988), Max Frisch (1989), Richard von Weizsäcker (1991), Wolf Biermann (1993), Wladyslaw Bartoszewski (1996), Hans Magnus Enzensberger (1998), W.G. Sebald (2000), Elfriede Jelinek (2002), Robert Gernhardt (2004), Amos Oz (2008), Simone Veil (2010), Jürgen Habermas (2012), Alexander Kluge (2014), A. L. Kennedy (2016), Prof. Dr. Leoluca Orlando (2018) und Rachel Salamander (2020).

Der Heine-Preis-Jury 2022 gehörten an als Vertreter der Landeshauptstadt Düsseldorf:
Dr. Stephan Keller (Oberbürgermeister/Vorsitzender der Jury),
Miriam Koch (Dezernentin für Kultur und Integration),
Dr. Sabine Brenner-Wilczek (Direktorin des Heinrich-Heine-Instituts),

als Vertreter der Fraktionen:
Dr. Susanne Schwabach-Albrecht (CDU),
Bürgermeisterin Klaudia Zepuntke (SPD),
Dr. Veronika Dübgen (FDP),
Karin Trepke (Bündnis 90/Die Grünen),
Dr. Luzia Vorspel (Die Linke),
Stefan Job (Die PARTEI-Klima-Fraktion),

als Fachjuroren:
Dr. Traudl Bünger,
Reinhard Gorenflos,
Dr. Wolfgang Trautwein,
Dr. Sabine Bierwirth,
Prof. Dr. Anne Bohnenkamp-Renken,
Jo Lendle,

als entsandte Mitglieder:
Prof. Dr. Anja Steinbeck (Rektorin der Heinrich-Heine-Universität),
Felix Droste (Verleger, 1. Vorsitzender der Heine-Gesellschaft).

Foto:
Der ukrainische Lyriker, Schriftsteller und Übersetzer Juri Andruchowytsch wird mit dem Heine-Preis 2022 der Landeshauptstadt Düsseldorf ausgezeichnet ©Landeshauptstadt Düsseldorf/David Young

Info:
Hinweis: Die Jury-Mitglieder Dr. Sabine Brenner-Wilczek, Prof. Dr. Anja Steinbeck, Jo Lendle und Felix Droste waren terminlich verhindert und konnten an der Sitzung nicht teilnehmen.