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Kategorie: Kulturbetrieb

Oliver Reese stellt das Programm seiner letzten Spielzeit als Frankfurter Schauspielintendant vor, Teil 2

Klaus Philipp Mertens


Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Sechs Premieren erwarten die Theaterbegeisterten von September 2016 bis April 2017 in den Kammerspielen.


Der Reigen beginnt am 9. September mit Ersan Mondtags Inszenierung der „Iphigenie“. Hierbei bedient er sich einerseits des Originals von Euripides, andererseits der Nachdichtungen Goethes und Hauptmanns. Im bildungsbürgerlichen deutschsprachigen Theater steht Goethes „Iphigenie auf Tauris“ für das Humanitätsideal der deutschen Klassik, steht für die Hoffnung, dass sich die Welt am guten Beispiel zum Besseren bekehren möge. Man darf gespannt sein, ob sich Ersan Mondtag mit dieser Sicht begnügt. Schließlich gilt er seit seiner Zeit im REGIEStudio des Frankfurter Schauspiels als Enfant terrible, als unkalkulierbares Talent. Die Zuschauer sollten sich auf Überraschungen einstellen.

Wenn Jürgen Kruse inszeniert, darf man sich neben viel Unwägbarem auf eines sicher einstellen: Im jeweils aufgeführten Stück dringt passende und unpassende Musik aus dem Bühnenhintergrund auf den Zuschauer ein - durchaus im Sinn der Brechtschen Verfremdungstheorie. Ich erinnere mich beispielsweise gern an „Draußen vor der Tür“, als Schlagermelodien von der Waterkant (Hans Albers, Freddy) und Politisches von Ernst Busch („Der heimliche Aufmarsch„) erklangen.
 
Am 7. Oktober wartet Kruse mit einem Doppelpack auf. Er präsentiert zwei kurze Bühnenstücke von Harold Pinter: „Der stumme Diener“ und „One for the Road“. Es geht um Macht und Ohnmacht, Wissen und Nichtwissen und über das Verhältnis des Einzelnen zu einem System, das sich als undurchschaubar erweist. Das alles wird durchgespielt an zwei Beispielen: Im ersten Drama warten zwei professionelle Mörder auf den nächsten Auftrag, der ihr letzter sein wird. Im zweiten werden Unterdrückung und Folter durch nationalistische Kreise eindrücklich zur Sprache gebracht. Das vermeintlich Absurde wird konkret durch die offenen und verdeckten Hinweise zu Geschehnissen in der realen Gegenwart.

Alexander Eisenach, der sich bereits als Mitglied des REGIEStudios einen Namen machte („Fauser“), begibt sich mit seinem Theaterstück „Der kalte Hauch des Geldes“ in die Abgründe des Western-Genres. Er reduziert den vermeintlich glorreichen Wilden Westen auf den Drang nach Einfluss und Reichtum sowie auf die Ausübung von Macht. Die wesentlichen Herrschaftsinstrumente in dieser Gesellschaft, die nur nach dem gesellschaftlich akzeptierten Guten und offiziell verworfenen Bösen trennt, sind Gewalt, Ausbeutung und Unterdrückung. Das war nicht nur bei den legendären Schurken Whyat Earp oder Wild Bill Hickock so, das setzt sich fort bis zur Wall Street und zum Neoliberalismus. Eisenach hat den Text zu seiner Inszenierung selbst geschrieben und sich dabei auch von diversen Heftromanen und amerikanischen Westernfilmen inspirieren lassen. Die Uraufführung ist am 11. November.

Die Adaption klassischer Stücke zieht sich in dieser Spielzeit sowohl durch die Aufführungen des Schauspielhauses als auch durch jene der Kammerspiele, was kein Nachteil ist. Am 9. Dezember präsentiert die belgische Regisseurin Julie van den Berghe eine neue Variante von Euripides‘ „Alkestis“ in der Kammer. Die Sage um die Ehefrau Admetos‘, die ihr Leben opfert, um das ihres Mannes, welches er bei den Göttern verwirkt hatte, zu retten, ist ein begehrter Stoff auch des nachklassischen Theaters. So hat der englische Schriftsteller Ted Hughes die griechische Vorlage im Andenken seine Frau Sylvia Plath bearbeitet, die sich vor ihren Depressionen in den Freitod flüchtete. Im Zentrum des neuen Textes stehen die Erfahrungen mit dem Tod eines nahen Angehörigen und die darauf zurückzuführenden Phantasien zwischen Traum und Wirklichkeit. Julie van den Berghe lotet die Grenzen des Bewusstsein in Situationen, die den Einzelnen überfordern, aus.

Eine Frankfurter Wohngemeinschaft bietet die dramaturgische Folie für die Suche nach einem Platz im Leben und nach einer Ordnung in der anscheinend ungeordneten Welt sowie der Sehnsucht nach unbekannter, weil unerfahrener Heimat. Bernadette Sonnenbichler inszeniert einen Text von Sasha Marianna Salzmann, den diese im Rahmen der „Frankfurter Positionen 2017“ für das Schauspiel Frankfurt als Auftragsarbeit verfasste. Sein lapidarer Titel lautet „Ein neues Stück“. Eine WG-Mitbewohnerin ist verschwunden, ohne Ankündigung, ohne begründete Aussicht auf Rückkehr; sie hinterlässt lediglich ein leeres Zimmer mit wenigen Fotos und Mitbringseln. Die Zurückgebliebenen und eine neue Interimsbewohnerin, junge Menschen unterschiedlichster Herkunft und mit sehr unterschiedlichen Vorstellungen vom Miteinanderleben und von ihrem gesellschaftlichen Rollenverständnis, versuchen während einer Nacht sich ein Bild von der Verschwundenen zu machen und stoßen dabei auf je eigene Rätsel, Defizite und Ungereimtheiten. Bernadette Sonnenbichler ist zurzeit Hausregisseurin am Düsseldorfer Schauspielhaus und konnte durch ihre Inszenierung des kapitalismuskritischen Stücks „Das Himbeerreich“ auf sich aufmerksam machen. Die Uraufführung von „Ein neues Stück“ ist für Februar 2017 angekündigt.

Die letzte Premiere dieser Spielzeit in der Kammer ist die deutschsprachige Erstaufführung eines Textes des amerikanischen Drehbuchautors und Schriftstellers Tony Kushner aus dem Jahr 1985. Warum die Nachwuchsregisseurin Katrin Plötner (Mitglied des REGIEStudios) an dem englischen Titel „A Bright Room Called Day“ festgehalten hat, bleibt einstweilen ihr Geheimnis. Inhaltlich geht es um zwei junge Frauen und zwei junge Männer im Berlin der frühen 1930er Jahre. Sie möchten dem heraufziehenden Nationalsozialismus durch das Verfassen kritischer Stücke und die Gestaltung entlarvender politischer Plakate etwas entgegensetzen und unterstützen damit die Arbeit der Kommunistischen Partei. Obwohl ihr Engagement zunehmend vergeblich erscheint, verlieren sie weder ihre Ideale noch ihre Hoffnungen. Es bleibt abzuwarten, ob das prinzipiell interessante Thema hinreichend nachvollziehbare Bezüge zur tatsächlichen Situation zwischen 1930 und 1933 aufweist. Die Premiere soll im April 2017 stattfinden.


Info I:

Zum Ende von Oliver Reeses Intendanz sei auf das 2013 erschiene Buch
„Ein Haus für das Theater. 50 Jahre Städtische Bühnen Frankfurt am Main“ hingewiesen, das die unterschiedlichen Epochen von Schauspiel, Oper und Ballett inklusive aller Premieren sowie der beteiligten Intendanten, Regisseure und Schauspieler/Sänger/Tänzer auflistet.
Erschienen im Henschel Verlag, ISBN 978-3-89487-732-3.

 

Info:

Hier noch einmal der Hinweis auf das umfangreiche Programmheft zur Spielzeit 2016/17, das aus dem Internet heruntergeladen werden kann:

https://www.schauspielfrankfurt.de/download/10611/scfr_spielzeitheft1617_web_klein.pdf