Die Heidelberger Compagnie im Gespräch mit einer Professorin der Robotik

Hanswerner Kruse

 „Silver“, das neue Tanzstück der Heidelberger Choreografin Nanine Linning wurde bereits Ende 2015 uraufgeführt. Wie in einem Traumspiel zeigt es Roboter, die durch Menschenversuche humanoider werden wollen. Neulich kam nach der Aufführung erstmals eine Professorin der Robotik zur Diskussion mit dem Ensemble.

Auf der Bühne hängen Uni-Sex-Wesen in schuppigen, silberglänzenden Trikots leblos an großen Kästen. Neben ihnen sind identische Latex-Masken mit langen blonden Haaren befestigt. Zu seltsamen Tönen erscheint ein silbriger Roboter mit solch einer Maske auf dem Kopf. Mit eckigen Bewegungen nimmt er ein Wesen, stülpt ihm eine Maske über und setzt es in Bewegung. Der neu erschaffene Android produziert einen anderen Roboter - so geht es weiter, bis alle Wesen steif als geklonte Maschinenmenschen auf der Bühne staksen. Sie nehmen Kontakt auf, formieren sich unbeholfen zu Paaren oder Gruppen.


Nach einiger Zeit verschwinden zwei Kunstwesen und schleppen ein lebendiges, fast nacktes Menschenpaar an, das sich in einem gefühlvollen, sinnlichen, erotischen Pas de Deux unter den staunenden Blicken ihrer Bewacher begegnet. Irgendwann werden sie von den Wärtern auseinander gerissen und hinter die Bühne getrieben. In weiteren Bildern pulen die Aufseher einen Homunculus - eine sehr kleine Ballerina - aus einem Schleimgebilde und lassen sie tanzen. Mit einem Leuchtstab locken sie einen Tänzer wie eine Motte über die Spielfläche. Deformierte aber menschliche Schattenwesen tanzen synchron und werden von Häschern gefangen.


Die Androiden stellen Menschenversuche an und entwickeln mit der Zeit eigene Bewegungen, die stetig humanoider werden. Die Choreografin Linning - deren Latex-Kopf alle Maschinenwesen ziert - erzählt in „Silver“ keine gefälligen Robotermärchen. Vielmehr schafft sie mit ihrem Ensemble, sowie fantastischen Lichtspielen (Philipp Wiechert) und futurologischen Klängen (Michiel Jansen), eine bedrückende traumartige Atmosphäre. Sie präsentiert keine belehrenden Botschaften, sondern kreiert assoziativ montierte Tanzbilder. Am Ende schleppen die Kunstwesen Menschen herbei, deren Häute - mit Latex getränkte Stoffe - sie abschälen und die übrig bleibenden, nackten Körper wegwerfen.


Nach der Aufführung zeigen Tänzer, wie sie ihre Roboterschritte entwickelten und dann ihre Versuche, sich als „Apparate“ wie Menschen zu bewegen. Die Wissenschaftlerin Katja Mombaur (Universität Heidelberg) hat den kleinen, als Tänzer programmierten Androiden Nao mitgebracht, dessen Aktionen nun die Compagnie nachahmt. Im Gespräch berichtet sie mit Videobeispielen, wie schwierig es ist, flexible menschliche Bewegungen in Maschinenwesen zu implantieren.


Linning formulierte bereits im Programmheft: „Was werden wir noch als ‚echt menschlich’ betrachten dürfen, wenn der Mensch der Zukunft nicht mehr ist, als ein hochtechnisches Produkt, dessen Körper beliebig ausgetauscht werden kann?“ Wie immer geben die getanzten Bilder der Choreografin, die schon andere aktuelle Themen untersucht hat, in „Silver“ vieldeutige Antworten. Sie erforscht auch in diesem exzellenten Traumspiel Fragen und Widersprüche mit tänzerischen Mitteln. Dabei kann Vieles Tanz sein - und anders sinnlich erlebbar gemacht werden, als mit Worten und Begriffen.


Foto:  © Annemone Taake

Info:
Weitere Aufführungen 31. Mai, 2., 5. und 19. Juni jeweils 19.30 Uhr
Am 17., 21. und 24. Mai Nanine Linnings Tanztheater „Hieronymus B.“ aus dem letzten Jahr (wir berichteten)
VIDEO zu „Silver“  https://www.youtube.com/watch?v=4NL0DMVKojw