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Kategorie: Kulturbetrieb

 Ein Besuch bei Heinrich Hannover

 

Kurt Nelhiebel

 

Bremen (Weltexpresso) - Es hat eine Weile gedauert, bis wir uns auf einen Termin geeinigt hatten. Das lag nicht an anderweitigen Verpflichtungen und auch nicht an der Entfernung. Von Bremen aus ist man mit dem Auto in knapp einer Stunde in Worpswede, dem postalischen Wohnort von Heinrich Hannover. In Wirklichkeit wohnt er weit draußen auf dem Lande in der Nähe des Teufelsmoores, dort, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen und nur noch Feldwege weiterführen in die Landschaft mit dem fernen Horizont.

Das erste Mal waren wir uns vor einem Menschenalter in Frankfurt am Main begegnet, wo sich alljährlich ein Kreis von unbequemen Rechtsanwälten versammelte, die während des Kalten Krieges Gegner der Wiederbewaffnung, Pazifisten und Kommunisten, vor Gericht verteidigten. Seither hatten wir uns nie aus den Augen verloren. Was Heinrich Hannover 1998 in seinem Buch „Die Republik vor Gericht“ zu berichten wusste, war für mich als Journalisten ebenso wichtig, wie sein 1966 zusammen mit seiner 2009 verstorbenen Frau Elisabeth Hannover-Drück verfasstes Buch über die politische Justiz zwischen 1918 und 1933. Als ich nach der Vereinigung Deutschlands unter meinem Autorennamen Conrad Taler den Rachefeldzug der bundesdeutschen Justiz gegen die verhassten Juristen-Kollegen aus der DDR unter die Lupe nahm und darüber ein Buch mit dem Titel „Zweierlei Maß“ schrieb, steuerte Heinrich Hannover ein Vorwort bei, in dem er in gewohnter Deutlichkeit bekannte: „Conrad Talers Buch steht quer zur Strömung eines Zeitgeistes, der über Recht und Unrecht Bescheid zu wissen glaubt. Wer es liest, dem werden einige Zweifel kommen, ob Anspruch und Wirklichkeit unseres Rechtsstaates tatsächlich übereinstimmen.“

 

Wir hatten also Einiges zu bereden, als wir im Arbeitszimmer des Gastgebers saßen, von wo aus der Blick hinaus geht in die unendliche Weite der Worpsweder Landschaft. Ungeachtet der Beeinträchtigung durch seine schwächer gewordenen Augen strahlte der 91Jährige während des langen Gesprächs eine mit wachen Verstand und politischem Scharfsinn unterlegte gelassene Heiterkeit aus. Hartnäckig bestand er darauf, dass mir seine jetzige Frau Doris eine Rede vorliest, die er demnächst bei einer öffentlichen Veranstaltung halten wollte. Eine Gedenktafel sollte enthüllt werden zur Erinnerung an die Beschlagnahme eines alten Bremer Gebäudes durch die Nazis, das während der Weimarer Zeit ein Regionalbüro der Kommunistischen Partei Deutschlands beherbergte, und das „Rote Haus“ genannt wurde. Ob mir die Rede gefiele, wollte Heinrich Hannover am Schluss wissen. Als ich das bejahte, meinte er: „Dann halte ich sie so“. Fünf Tage nach meinem Besuch haben mich die Veranstalter auf Heinrich Hannovers Wunsch hin zu der Veranstaltung eingeladen.

 

So wird es doch rascher als gedacht zu einem Wiedersehen kommen. Für ein Abschiedsfoto legte Heinrich Hannover mir draußen vor der Tür seinen Arm um die Schultern. Die Sonne war inzwischen tiefer gesunken und in den Ästen über uns sang eine Amsel ihr erstes Abendlied. Ins Gästebuch hatte ich mich mit dem Satz eingetragen: Ein unvergesslicher Tag.