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Kategorie: Kulturbetrieb

Zum Tod von Fritz Stern

Richard Adamstaler

Berlin (Weltexpresso) - Nicht  ü b e r  Fritz Stern wollen wir an dieser Stelle sprechen, sondern ihn selbst angesichts der Nachricht von seinem Tod noch einmal zu Wort kommen lassen, ihn, den unermüdlichen Mahner und Warner, der schlechte Erfahrungen mit Deutschland gemacht hat und dennoch an ihm hing. Wie viele andere musste die jüdische Familie Stern Deutschland 1938 verlassen, als die Nazis  daran gingen, das, was sie die Endlösung der Judenfrage nannten, ins Werk zu setzen.

 

Von Amerika aus erhob Fritz Stern später als Historiker immer wieder seine Stimme. Als ihm 1999 der Friedenspreis des deutschen Buchhandels verliehen wurde, veröffentlichte der C.H. Beck Verlag unter dem Titel „Das feine Schweigen“ eine Sammlung seiner historischen Essays. Der Titel  bezieht sich auf einen Vortrag, den Fritz Stern am 10. November 1998  an der Ludwig-Maximilians-Universität in München zu diesem Thema gehalten hat.

„Der Triumph des Nationalsozialismus war kein Betriebsunfall und kein Zufall“, stellte Fritz damals fest, „er war vermeidbar, er hatte seine tapferen Gegner, aber es gab auch vieles in der deutschen Geschichte und der damaligen Gegenwart, das ihn begünstigte. Dazu gehörte unter anderem eine gewisse Tradition des ‚feinen Schweigens’. Nur in seltenen Fällen neigen Menschen und Völker dazu, sich selbst anzuklagen, ihre angenehmen Illusionen fallen zu lassen. Seine große politische Bedeutung bekam das Schweigen mit der Politisierung Deutschlands nach dem ersten Weltkrieg. Die Wahrheit ist bekanntlich das erste Opfer des Krieges, und in diesem Krieg wurde die öffentliche Lüge zur Waffe erhoben. Die Dolchstoßlegende war der deutsche Triumphalismus von 1871 mit umgekehrten Vorzeichen.  Die Rücksicht auf das eigene Land, der Wunsch, ihm nicht zu schaden, sind absolut verständlich aus damaliger Sicht, aber auch sie hatten ihre Folgen. Sie gehören zu einer gewissen deutschen Neigung, Kritik als Nestbeschmutzung zu begreifen. Später folgte die ‚Kriegsschuldanklage’, die dem deutschen Volk das moralische Fundament für seinen  Hass auf Versailles lieferte.

Die Verwirrung der Geister in der Endphase der Weimarer Republik ist immer noch ein bestürzend dunkles Kapitel. Der Nationalsozialismus hat es verstanden, einen deutschen Idealismus mit absolutem Nihilismus zu verbinden. Hitler hat aus seinen Absichten kein Hehl gemacht. Er konnte sich zwar verstellen, aber sein mörderischer Hass gegen Feinde, Juden und Marxisten, war unmissverständlich. Die politischen Feinde wurden dem Terror, der Prügelei, der Folter, die Erniedrigung, ausgeliefert. Trotzdem wurde das Schweigen nicht gebrochen. Dann kam die Vertreibung jüdischer und politisch ‚unzuverlässiger’ Kollegen aus Universitäten, Kliniken, sämtlichen öffentlichen Positionen, auch sie nur von ganz wenigern Protesten begleitet.

Ohne die Mitwirkung der Eliten wäre die rasche Durchsetzung der Diktatur unmöglich gewesen, und so kam es zur Eskalation des feinen Schweigens zum feigen Schweigen – und natürlich auch zur massenhaften Anpassung und begeisterter Zustimmung. Umso mehr verdienen, wie Wolfgang Kunkel hier in der Universität sagte, die wenigen, die sich dennoch zum Handeln entschlossen und ihr Leben wagten, unsere Bewunderung und unsere Dankbarkeit. Hat man in der Nachkriegszeit diese Bewunderung und Dankbarkeit hinreichend bezeugt?  Dabei sollte man nicht nur an Widerstand denken. Auch die kleinen aus dem Gedächtnis entschwundenen, namenlosen Taten der Güte und Liebe sollten anerkannt werden. Es darf nicht überraschen, dass die meisten Deutschen nach 1945 geschwiegen haben. Sie waren sich ihrer eigenen Opfer bewusst, aber sie gedachten nicht des Untergangs Millionen anderer, nicht des Mordes an sechs Millionen Juden und an dreieinhalb Millionen russischen Gefangenen, an beinahe sechs Millionen Zwangsarbeiter.

Die Trivialisierung des Holocaust . besonders in den Medien oder auch in literarischer Form, ist ein Betrug an den Opfern. In der heute gepflegten Erinnerungswelt wird der historische Kontext oft völlig vergessen. Ich glaube, wir Historiker tragen hier besondere Verantwortung. Zum Schluss noch einmal die Bemerkung, dass das ‚feine Schweigen’ diesem Land viel Leid angetan hat. Auch das Schweigen hat seinen Kontext: Es kann edles Gold oder gemeine Münze sein. Die Passivität, das Schweigen der Anständigen waren für den Erfolg des Nationalsozialismus mindestens ebenso wichtig wie das Brüllen der Begeisterten.“

Info:
Fritz Stern, Das feine Schweigen, H.C. Beck Verlag, 1999