Drucken
Kategorie: Kulturbetrieb

Sprache und Herrschaft, Teil 2/3

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) -  „Wenn die Sprache nicht stimmt, so ist das, was gesagt wird, nicht das, was gemeint ist.“ Dieser Einschätzung von Konfuzius ist eigentlich nichts hinzuzufügen.


Denn Sprache dient auch als Instrument, um das, was über Menschen und die Welt des Menschen ausgesagt werden könnte und müsste, zu verschleiern. An unserer Sprache, ganz besonders an unserer Alltagssprache, ist abhörbar und ablesbar, ob wir alles, was im Sinn des Philosophen Ludwig Wittgenstein „der Fall“ ist, also die Gesamtheit der Tatsachen, umfassend wahrnehmen, sie objektiv bewerten und ob wir eindeutige Worte benutzen, um sie korrekt zu beschreiben. Wittgensteins sprachphilosophische Abhandlung „Tractatus logico-philosophicus“ (siehe hierzu auch das Info) bewegt sich nach seinen eigenen Worten um die komplexe Erkenntnis: „Was sich überhaupt sagen lässt, lässt sich klar sagen; und wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen.“ Auf diese Weise zieht er den Möglichkeiten, Gedanken überhaupt ausdrücken zu können, eine Grenze. Diese kann nach seiner Meinung nur in der Sprache gezogen werden und keinesfalls im Denken. Was jenseits von ihr liegt, also jenseits aller Ausdrucksmöglichkeiten, „wird einfach Unsinn sein“.

Unsinn bedeutet mithin Sinn, der keinen Sinn ergibt, weil er keinen Sinn besitzt und zu keinem Sinn führt. Fest an der Seite des Unsinns steht die Dummheit - und hiermit ist die gelenkte, also die synthetische Dummheit gemeint (und nicht eine angeborene Minderbegabung). Sie ist das Produkt vielfältiger Manipulationen. Und sie artikuliert sich nicht zuletzt in dummer Sprache, die in jedem ihrer Elemente unter Wittgensteins Verdikt fällt. Für sie gibt es hierzulande seit über zwei Jahrzehnten auch den Begriff „Dummdeutsch“.

Die Traditionslinien des Dummdeutschen führen weit zurück. Hierzu ein Beispiel: Während der römische Satiriker Juvenal formulierte: „Wir wollen beten, dass in einem gesunden Körper auch endlich einmal ein gesunder Geist wohnen möge“, grassiert seit der Epoche des deutschnationalen und reaktionären Pädagogen und „Turnvaters“ Friedrich Ludwig Jahn (1778 - 1852) eine schwach- und unsinnige Verfälschung. Dass nämlich nur in einem gesunden Körper ein gesunder Geist wohnen könne.

Ganz im Sinne Wittgensteins, aber mehr als drei Jahrzehnte vor diesem, schrieb Oscar Wilde den Schwätzern des Fin de Siécle ins fliederfarbene Poesiealbum: „Gesegnet seien jene, die nichts zu sagen haben – und darum den Mund halten.“

Den Schwätzern von heute möchte man Ähnliches empfehlen, auch und vor allem dann, wenn sie uns mit ihrer Betroffenheit betroffen machen wollen. Womit wir bereits mitten im Dummdeutschgefasel angekommen sind. Denn diese vorgetäuschte Betroffenheit ist geborgtes Elend, sie geht einher mit Verantwortungslosigkeit und sie ist mittlerweile kennzeichnend für unsere Republik der Phrasendrescher, die im Oberflächlichen verharrt. Denn hier schwafelt man lieber über Moral statt sie zu praktizieren. Besser wäre es, zu handeln, statt in rhetorischen Übungen zu betonen, dass man seine „Betroffenheit inhaltlich einbringen möchte“, um eine allzu weit verbreitete Redewendung zu zitieren.

Dummdeutsch scheint zudem von einer besonderen Fruchtbarkeit gesegnet zu sein. Denn längst hat sich eine Schwester (oder ist es ein Bruder?) eingestellt, nämlich Denglisch! Dummdeutsch plus Denglisch – das ist eine Atombombe mit Zeitzünder für den Verstand! Bemerkenswerterweise erfährt Denglisch regelmäßig eine Rechtfertigung. Vier vermeintliche Argumente möchte ich hervorheben und kommentieren:

1. In der Zeit der Globalisierung ist es notwendig, unsere Sprache mit Anglizismen (eigentlich sind es überwiegend Amerikanismen) zu durchsetzen.

Glaubt einer im Ernst, dass wir unsere Sprache den Menschen, die kein Deutsch sprechen, verständlicher machen, wenn wir Sätze formulieren wie: "Wir müssen unseren time frame im Auge behalten, damit wir unser target erreichen und nicht die alert line overshooten"? So etwas hat nichts mit einer zusammenwachsenden Welt zu tun, sondern ausschließlich mit jener gedanklichen Einfalt, vor der Wittgenstein warnte. Jemand, dessen Sprache Englisch ist, wird Probleme mit unserem "Pidgin-Deutsch" haben. Denn Wörter wie z.B. handy, mindmap, shoppen, hoppen und toppen sind ihm/ihr nicht geläufig. Denn sie sind keine englischen Wörter.


2. Durch die Einführung der Computer, besonders aber durch das Internet, ist eine "Verenglischung" unserer Sprache notwendig.

Die Tatsachen sprechen dagegen: Unsere Verfassung und sämtliche Gesetze sind in deutscher Sprache verfasst. Deutsch ist Amts- und Verkehrssprache in der Bundesrepublik. Wir haben eine deutsche Literatur, die sich rühmt, in der Tradition von Goethe, Schiller, Fontane oder Thomas Mann zu stehen (mit Auswirkungen auf die gesamte Kultur). Etwas anders verhält es sich mit der Computerfachsprache. Das könnte jedoch an der Eindimensionalität unserer Computerexperten liegen. Denn die Finnen haben 93% der vor allem aus den USA kommenden Computerausdrücke übersetzt, die Franzosen 86 Prozent, die Polen 82 Prozent, die Spanier 80 Prozent, die Deutschen jedoch nur 57 Prozent. Sie werden nur noch von den Dänen unterboten, die es auf 52 Prozent bringen. Und es gehört leider auch zu den nachweisbaren Tatsachen, dass ein nennenswerter Teil der Computerfachleute lediglich über einen beschränkten Wortschatz verfügt - sowohl im Englischen als auch im Deutschen. Das führt immer häufiger dazu, dass technische Beschreibungen (beispielsweise Gebrauchsanleitungen) nicht die notwendige Präzision aufweisen.


3. Die Sprachen haben sich schon immer gewandelt und sich den Veränderungen in der Gesellschaft angepasst.

Dieses Argument trifft zu. Heftig zu kritisieren ist jedoch die drastisch zunehmende Manipulation unserer Sprache durch die Werbung. Es hat gar den Anschein, dass immer mehr Produkte ihre vermeintlichen Alleinstellungsmerkmale aus synthetischen, an das Englische angelehnten Produktnamen ziehen und immer seltener aus dem behaupteten Gebrauchsnutzen. Diese Trends haben Auswirkungen auf die Sprache der Massenmedien, sogar auf Teile des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Und das ist nicht zu tolerieren.


4. Sich für den Erhalt der deutschen Sprache einzusetzen, sei ein "rechtslastiges" Unterfangen.

Die Faschisten hatten und haben weder Deutschland noch die deutsche Sprache gepachtet. Sie benutzten bzw. benutzen diese Sprache, weil sie zufälligerweise hier geboren wurden. Deutsche Nationalisten und Rechtsextremisten fallen sogar dadurch auf, dass sie die deutsche Sprache, die sie als heiliges Gut ausgeben, weder im Wortschatz noch in ihrer Grammatik korrekt beherrschen.
Darum ist es unerlässlich, dass die Brücken zu dem Deutsch von gestern und dem Deutsch von heute nicht abbrechen. Damit alle, die das Deutsch von morgen sprechen, das sicherlich um neue Worte und neue Ausdrücke (zum Teil aus anderen Sprachen) bereichert sein wird, in der Lage sein werden, Texte von Heine oder Schopenhauer, von Schiller, Goethe oder Brecht ohne Einschränkung verstehen können.

Fortsetzung folgt mit Teil 3: Die Phrasendreschmaschine


Info:
Ludwig Wittgenstein
Tractatus logico-philosophicus
Logisch-philosophische Abhandlungen
Zuerst erschienen 1921
Edition Suhrkamp, Band 12