Drucken
Kategorie: Kulturbetrieb

Eine wenig bekannte Episode aus Thomas Manns Deutschlandreise vom Sommer 1949

Konrad Hüther

Erfurt (Weltexpresso) - Thomas Mann, seit 1933 im Exil in den USA, ab 1953 in der Schweiz lebend, besuchte 1949 erstmals nach dem Krieg Deutschland. Er folgte einer Einladung der Goethe-Gesellschaft zum 200. Geburtstag des Dichters in Weimar. Auf der Rückfahrt nach Frankfurt am Main hielt er am Gustav-Freytag-Haus in Gotha-Siebleben an, um den großen deutschen Dichter zu ehren.

 
In Weimar hielt Thomas Mann im Deutschen Nationaltheater eine viel beachtete Festrede. Schon 1932 hatte er zu Goethes 100. Todestag in der Weimarhalle ebenfalls die Festrede gehalten.

Mann wurde am 1. August durch den Weimarer Oberbürgermeister Buchterkirchen die Ehrenbürgerschaft der Stadt Weimar und der Goethe-Preis verliehen. Das Preisgeld stiftete der Literaturnobelpreisträger für den Wiederaufbau der durch Bomben stark zerstörten Herderkirche.

Auf der Rückfahrt nach Frankfurt am Main am 2. August machte er auf eigenen Wunsch am Gustav-Freytag-Haus in Gotha-Siebleben Halt, um den großen deutschen Dichter Gustav Freytag (1816 – 1895) zu ehren. Eine Einladung des Gothaer Oberbürgermeisters Würriehausen zu einem Besuch des Rathauses und von Schloß Friedenstein schlug er hingegen aus.

So kam es am frühen Nachmittag des 2. August vor dem Gustav-Freytag-Haus zur Begrüßung durch den Oberbürgermeister und den Schwiegersohn des Dichters, den Berliner Opernsänger Matzner und seiner Ehefrau Hermance, geborene Strakosch-Freytag. Sie war eine Stieftochter von Gustav Freytag. Die zweite Stieftochter, Mika-Maria Strakosch-Freytag, betrachtete den Empfang in Anwesenheit vieler Einwohner vom Fenster aus. Thomas Mann, der mit seinem Besuch dem Dichterkollegen seine Referenz entbieten wollte, soll vom vollständig erhaltenen Arbeitszimmer Gustav Freytags sehr beeindruckt gewesen sein.

Mit dem Stopp seines Wagens bekannte er sich zur Vorbildwirkung Freytags, ohne den die großen Bildungs- und Erziehungsromane des 20. Jahrhunderts schwer möglich gewesen wären. Während Gustav Freytag in seinem Roman "Soll und Haben" den Aufstieg einer Breslauer Kaufmannsfamilie darstellt, schildert Thomas Mann in seinen "Buddenbrooks" den allmählichen Verfall einer Lübecker Kaufmannsfamilie – beide Autoren jeweils vor dem historischen Hintergrund ihrer Zeit.

Der in Kreuzburg, Schlesien, dem heutigen Kluczbork, geborene Gustav Freytag, dessen 200. Geburtstag wir am 13. 7. 2016 gedachten, war als Dichter, Dramatiker, Historiker und Journalist der meistgelesene deutschsprachige Autor des 19. Jahrhunderts. "Soll und Haben" erreichte in den ersten dreißig Jahren eine Auflage von 46 000, in der Weimarer Republik nochmals von 132 000 Exemplaren. Auch die "Bilder aus der deutschen Vergangenheit" (1859 – 1867), auf denen "Die Ahnen" (1872 – 1880) beruhen, trugen dazu bei, daß bis zum Ablauf der Schutzfrist 2 528 400 Exemplare auf den Markt gekommen sind.

In Siebleben fühlte sich Freytag besonders wohl. Ein langer Weg führte ihn über Breslau, Berlin, Dresden und Leipzig hierher, wo er die Ruhe für die Gestaltung seiner historischen Stoffe fand. Aber Siebleben war zuerst Zufluchtsort, bot ihm politisches Asyl.

Durch seine politisch-kritischen Artikel, etwa über die Niederschlagung des schlesischen Weberaufstandes von 1844, und die zeitweilige Leitung der Zeitschrift "Die Grenzboten", schien er in der Periode der 1848er Revolution die Sicherheit des Preußischen Staates zu bedrohen. Ein Haftbefehl des allmächtigen Berliner Polizeipräsidenten war die Folge. Freytag wußte sich zu helfen und zog sich auf sein 1851 erworbenes Grundstück in Siebleben zurück. Dies hätte ihm aber wenig genutzt, wenn ihn nicht der liberale Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha (1812 – 1893) zum Vorleser und 1854 zum Hofrat ernannt hätte. Er wurde damit gothaischer Staatsbürger.

In einem Brief vom 27. August 1854 an seinen Verleger schreibt er: "Der Herzog kann nicht viel tun. Er steht in Berlin so schwarz wie der Teufel angeschrieben." Freytag mußte entweder Gothaer werden oder sich in Berlin vor Gericht schleppen lassen. Und fährt deshalb fort: "Ich bin nie ein so guter Preuße gewesen als jetzt, wo ich aufhören soll, einer zu sein." Auch der Herzog wußte um die schwierige Situation.

Vor der Verhaftung war Gustav Freytag geschützt, da er die preußischen Staatsgrenzen leicht vermeiden konnte. Doch mußte er sich hüten, über Erfurt nach Leipzig zu reisen. Unter diesen relativ sicheren Bedingungen konnte der Dichter von 1851 bis zu seinem Tod seine großen Werke schaffen.

Sein Wohnsitz war ein geschichtsträchtiger Ort, hatte doch in jenem Landhaus der langjährige gothaische Staatsminister Sylvius Friedrich von Frankenberg (1728 – 1815) gelebt. Goethe hatte bei seinem Amtskollegen mehrfach Station gemacht.

Im persönlichen Leben mußte Gustav Freytag hier mehrere Schicksalsschläge hinnehmen. 1875 starb seine erste Ehefrau, Gräfin Dyhrn. Er heiratete Marie Dietrich, die 1876 den Sohn Gustav gebar. Der zweite Sohn starb 1884 im Alter von vier Jahren, seine Mutter wurde im gleichen Jahr wegen einer unheilbaren Nervenkrankheit in eine Heilanstalt eingeliefert.

Später lernte er die 35 Jahre jüngere Anna, die Ehefrau des Theatermannes Alexander Strakosch, kennen – und warb fünf Jahre um sie. Nach ihrer beider Scheidungen gaben sie sich 1891 in Anwesenheit des Herzogs das Jawort.

Die beiden Stieftöchter, die sich Freytag-Strakosch nannten, brachten die Briefe Freytags an Anna Strakosch heraus. Ihrer Mutter ist es zu danken, daß ihr am 30. April 1895 in Wiesbaden verstorbener Ehemann, der zum Inbegriff des deutschen Liberalismus wurde, auf dem Friedhof von Siebleben - unweit seines Wohnhauses - seine letzte Ruhe fand. Sie wurde 1911 ebenfalls hier beigesetzt.

Die Erinnerung an den Dichter wird durch den Heimatgeschichtsverein Siebleben und die Gustav-Freytag-Gedenkstätte wachgehalten. Im Obergeschoß findet man das nach Fotos nachgestaltete Wohn- und Arbeitszimmer des Dichters, ausgestattet mit Möbeln, Gegenständen und vielen Originaldokumenten aus seinem Privatbesitz.

Fotos:

Info:


Die Gustav-Freytag-Gedenkstätte im Gothaer Ortsteil Siebleben, Weimarer Straße 145, ist an jedem Samstag und Sonntag von 14 bis 17 Uhr geöffnet.

Anmerkung der Redaktion:  Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Thüringer Allgemeinen vom 16. 4. 2011. Der Erfurter Autor Konrad Hüther ist Mitglied der Gerhart-Hauptmann-Gesellschaft, e. V. Berlin und schreibt regelmäßig über diesen Dichter und Schriftsteller sowie andere literarisch und kulturhistorisch relevante Themen im Zusammenhang mit Thüringen und seiner Geschichte. Wir danken ihm für die Genehmigung zur geringfügig bearbeiteten Wiederveröffentlichung dieses Artikels, der unser Mißvergnügen lindert, daß in Weltexpresso zum 200sten Geburtsag von Gustav Freytag am 13. Juli kein Jubiläumsartikel erschienen war.