ART WEEK BERLIN vom 15. bis 18. September

Von Hanswerner Kruse

Berlin (WEltexpresso) - „Please Leave This World“, fordert ein großformatiges Bild in der Ausstellung abstrakter Kunst des Sammlers Thomas Olbricht im ME. Das ist wohl kaum als suizidale Aufforderung gemeint. „Bitte verlasse diese Welt“ ist eher ein Appell, sich auf die Kunst einzulassen.


Das trifft sich gut, denn mit zahllosen neuen Ausstellungen, Messen, Art Events, Performances, Musik- und Filmdarbietungen beginnt als ART WEEK in Berlin der Kunst-Herbst. Die Initiatoren organisierten vorab zur Information für die Presse eine kleine Rundfahrt vom ME über den Hamburger Bahnhof bis zu kleinen versteckten Galerien.


„My Abstract World“ - im ME (Station 1) hängen die abstrakten Kunstwerke des Privatsammlers Olbricht nicht einfach an der Wand. Alte Teppiche der Eltern des Kunstkenners, der als Kind darauf fiktive - also abstrakte - Reisen unternahm, liegen herum. Dazu haben die Kuratoren Kunstbücher und Kataloge gestapelt oder verstreut. Ein Hauch der 1960er-Jahre liegt in der Luft. Unterschiedliche Klänge sind zu hören - die Musik, welche die Künstler beim Malen ihrer Bilder hörten. Diese Schau soll nicht nur betrachtet, sondern „als sinnliches Gesamtkunstwerk“ erlebt werden.


„Mision Mischen 88“ (Station 2) im Kunsthaus KuLe. Nur einige Hundert Meter weiter lebt und arbeitet in einem einst besetzten Haus ein siebzehnköpfiges Künstlerkollektiv, das unkommerzielle Kunst und Musik schafft. Eine andere Welt. Eine Künstlerin erwacht gerade, sie hat sich im Projektraum einen kleinen Käfig gebaut, in dem sie während der ART WEEK leben wird. Sie lebt in ihrer Parallelwelt, will vielleicht darauf aufmerksam machen, dass wir alle unseren Käfig mit uns herumschleppen. Aber man kann auch an eingesperrte oder isolierte Menschen denken, an Flüchtlinge, an Alte, an Behinderte. Neben der lebenden Installation steht eine weitere Performerin mit einem Brett vor dem Kopf. Die Gruppe hat auch den Deutschen Genozid in Namibia zu Beginn des 20. Jahrhunderts erforscht und in Aktionen vermittelt. Darauf verweist eine riesige Bilderplane über dem Eingang.


Am legendären, jetzt völlig geräumten und zum Teil abgerissenen Kunsthaus „Tacheles“ und zahlreichen morgens früh noch geschlossenen Galerien geht es weiter zu Fuß durch Mitte. Im n.b.k. (Station 3) hat der aktuelle Liebling der Berliner Kunstszene, Halil Altindere, seine Installationen „Space Refugee“ aufgebaut. Die Show erinnert zunächst an eine Weltraum-Disco oder an David Bowies Video zu „Mayor Tom“. Doch Altindere verweist auf den einzigen Araber, der je im Weltraum war und jetzt in Istanbul als Flüchtling lebt. Gleichzeit zeigt er sarkastisch mit zahlreichen Modellen und Filmen, wie schön das Flüchtlingsleben doch im Weltraum wäre: Schickt sie alle auf den Mars und lasst sie dort in Frieden leben!


Dann geht’s im klimatisierten Bus zum Hamburger Bahnhof (Station 4), in der die letztjährige Preisträgerin der Nationalgalerie, Anne Imhof, ihr Gesamtkunstwerk „Angst II“ vorbereiten lässt. Sie selbst ist nicht da und die Kuratoren dürfen erzählen, was am nächsten Tag mit zwanzig Performerinnen und Tänzerinnen, einer Seiltänzerin und zahlreichen Vogeltieren in lebenden Bildern passieren wird. Die teils festgelegten, teils improvisierten Aktionen werden an neun Abenden von 20 bis 24 Uhr dargeboten werden. Im Moment ist das leider alles noch Konzeptkunst - aber wir werden darüber berichten.


Die große aber etwas abgelegene Stiftung Berlinische Galerie (Station 5) wartet mit mehreren Ausstellungen auf. Zunächst wird in der Pressekonferenz der Preisträger der Berliner Gaswerke GASAG vorgestellt: „Wir sind nicht über die Gasrechnung verbunden, sondern über den alljährlich verliehenen Kunstpreis“, erklärt launisch ein Sprecher. „Wir fördern Kunstprojekte, die Kunst und Wissenschaft (wieder) miteinander verbinden wollen.“ Neben 5000fach vergrößerten Mikroalgen, die er durch Vornamen individualisierte, zeigt der Preisträger Andreas Greiner auf einem Bild Masthuhn „Heinrich“, das er in einem Hühner-KZ klaute. Es wohnt jetzt als lebende, geliebte und mahnende Skulptur auf einem Kinderbauernhof.


Parallel zur Ausstellung des Preisträgers wird die alte Installation, „The Art Show“, von Edward und Nancy Kienholz aus der Sammlung des Hauses gezeigt. Über ein Dutzend lebensgroße, aber künstliche Besucher stehen oder sitzen in einer Halle herum, betrachten Kienholz-Artefakte an den Wänden und schwafeln auf Knopfdruck über Kunst. Diese Arbeit des Bildhauerpaares aus den 1970er-Jahren ist das eindringlichste und humorvollste Kunstwerk der gesamten Tour. Und hochaktuell!


Nach dem hervorragenden Mittagessen im Café Dix geht es weiter zum HAU-Theater 2 (Station 6) in Kreuzberg, vor dem der schon erwähnte Altindere das riesige Foto eines Flugzeugs zeigt, auf dem Flüchtlinge sitzen. Aus verschiedenen Gründen konnte das Projekt „Köfte Airlines“ in Berlin nicht mit einem echten Flieger im öffentlichen Raum realisiert werden. Die Bühne will ausdrücklich auch Bildende Künstler, Musiker, Filmemacher in ihre Arbeit einbinden.
Völlig nebulös blieb leider die Idee der „Zwitschermaschine“ in einem nicht-kommerziellen Projektraum auf der einstigen Sex-Meile Potsdamer Stra

ße (Station 7). Was die tschechische Künstlerin mit „Virtuelle Höhle und Goldener Käfig“ meint, wird erst bei der Präsentation am Sonntag zum Schluss der ART WEEK deutlich werden. Jedoch die letzte Station 8 in der Schering Stiftung, eine Wunderkammer, ist ein herrlicher Ausklang der Rundfahrt. In dem dunklen Raum präsentiert Künstlerin Yvonne Roeb von ihr geschaffene, geheimnisvolle Wesen aus unterschiedlichen Materialien.


Die Veranstalter der gut siebenstündigen Presserundfahrt boten nur einige Spotlights auf die Vielfalt der Berliner ART WEEK. Dabei überraschte vor allem die Unterschiedlichkeit - die hier in Berlin Diversität heißt - der angebotenen Ausstellungen und Themen in edlen Sammlertempeln, anspruchsvollen Museen und alternativen Projekträumen. Und es war überhaupt nicht hektisch! Im Laufe der Woche wird es noch zahlreiche Presseführungen über die Kunstmessen geben, die große Pina-Bausch-Ausstellung wird eröffnet und zahllose Aktionen, Performances und Musikdarbietungen werden den Kunstbegriff mal wieder ein bisschen erweitern.

Fotos: (c) hwk

 

Info:

www.berlinartweek.de