Alexander Eisenach inszeniert „Der kalte Hauch des Geldes“ in Frankfurt, Teil 2/2

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Doch es droht Ungemach. Bald wird der Schienenstrang auch El Plata erreicht haben. Mit der Eisenbahn werden weitere Menschen kommen, vielleicht sogar sehr viele. Und dann gelten die Gesetze der Vereinigten Staaten auch hier.

Doch diese Gesetze werden nach Einschätzung des Sheriffs dafür sorgen, dass Förderung und Handel des Golds reibungslos funktionieren. Und er konstatiert: „Und wenn die Menschen es weiterhin als eine Priorität erachten, ihr hart verdientes Geld beim Poker zu verspielen und sich dabei zu betrinken, so verstehe ich mich auch diesbezüglich als einen Hüter des freien Willens ... Denn es gehört zu den Grundsätzen dieses Landes, dass ein jeder mit seinem hart verdienten Geld anstellen darf, was er will. Und wenn er sich damit ins Unglück stürzt, so ist das der Preis der Freiheit.“

Das findet Baxters Beifall: „Ich trinke auf Sheriff Logan! Hüter der Freiheit.“

Uns so sinniert das Trio darüber, was nach der gesetzlichen Einschränkung des Glücksspiels, gar nach dessen Verbot, an seine Stelle treten könnte, am besten ein neues Glücksspiel. Denn wem laut Baxter „die Mittel zur Verfügung stehen, die eigenen Chancen richtig zu berechnen und außerdem das Kapital, die Wahrscheinlichkeiten auch durchzuspielen und Verluste auszuhalten, der kann gewinnen und wird immer gewinnen“.

Und zu Sam, seinem Fachmann für Glücksspiel sagt er:

„Das Glücksspiel ist eine Steuer auf Ahnungslosigkeit. Und wenn Dir irgendein Goldmagnat wie ich Deine Mine abschwatzt und Dir dafür eine fette Rendite verspricht, dann ist das auch eine Steuer auf Ahnungslosigkeit. Und wenn Du an das schnelle Geld aus todsicheren Investitionen glaubst, dann ist das auch eine Steuer auf Ahnungslosigkeit. Und wenn irgendjemand in dieser Stadt glaubt, er könne hier mitspielen und sein Gold in meiner Unternehmung gewinnbringend investieren, wenn sich jemand Zinsen, eine Vorsorge für sein Alter oder seine Kinder erhofft, dann sollte er lieber schnell alles, was er hat, unter seine Matratze stopfen, denn alles was in meine Hände gerät, ist nichts als eine Steuer auf die Ahnungslosigkeit.“

So wird bereits durch die ersten Dialoge klar, um was es geht. Denn die vermeintliche Romantik des Westens und des Westerns ist lediglich die gefühlvolle Melodie, nach der sich der Kapitalismus unbarmherzig entwickelt.

Durch die Ankunft eines Fremden, der sich Nomoney nennt (Sina Martens), gerät die geglaubte Zuversichtlichkeit ins Wanken. Als Sheriff Logan äußert, man sei hier der Zukunft verpflichtet, entgegnet Nomoney: „Welche Zukunft? Sie verwechseln Zukunft mit einer Vergangenheit, die Sie quantifizieren und dann auf das Morgen übertragen. Das ist keine Zukunft. Das ist eine Totgeburt.“ Doch der Fremde erzählt von der Great Western Mining Company, die mit Hilfe chinesischer Lohnsklaven Stollen sprengen lässt, um Zinn und Kupfer zu fördern.

Sam, der Glücksspieler ist verunsichert. „Und das soll die Moderne sein? Das ist die Zukunft, der wir uns unterwerfen sollen? Es muss doch um die Erweckung einer neuen Zukunft gehen. Einer Zukunft, die den menschlichen Fortschritt nicht nur an die Entwicklung des Kapitals und an die Steigerung der Profitrate koppelt. Einer Zukunft die ihre Vergangenheit nicht lediglich als die Berechnungsgrundlage zukünftiger Reichtümer betrachtet, sondern als ein Reservoir gesellschaftspolitischer Ideen.“

Spätestens jetzt kommen die kurzweiligen und spannenden Dialoge einer Vorlesung zur Politischen Ökonomie sehr nahe.

„Sagen wir“, äußert Baxter, „wir verkaufen unser Gold für 1000 Dollar die Unze. Heute. Gleichzeitig bieten wir eine Option an, dass die Unze nächste Woche 1100 Dollar oder 900 Dollar kostet. Und diese Option bieten wir ebenfalls zum Verkauf an. Es ist wie eine elaborierte Form des Glücksspiels. Es ist eine Wette auf die Zukunft.“

Man hat das Genre des Westerns bereits sprachlich verlassen, hält aber an seiner Kulisse fest, selbst wenn man immer mal wieder auf diese Grenzüberschreitungen hinweist („Derivathandel? Das hier ist ein Western!“). Das erscheint dramaturgisch gewagt und es birgt die Gefahr, den Zuschauer und Zuhörer mit kapitalismuskritischen Abstraktionen zu überfordern. Den Derivathandel in Handlungen und knappe Dialoge umzusetzen wäre eine Alternative gewesen. Aber offensichtlich möchte Alexander Eisenach sein Publikum mit der Quintessenz des Kapitalismus konfrontieren und dazu bedarf es der Theorie. Das ist legitim und man hat im Frankfurter Schauspiel lange kein so politisches Stück mehr gesehen.

Doch noch einmal taucht man in den Western ein, denn der Saloon-Musiker und örtliche Zahnarzt (Bernhard Karakoulakis) wird von Baxter und Logan ermordet; der Mord soll dem Fremden angehangen werden. Doch Marisol liefert dem ein Alibi. Und allmählich lässt sich das Geheimnis des Fremden lüften, der eigentlich eine Frau ist, eine Frau, die durch Baxter ihre Familie verloren hat. Weil er sie aus Habgier ermordete. Nomoney erweist sich als Rächerin, die nicht länger untätig der Entwicklung der Dinge zusehen, sondern selbst eingreifen, die selbst etwas verändern will.

Nach Westernart kommt es dann zu einer Schießerei. Aber die löst die Probleme nicht. Der sich nach einer Pause anschließende zweite Teil spielt im Wald einer eiskalten Landschaft, die eine Endzeitstimmung vermittelt, in der die Protagonisten eine Erklärung suchen.

Angesichts des historischen Abschnitts, der in den USA nach der Western-Epoche folgte, hätte ich mir einen anderen Ausklang gewünscht. Immerhin zählte um die Wende vom 19. auf das 20. Jahrhundert die Sozialistische Partei dort zu den größten in der Welt. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde sie kaltgestellt, indem man ihre Führungspersönlichkeiten korrumpierte. Seither spielt sie keine nennenswerte Rolle mehr. Ebenso wie die Gewerkschaften, die von mafiösen Verstrickungen durchsetzt sind. Dwight D. Eisenhower, der Held des Zweiten Weltkriegs und ab 1952 für acht Jahre Präsident, hat vor dem militärisch-industriellen Komplex gewarnt. Doch einer seiner Nachfolger, der Demokrat Clinton, berief Mächtige aus der Wallstreet in sein Kabinett.

Am Ende räsoniert Marisol: „Und der Schnee fällt leise auf die Trümmer einer Zeit, deren Ende gekommen ist.“

Aber dieses Ende wird man weder mit dem Colt herbeischießen noch mit den Phrasen des gewählten Donald Trump herbeireden können. Der Kapitalismus bedarf der Demokratie und die USA bedürfen ihrer erst recht. Das jedenfalls könnte der Zuschauer, der genau hingesehen, zugehört und alles verstanden hat, meinen. Die Schauspieler machen ihm durch ihre in jeder Szene überzeugende Darstellung, die von großer Spielfreude geprägt ist, dieses Verstehen trotz der komplexen Theorie möglich.



Foto: (c) Birgit Hupfeld

Info:

Der kalte Hauch des Geldes
von Alexander Eisenach
Regie: Alexander Eisenach, Bühne: Daniel Wollenzin, Kostüme: Julia Wassner, Video und Live-Kamera: Oliver Rossol, Komposition und Live-Musik: Bernhard Karakoulakis, Dramaturgie: Henrieke Beuthner.
Mit: Sina Martens, Verena Bukal, Christian Kuchenbuch, Christoph Pütthoff, Lukas Rüppel.
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, eine Pause

Die nächsten Vorstellungen:
11. Dezember, 23. Dezember, 31. Dezember, 7. Januar 2017, 8. Januar 2017, 25. Januar 2017, 26. Januar 2017.