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Kategorie: Kulturbetrieb

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Der 27 Januar ist nicht nur der Gedenktag anlässlich der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz von der nationalsozialistischen Vernichtungsindustrie durch die Rote Armee. Er ist auch immer wieder Anlass, sich an die Tatsache zu erinnern, dass nach der Befreiung das Grauen für die ehemaligen KZ-Insassen nicht aufhört.

Es ist auch für die mittelbar Betroffenen und Berührten nicht abgeschlossen, denn es bleibt als Stachel im Bewusstsein aller, die mitzuempfinden gelernt haben, die zur Jugendzeit über das Verbrechen gegen die eigene Menschheit informiert wurden bzw. sich selbst informiert haben.

 

Seit Auschwitz entwurzelt“

Die Frage, ‚was mit uns Menschen nach Auschwitz wurde‘, ist in dem Theaterstück „Ich lebe noch“, einem Theaterstück über die KZ-Überlebende Hanna Mandel, das auf einem Buch mit ihren Lebenserinnerungen („Im Gehen entsteht der Weg“, 2008) aufbaut, zum Anlass genommen worden, die gänzliche Unmöglichkeit einer wieder zu erlangenden Normalität nach dem welt- und individualgeschichtlichen Grauen zu dokumentieren, wieder zu verdeutlichen. Zumal immer klar bleibt: ‚Gewalt ist noch da‘. Das wissen die Betroffenen und Berührten, sie spüren das.

Das Stück, das der DGB im Gewerkschaftshaus Frankfurt am Main zur Aufführung brachte, ist ein Zweipersonenstück mit Sarah Giese, die die ‚Rahmenpersonen‘ spielt und Judith Suermann, der Spielerin der Hanna.

 

Beständige Wiederkehr der Vergangenheit

Die Rückerinnerungen ans Erlebte bringen einen Vulkan der tausend Regungen auf der Bühne zum Brodeln. Man kann sie mit den Flashbacks in Beziehung setzen. Die Schauspielerinnen zünden einen Cocktail der Vermittlungen und arbeiten diesen über anderthalb Stunden in herausgeschleuderten Exklamationen ab. Sie wechseln die Personen (Vater, Tochter, Mutter, Schwester) unvermittelt, machen Sprünge, wechseln die Perspektive, Zeit und Ort, es wird klar, dass nichts aber auch gar nichts schlussendlich aufgearbeitet werden kann, weder von ihnen jetzt, noch von denen damals, indem sie diese aufs Theater bringen.

Das überfordert das Publikum zuweilen, entspricht aber dem, was in der Tortur des Grauens beschlossen liegt und niemals endet. Das Leben bekommt etwas beständig Gehetztes. Das einzige, das bleibt, ist das angewachsene Aufbäumen gegen die Gefahren der Wiederholung (‚bin quer durch Deutschland unterwegs‘). So kam Hanna auch zu einem Leben in Autonomie, das auch von Ablösungen von der Tradition der Familie begleitet war. Es heißt nachher in der Nachbesprechung, sie würde heute auch gegen Trump demonstrieren. Sie habe noch in hohem Alter Plakate hergestellt.

Das Gebrochene und Bruchstückhafte der knappen Feststellungen zu einem Leben, die schnell herunter deklamiert werden, bezeichnet das, das was vom Tag (der Aufführung) am meisten bleibt, wo doch sonst kaum etwas verständlich wird, weil es der Unbegreiflichkeit des monströsen Verbrechens unterliegt. Wie geht eine Überlebende damit um, wenn sie weiß, dass sie die einzige ist, die von der näheren Familie überlebt hat, während von der größeren Familie (von 113) nur fünf zurückgekommen sind?

Theatersprachlich vermittelte Schockbilder sind Verkürzungen, ermöglichen aber in Grenzen, wenn auch schmerzlich, sich an einzelnen Erlebensknoten selbst zu verständigen, damit etwas Entlastung zu erfahren: ‚Unsere Deportation‘, ‚letzte Nacht zu Hause vor der Deportation‘, ‚warten‘, ‚sitzt 2 Stunden‘, ‚als einzige zurückgekehrt‘ – denn: sie konnte als Siebzehnjährige durch Arbeit in den VW-Werken ausgebeutet werden. - Oder: ‚Kind kommt in Baracke zur Welt‘: ‚Gib das Kind her!‘ - ‚packt es und reißt es und zerschlägt es am Barackenbalken‘. Das Hin- und Her der sprudelnden Ansprachen erinnert an da und dort aufbrechende Springbrunnen einer Rede, wobei der Rhythmus entscheidend ist.

 

Das Leben in der ‚Verdrehung‘

Verdrehung ist ein zuständiges Wort für die Unmöglichkeit einer Letztaufarbeitung: ‚Mich weggegeben‘, ‚konnte die Selektion mit Dir [im Zwiegespräch mit Vater] nicht durchstehen‘, ‚daher nicht nach links geraten‘. - ‚Weißt Du, wer Dein Vater war?‘ muss so direkt gestellt zur irritierenden Frage werden. Was kann es nützen, zu hören: ‚Fange an zu leben‘, wenn Beziehungen nicht mehr in normalen Bahnen funktionieren, nach den Erfahrungen mit Schlägern und Vergewaltigern. Im schönen Bayern wird später das Verteilen von Informationen amtlicherseits unterbunden, verboten (‚alles nur Panikmache‘).

Primo Levi konnte nicht weiterleben, hat sich umgebracht, hat den ‚Zivilisationsbruch‘ nicht verkraftet.

In postnationalsozialistischen Zeiten hört das Grauen nicht auf (übrigens: kriecht es in diesen Zeiten nicht wieder herauf aus Löchern?). ‚Erinnere dich‘, - ja, aber nicht ohne Wut, Trauer und Vergeltungsvorstellung wie damals direkt nach der Befreiung (‚Rache für die jüngste Schwester‘, ‚bringe deutsche Kinder um‘). 6 jüngere Schwestern wurden umgehend hingemordet, mit einer, ebenfalls jüngeren, hatte sie noch kurz vor deren Ermordung Kontakt. Hanna war die einzige Überlebende.

Der Seelencocktail - die Bewusstseinssplitter, die nur andeuten können, werden im Stakkato schnell über die Bühne hin und her gejagt, schauspielerisch intensiv gelebt. In der Nachbesprechung sah man den beiden Schauspielerinnen an, dass sie sich zugunsten ihres ‚Gegenstands‘ – wie könnte es anders sein – ausgelebt hatten und noch einiges nachliefern wollten. Ein Verbindendes lieferte die sorgfältig life eingespielte musikalische Unterstreichung durch Heiko Ostendorf, der auch für den Kontakt zur Verfügung steht.

Epilog: ‚Edith [Schwester] in Gefahr wegen Gaskammer‘, ‘habe gelernt, zu verlieren‘ - ‚SS-Frau mit Peitsche‘, ‚eine Frau kann nicht aufstehen‘ - auf SS-Schulter Katze kauernd, ‚SS-Frau schlägt ein‘, ‚linke Hand Katze streichelt, während andere draufschlägt‘; seither ‚weder Hund noch Katze mögen‘.

Hanna Mandel ist 1927 in Rumänien geboren, wuchs in Ungarn auf und ist 2003 gestorben.

Von der Familie heißt es in einer Rezession der Süddeutschen Zeitung: „Sie kamen aus dem kleinen, nahe der russischen Grenze liegenden, Ort Vásárosnamény, in dem etwa 200 jüdische Familien lebten“. (SZ, 24.11.2008) Von dort wurde die Familie nach Auschwitz-Birkenau verschleppt. „Der Münchener Theologe Norbert Reck ließ sich von Hanna Mandel die Geschichte/n ihres Lebens erzählen“. (buecher.de Produktbeschreibung)

Foto: theater odos © theater odos

Info:

Ich lebe doch noch!‘, Theaterstück über die KZ-Überlebende Hanna Mandel, theater-odos, Heiko Ostendorf; es spielten: Sarah Giese, Judith Suermann; Aufführung am 27.01.2017 im Frankfurter Gewerkschaftshaus, Wilhelm-Leuschner Str. 69-77

Hanna Mandel, Beim Gehen entsteht der Weg, Gespräche über das Leben vor und nach Auschwitz, Argument Verlag mit Ariadne Literaturbibliothek, 2008 ISBN-13: 9783886194841