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Kategorie: Kulturbetrieb

Boy Gobert in Berlin

Helmut Marrat

Hambiurg (Weltexpresso) - Vor mir liegt ein Stapel von Programmheften, die ich immer noch aufgehoben habe.


Sie stammen alle aus den Achtziger Jahren. Und etwas angestaubt wirken sie, interessanterweise, nicht ihrer Aufmachung nach, sondern wegen der Rückseite. Entweder eine ganzseitige Zigarettenreklame findet sich dort, oder es werden Firmen beworben, die lange schon vom Berliner Markt verschwunden sind.


Während der Druck bei Hentrich in Berlin erfolgte, sorgte für die Werbung die Hamburger Agentur Carini. Die kennt man aus dem Kino. Die hatte ihren Sitz in der Straße Steindamm, eine in der Hansestadt bekannte Straße, auch, oder auch, weil sich hier ein schwer zu bändigender Straßenstrich findet, aber immer noch, zum Glück, das sehr geschätzte Varieté Hansa Theater.


Boy Gobert war ja Hamburger, ging dann, nach einigen Anlaufschwierigkeiten, nach Wien, und machte dort Karriere. Er wurde Burgschauspieler, und dies Theater genießt auch in Hamburg einen hohen Ruf. Gobert wurde in Wien verehrt. Wie auch, auf geradezu unheimliche Weise, in seiner Vaterstadt. Und wie dann nicht, oder kaum in Berlin. Er fand einfach nicht den richtigen Ton für die große Stadt, die sie auch als Westberlin immer noch war. Denn dieser westliche Teil machte schließlich das aus, was wir, im Westen, für das Ganze nahmen.


Zwar gab es schon damals manche, die die Theater in Ostberlin besuchten, aber diese Besuche hatten auch stets eine Spur Exotik, waren Ausnahmen, und beim alljährlichen Westberliner Theatertreffen im Mai blieb man ohnehin unter sich.


Der Berliner neigt, in der Regel, zu einem forschen, flotten, auch gerne vorlauten Ton. Gobert nun gab sich bisweilen, eher unhanseatisch, flapsig, mit hin und wieder ungeschickten Interviews zudem. So fanden die beiden, der Berliner und der Hamburger nicht zueinander. Seine laute Klage etwa, das Schillertheater trage zu schwer am Übergewicht von alten Schauspielern, verärgerte besonders Carl Raddatz, wie man hörte, einen vorzüglichen Darsteller, aber neben Martin Held, Bernhard Minetti, Erich Schellow und Horst Bollmann in einem Ensemble eben einer von fünf Großen, und Gobert nun, der in Hamburg noch für seine Geschicklichkeit bei der Spielplangestaltung bekannt war, kam nun hier mit dem größeren Ensemble der Staatlichen Schauspielbühnen nicht mehr zurecht, musste sogar häufiger auf Gäste zurückgreifen, während die Stammbelegschaft unterbeschäftigt blieb.

Dabei wurde viel gespielt. Die Staatlichen Bühnen litten immer an ihrer zu großen Verzweigtheit, denn das SchillerTheater hatte zwar die sogenannte Werkstatt gleich nebenan, aber das zweite Haus, das Schloßpark-Theater lag, genau übrigens wie die Probenräume, im entfernten Steglitz, und eine solche Verteilung führt manchmal, aber hier bestimmt, zu einer Überdehnung. Zumal die erfolgreicheren Aufführungen  in Steglitz gespielt wurden, und einmal etwa bei „Einmal Moskau und zurück“ mit Martin Held, verlegte man die ständig überverkaufte Aufführung ins sehr viel größere Haus. Das war dann zwar schon bei Goberts Nachfolger Heribert Sasse, der mit den Bedingungen des Schillertheaters noch schlechter zurande kam, aber machte die Probleme deutlich. Eine wirklich schöne Aufführung war das allerdings tatsächlich, in der ein alter Zausel auf drei heiratswütige Damen trifft, die Berta Drews, Antje Weißgerber und Gudrun Genest gaben; und sie tat sich, als Kammerspiel angelegt, schwer auf der großen Bühne. Auch deswegen schwer, weil die Schauspieler von diesem Umzug nichts gehalten haben sollen.

Im Schillertheater spielten sie zum Beispiel „Othello“, und in dieser verunglückten Arbeit des Regisseurs Hans Gratzer konnte man all die Probleme erkennen, unter der das riesige Haus zunehmend litt. Viel zu selten engagierte man Regisseure, die die große Bühne erobern konnten.


Das ist offenbar schwerer, als man annehmen mag. Den Othello sollte eigentlich Hilmar Thate spielen, doch da der wegen einer Filmarbeit absagen musste, sprang Peter Roggisch von der Freien Volksbühne ein, was aber nicht so einfach möglich ist, wie im Opernbetrieb. Sänger beherrschen, in aller Regel, zahlreiche Gesangspartien und können notfalls an anderen Häusern einspringen. Schauspieler hingegen beherrschen zwar ihr Handwerk, aber selten Rollen an und für sich. Den Othello etwa erarbeitet sich ein Schauspieler in aller Regel mit einem Regisseur neu. Und wächst dabei in diese Rolle hinein. Auch natürlich im Zusammenspiel mit den jeweiligen Partnern. Den Jago hatte Gobert übernommen. Der ohnedies in Gefahr war, sich seinem jeweiligen Spielpartner zu entwinden, wobei Gobert regelmäßig den Kontakt zum Publikum suchte. So spielte er auch an diesem Abend, wie ein Entertainer, fast ständig nach vorne gewandt, und viel zu selten zu seinen Kollegen.


Der Jago ist ja ein Intrigant, der den heißblütigeren Othello, einen Mohren, ausdauernd vor sich hertreibt, aus Kränkung und Argwohn, woraufhin dieser Othello schließlich seine Braut Desdemona in rasender Eifersucht, erwürgt. Als der die Intrige schließlich entdeckt, ersticht er sich, während Jago vom neuen Herrscher immerhin angeklagt wird.


Gobert schien immer wieder im Publikum um Verständnis zu werben dafür, dass er so gemein sein müsse, und ich erinnere mich an zweierlei: Erstens an einen tumben Othello, der einem, wie die Desdemona (Sona MacDonald) vollkommen gleichgültig blieb, und an einen Jago, der viel zu oft an der Rampe entlang tänzelte, und selbst dort, wo er gerissen erscheinen wollte, zu oft ins dümmlich Ordinäre abglitt. Konträr spielte Boy Gobert dagegen den Salieri, in Peter Shaffers „Amadeus.“ Hier, einem seiner großen Erfolge, fand er mühelos zu eleganter Leichtigkeit

Das Schillertheater ächzte unter einem mächtigen Mitbewerber, der Schaubühne am Hallischen Ufer. Auch dort sah ich zahlreiche Aufführungen, und, nochmals zurückkommend auf die Programmhefte, so zeigen sie auch heute noch einen himmelweiten Unterschied. Die Programmhefte der Schaubühne glichen wissenschaftlichen Ausarbeitungen, die Programmhefte der Staatsbühnen gingen über den bekannt-üblichen Rahmen nicht hinaus. Dabei waren die 'Staatlichen Schauspieler' oft vorzügliche Darsteller, wobei sich aus den Alteingesessenen und den mit Gobert zugereisten, neuen Künstlern nicht recht ein zueinander findendes Ensemble ergab, ein Umstand, den wenige Jahre später übrigens Claus Peymann in Wien erleben durfte, aber das wesentliche Problem waren die zornigen Kritiken, vor allem des schwierigen Friedrich Luft. Der via Radio und Springer so etwas wie ein 'König der Kritik' in Berlin geblieben war und der, wie es hieß, von der Wahl Goberts für das bedeutende Schillertheater nichts hielt und somit an kaum einer Inszenierung ein gutes Haar ließ.

Dabei hatte Luft wie die anderen Kollegen grundsätzlich recht, wenn sie unzufrieden blieben, da die, wie gesagt, hervorragenden Schauspieler so oft unter ihren Möglichkeiten blieben. Aber manchmal hatte ich schon den Eindruck, dass die Kritiker generell ablehnend blieben, etwa bei „Amadeus“, was vielen der Zunft als zu leichtfüßig für ein solch wesentliches Haus erschien, als der Gipfel der Boulevardisierung sozusagen, denn, wie schon erwähnt, der „Amadeus“ wurde zahlreich besucht, und ganz übel war die Aufführung auch wirklich nicht.   

Sechzehn Hefte finde ich, und an eine ganze Menge der Aufführungen kann ich mich immer noch erinnern, was ja zumindest dafür spricht, dass sie nicht vollkommen überflüssig gewesen sein können.

Auch wenn ich zugeben muss, dass die Arbeiten der Konkurrenz in Kreuzberg geschlossener, kraftvoller waren, erlebte man gutes, manchmal sogar prägendes Theater. Sicherlich hätte es dem Haus gutgetan, wenn es, dem Gerücht nach, Frau von Weizsäcker nicht eingefallen wäre, der Berliner Kulturpolitik von einem neuen Stern am Theaterhimmel vorzuschwärmen, der am nahen Renaissancetheater tätig und erfolgreich agierte. Aber es ist, wie gesagt, ein Gerücht nur, doch tatsächlich stellte man Gobert vorzeitig den Stuhl vor die Tür und engagierte Heribert Sasse ans Schillertheater, wodurch der Abstieg des Hauses sich nicht mehr aufhielten ließ.

Zum Ende spielte Boy Gobert übrigens den Wallenstein. Den habe ich leider nicht gesehen, aus Zeitmangel vermutlich, oder auch, weil ich mir sagte, es sei nicht interessant genug, denn was hätte Boy Gobert denn hier zeigen wollen, und außerdem stand ja schon fest, dass er mit Wien bereits handelseinig geworden war, er also meine bekundete Solidarität nicht mehr nötig hatte, kurz, Grund genug, diese Aufführung zu überspringen. Es war sicher falsch, aber wer hätte denn ahnen können, dass jener Mann ein knappes Jahr später schon tot sein würde?

Auf dem großformatigen Rückschauheft findet sich ein Holzpferd, dass von böser Hand zerstückelt wurde, was sich vermutlich auf das Stück, aber vielleicht ebenso auf den bereits entthronten Intendanten bezog, und im Heft ein altes Werbeplakat, das einen Rennfahrer zeigt, auf der Strecke Berlin-Wien. Oben steht Boy Gobert, mit dem Versuch, spitzbübischer dreinzublicken, als es ihm wahrscheinlich entsprach.
„Fünf Jahre können keine Ära sein“ überschrieb er seinen Abschied. - Und doch waren sie eine!

Foto: Boy Gobert (c) dw.com