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Kategorie: Kulturbetrieb

"CALL ME GOD" – AUFTRAGSWERK der ELBPHILHARMINIE, Hamburg, 8. - 10.3.2017, Teil 2/3

Helmut Marrat

Weltexpresso. (Hamburg) - John Malkovich spielt die Anmaßung jedenfalls hervorragend, und das Stück lehrt, dass jedoch auch er der Vergänglichkeit nicht entfliehen kann. Auch Erdogan wird irgendwann nicht mehr der machtvolle Politiker sein, der er gegenwärtig ist. Keine Frage.

Ebenso natürlich ist es keine Frage, dass dieses Stück und diese Aufführung keine Anti-Erdogan-Inszenierung darstellen; jeder Diktator der Geschichte, Gegenwart, Zukunft kann gemeint sein; das Prinzip bleibt sich gleich, und dieses Prinzip aufzuzeigen, ist ein wesentlicher Bestandteil dieses Stückes. Und bei allem: Vielleicht besteht sogar ein Zusammenhang zwischen der Größe und Dringlichkeit solch diktatorischer Anmaßung, für Gott zu gelten und damit nicht nur unbegrenzt mächtig zu sein, sondern vor allem unverletzbar. Dabei spielt es keine Rolle, ob jemand ein Diktator im Privaten ist, gleich ob Mann oder Frau, ob er als wirtschaftlicher Unternehmer, als Intendant und Chef oder als Politiker in Erscheinung tritt – und ob er Nero (37 - 68) heißt oder Stalin (1878 - 1953) oder Pol Pot (1925 - 1998), Mao Tse-tung (1893 - 1976), Ayatollah Khomeini (1902 - 1989) oder, um auch ein Beispiel aus der Literatur hinzuzufügen, Macbeth (entstanden 1606). Denn eines haben sie alle gemeinsam: Die Diktatoren bleiben lange, fast sprichwörtlich, im Gedächtnis.

Sie herrschen blutig. Immer aber wieder wird es eine genügend große Zahlen von Menschen geben, die eine solche Herrschaft überhaupt ermöglichen und, zeitweilig, dulden. Vielleicht gibt es auf Seiten der Beherrschten neben der Freiheit, die ja auch durch die Bequemlichkeit erzeugt wird, zu gehorchen, statt immer für sein eigenes Leben selbst verantwortlich sein zu müssen, noch einen anderen Gewinn bei diesem Handel, nämlich die Begegnung mit Gott. Dann wäre es wiederum kaum noch eine Anmaßung, wenn der Diktator, - auch Franco (1892 - 1975), Hitler (1889 - 1945), Lenin (1870 - 1924), an den John Malkovich erinnert, sobald er die schwarze Perücke abgesetzt hat, können hier ja aufgezählt werden -, forderte oder, noch besser, duldete, als "Gott" angeredet zu werden; jedenfalls keine Anmaßung gegenüber den Untergebenen; eine Anmaßung ja allenfalls gegen Gott; was zeigen kann, dass eine Anmaßung immer nur ein Vergehen gegen eine übergeordnete Instanz bedeutet – und letztlich auch immer nur von einer jeweils übergeordneten Instanz geahndet wird. 

Die Szenerie ist sofort besorgniserregend: Soldaten in Tarnanzügen, die in der Art ihres Auftretens und sicherlich auch wegen ihrer englisch-amerikanischen Sprache an US-Soldaten erinnern, dringen in ein Fernsehstudio oder in einen für Fernsehübertragungen eingerichteten Raum eines Regierungspalastes ein, mit Waffengewalt. Man denkt ans Bataclan von Paris, das am 13.11.2015 Opfer eines islamistischen (und antisemitischen) Anschlags wurde. Die Ränge werden besetzt, die ganze Elbphilharmonie dient hier als  Spielraum. Sie bewährt sich auch hier in dieser Beziehung durch ihre antikischen Anlageform. Ja: Man erlebt gleichsam ein aktuelles Schauspiel in einem antiken Theater. Auch das kann die neue Elbphilharmonie leisten! 

Die Szene erfährt ihre größte Brutalität, als der Diktator als Putzfrau verkleidet und einen Putzgerätewagen (wie einen Supermarkt-Einkaufswagen) vor sich herschiebend, alle uniformierten Soldaten und auch die junge Journalistin abknallt. Das Hauptwesen eines Diktators ist es ja, über das Leben anderer Menschen herrschen zu können. John Malkovich wirkt wie ein intelligenter Menschenaffe, durch seine dunkle, langhaarige Perrücke, durch seine Bewegungen, durch die Art seines intensiven Sprechens. Aber es gibt einen Menschen dieser Eindringlinge, den er nicht erschießt: einen Musiker.  Den an der Orgel sitzenden Reverend Lee Dunklewood, einen Feldkaplan, gespielt von Martin Haselböck (*1954), der für das musikalische Konzept und die Leitung der Inszenierung verantwortlich ist und die gesamte Aufführung begleiten wird.

Durch die Orgel ist sogleich eine religiöse Verbindung hergestellt. Eine der ersten Dinge, die Haselbröck spielt, ist, als von der eingedrungenen Truppe von Rock-Musik gesprochen wurde, eine Variation auf Deep Purples "Smoke on the water" (von 1972) – und damit natürlich auf eines der berühmtesten Rock-Musik-Stücke schlechthin (vgl. auch "When the deep purple falls", von www.perinique.de).

Nun hat sich der Reverend nach dem Massaker noch einmal an seine Orgel gerettet, an der er sich festhält wie an einem rettenden Felsen. Malkovich bedroht ihn mit der gezogenen Pistole, verlangt von ihm, weiterzuspielen, andernfalls er erschossen würde. Nur zögernd bringt der Organist die Töne hervor. Es ist Johann Sebastian Bach, den er spielt. - Natürlich wäre ein Duo zwischen John Malkovich und dem Organisten möglich, würde wohl auch denkbar sein für einen ganzen Abend. Das Stück geht aber in eine andere Richtung. Denn die Journalistin, gespielt von Sophie v. Kessel (*1968), ist doch nicht ganz totgeschossen worden, obwohl sie daliegt, als sei sie, wie ihre Gefährten, mausetot. Sie scheint wohl noch zu blinzeln. Und wenn Lessing (1729 - 1781) auch in seiner "Hamburgischen Dramaturgie" hervorhebt, dieser oder jener Darsteller sei wohl an nichts anderem als am 5. Akt gestorben, so wird hier Sophie v. Kessel, um ein farbigeres Spiel zu ermöglichen, hier nun, sagen wir im 2. Akt, wieder zum Leben erweckt; und es lohnt sich. Fortsetzung folgt.

 

Foto: John Malkovich (c) Jann Wilken