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Kategorie: Kulturbetrieb

Die Bibel ist nicht vom Himmel gefallen, Teil 2/5

 
Klaus Philipp Mertens

 
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Um die Wende zum ersten vorchristlichen Jahrtausend entsteht auf dem palästinensischen Bergland aus selbständigen Stämmen und Städten der Staat Israel. Durch das strategische Geschick König David (der zwischen 1000 bis 960 v.Chr. regierte) gelingt es, die benachbarten Völker zu unterwerfen, sodass sich das Großreich Davids vom Ufer des Euphrats bis zum „(Grenz-) Bach Ägyptens" südlich von Gaza erstreckt.

 
Doch der schnell entstandene Staat zerfällt rasch wieder. Bereits unter dem Davidsohn Salomo bröckeln die eroberten und der israelitischen Herrschaft unterworfenen Randgebiete ab. In der Regierungszeit seines Enkels Rehabeam kommt es 926 v.Chr. zur Spaltung, bei der sich der nördliche, größere Teil von der von David begründeten Dynastie löst und fortan den Namen Israel für sich allein beansprucht. Den Davididen verbleiben die Stadt Jerusalem und ihr Stammland Juda.

 
Dennoch hat die kurze Zeit des gemeinsamen Staats die beiden Nachfolgereiche entscheidend geprägt. Denn die vordem unbekannte und noch unter David umstrittene Errichtung eines Königtums bleibt im Norden und im Süden erhalten. Mit ihr sind diverse Organisationsstrukturen verbunden, die das Leben des Volkes bestimmen: ein stehendes Heer unter königlichem Oberbefehl, eine zentrale Verwaltung vom Palast des Monarchen aus und nicht zuletzt — was bei anderen altorientalischen Völkern selbstverständlich, in Israel aber vordem undenkbar war — die Ausübung eines bestimmten, für das ganze Volk und das Staatswohl unerlässlichen Kultus in einem königlichen Heiligtum.

 
Das Königtum wirkt sich auch aus in der von den Regenten geförderten Entstehung der ältesten Schriften. Zwar war der Gebrauch der Schrift den Israeliten spätestens seit der Landnahme (1400 bis 1200 v. Chr.) bekannt. Auch religiöse Spruchweisheiten und Erzählungen waren zahlreich vorhanden, wurden jedoch von Generation zu Generation nur mündlich weitergegeben. Im Umfeld des höfischen Lebens, wo Schrift und Urkunden allmählich selbstverständlich wurden, entsteht nun überraschend schnell eine Literatur, und zwar eine religiös bestimmte. Sie unternimmt es, das Verhältnis Jahwes, des einen und einzigen Gottes, zu Israel und zum Königshaus erzählend darzustellen.

 
Als erstes entsteht das Buch von der Thronnachfolge Davids. Es wurde später in den letzten Teil des zweiten Samuelbuches und den Anfang des ersten Königsbuches eingearbeitet (2. Buch Samuel, Kapitel 9 bis 20 und 1. Buch der Könige, Kapitel 1 und 2).

 
Der Verfasser ist mit geheimen Vorgängen am Jerusalemer Hof, mit Intrigen und Fraktionsbildungen vertraut. Da seine Darstellung durchweg einen historisch zuverlässigen Eindruck macht, kann er die Texte nicht lang nach den Ereignissen verfasst haben und muss entweder überwiegend selbst Augenzeuge gewesen sein oder über einen Augenzeugen als Gewährsmann verfügt haben.

 
Antike Geschichtsschreibungen setzten zumeist eine übergreifende geschichtsphilosophische Idee voraus, damit die Fülle von sehr unterschiedlichen Begebenheiten einen Zusammenhang und eine einheitliche Gestalt gewinnen konnte. Das gilt auch für das Buch von der Thronnachfolge Davids. Es erklärt sich weitgehend selbst. Es beginnt mit der schicksalshaften Historie der Lade Jahwes, jenes altertümlichen Kultgerätes, das bei Kriegen mitgeführt wurde und den Beistand Jahwes gewährleisten sollte.

 
Doch während der Kämpfe mit den Philistern, einem um 1200 von der Seeseite her in Palästina eingedrungenen Volk, das die Küstenebene besetzt hatte, geschieht das bis dahin Einmalige: Die Lade Jahwes fällt in die Hand des Feindes. Jedoch: Wo immer sie bei den Feldzügen auftaucht, scheint sie der Grund zu sein für schwere militärische Niederlagen der Philister. So ist es kein Wunder, dass man sich von der unheilbringenden Beute nach kurzer Zeit wieder trennt und sie in israelitisches Gebiet zurück gibt.

 
Im zweiten Teil des Thronnachfolgebuchs wird vom Eintreten des jungen Davids in die Geschichte der Israeliten erzählt. Er feiert als Kriegsheld Erfolge und vermag sowohl die Herzen der Männer zu erringen als auch die Zuneigung der Frauen zu gewinnen. Allerdings entfach er dadurch den Argwohn und den Hass des amtierenden Königs und militärischen Führers, des Saul, eines Stammesfürsten. So muss Davis bei Nacht und Nebel fliehen. Doch dann verlässt Saul das Kriegsglück und er verliert sein Leben in einer Schlacht gegen die Philister. Nach seinem Tod kann David in die Heimat zurückkehren, wo er zum ersten, nicht nur auf Zeit berufenen König über Juda gekürt wird. Er erobert das bis dahin noch von Kanaanäern bewohnte Jerusalem und bestimmt es zur Hauptstadt des neuen Reiches.

 
Jerusalem wird zugleich zur heiligen Stadt ausgerufen, wird zum religiösen Mittelpunkt des Volkes. Auf diese Umgründung der bereits lange bestehenden Stadt nimmt die bekannte Nathanweissagung Bezug. Sie ist das zentrale Kapitel des gleichnamigen Buches. Denn sie führt alle bisherige Volksgeschichte auf die unausweichliche historisch und religiös notwendige Erwählung Jerusalems zurück. Und sie prophezeit alles Kommende als Folge dieser historischen und religiösen Entwicklung. Im 2. Buch Samuel, Kapitel 7, Verse 12 und 14 bis 16, kann man die Worte des Gottes Jahwe nachlesen, die der Prophet Nathan an David übermittelt:

 
„Wenn einst deine Zeit um ist und du dich zu deinen Vätern legst, dann will ich deinen Nachwuchs aufrichten, der von deinem Leibe kommen wird, und will sein Königtum befestigen. Ich will ihm Vater sein und er soll mir Sohn sein. Wenn er sich vergeht, will ich ihn mit menschlicher Rute und mit menschlichen Schlägen züchtigen, aber meine Gnade will ich ihm nicht entziehen ... sondern dein Haus und dein Königtum sollen immerdar vor mir Bestand haben; dein Thron soll in Ewigkeit fest stehen.“

 
Der Dynastie Davids wird im Namen Jahwes die Herrschaft für alle Zeiten zugesprochen und zugleich dem jeweiligen Regenten eine besondere religiöse Vorzugsstelle eingeräumt; er ist im übertragenen Sinn Sohn Gottes (!) und ist damit weit über gewöhnliche Sterbliche hinausgehoben. Diese göttliche Legitimation des Hauses David war für das Volk Israel, das seinen Existenzanspruch nicht nur aus der Überlegenheit seines Heeres, sondern vor allem aus der religiösen Identität herleitete, von nicht zu überschätzender Bedeutung. Hier liegen die Wurzeln für die Jahrhunderte später, vor allem nach dem Ende des Babylonischen Exils, aufkommende Hoffnung auf einen zukünftigen Heilskönig, eines Messias (Maschiach = hebräisch: der Gesalbte), des endgültigen geistlichen und weltlichen Befreiers, hervorgegangen aus Davids Stamm.

 
Das Leben des jüdischen Wanderpredigers Jesus und dessen frühe Wirkungsgeschichte während der spätrömischen Antike sind nicht loszulösen von diesen Überzeugungen und Zukunftshoffnungen. Im Neuen Testament werden sie vermengt mit typischen Elementen der altgriechischen Mythologie: Jungfrauengeburt und Blutopfer.

Fortsetzung folgt.

 


Foto: Torarolle (c) Neukirchener Verlag

Info:

Es folgen die Teile:

Erinnerte Zukunft und erhoffte Vergangenheit (Die Bibel ist nicht vom Himmel gefallen, 3)

Zwischen Messias-Hoffnung und Blutopfer - das Neue Testament (Die Bibel ist nicht vom Himmel gefallen, 4)

"Sie werden lachen, die Bibel". Die Rezeption biblischer Schriften in der neueren Literatur (Die Bibel ist nicht vom Himmel gefallen, 5)